Pauschalkriminalisierung bei der WM 2006 befürchtet

Parlamentarier und Fanvereine üben scharfe Kritik an den umfassenden Überwachungsplänen im Sicherheitskonzept der Innenminister für die Fußball-Weltmeisterschaft.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 223 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Die umfassenden Überwachungsvorkehrungen im Sicherheitskonzept der Innenminister von Bund und Ländern zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 stoßen auf Widerstand im Bundestag und bei Fanvereinen. "Alle Bürger würden zu Verdächtigen", warnt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar, vor der "Aufhebung der Unschuldsvermutung" durch die geplante Videoüberwachung mit biometrischen Gesichtscans. Angesichts des im Raum stehenden "Feldversuchs für neueste Sicherheitstechnik" sieht sie die Gefahr insbesondere in der undurchsichtigen "Vernetzung, Weiterentwicklung und in den zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten der Überwachungstechnik".

Der Sicherheitsplan sieht unter anderem den Einsatz von Spezialkameras vor, die biometrische Gesichtsmerkmale von Personen im Umkreis von Stadien, "Partymeilen" der Fans sowie viel besuchter innerstädtischer Plätze und Verkehrsknotenpunkte zu erfassen und sie mit denen bereits gespeicherter Straftäter abzugleichen. Unklar ist dabei bisher, wie lange die sensiblen personenbezogenen Daten vorgehalten und mit welchen Datenbanken die Daten abgeglichen werden werden sollen. Prinzipiell hält Stokar die Durchführung der Scans, mit denen die US-Polizei bereits wiederholt bei Football-Spielen im Super Bowl unter Protesten von Datenschützern experimentierte, technisch für machbar. Die Innenpolitikerin erachtet diese aber als "unverhältnismäßig" und erwartet "Akzeptanzprobleme". Auf jeden Fall sei von der Polizei öffentlich deutlich zu machen, mit welchem System welche Orte observiert würden.

Stokar sieht das Vorhaben in Zusammenhang mit dem Plan von Bundesinnenminister Otto Schily, künftig auf Grund einer umstrittenen EU-Verordnung und somit womöglich ohne weitere Einbeziehung des Parlaments die biometrischen Gesichtsmerkmale aller Bürger bei der Ausweiserstellung zu erfassen. Es sei leicht möglich, dass die vom Bundestag vorgesehene Zweckbindung dieser Form der Identifizierung auf Dauer nicht eingehalten oder mit einem einfachen Gesetz aufgehoben und für allgemeine Zwecke der Strafverfolgung zur Verfügung gestellt werde. Dazu komme bei der WM noch der Versuch, Zuschauer über die RFID-Chips auf den Tickets persönlich zu erfassen. "Schily würde gern bei jedem Spiel wissen, wer da ist und wo er sitzt", fasst die Grüne das Vorhaben des SPD-Politikers zusammen. Das sei aber nicht nur "realitätsfern", sondern könne auch bei reinen Stichprobenkontrollen "Unmut in den Warteschlangen" und damit entgegen der eigentlichen Absicht gerade ein "Sicherheitsrisiko" auslösen.

Bedenken hat Stokar auch bei der im Sicherheitskonzept umrissenen schnelleren Ausweisüberprüfung vor Ort durch ein mobiles "Fast Identification"-Verfahren. Das Fingerabdrucksystem erspare den zu Überprüfenden zwar den Weg zur nächsten Wache, konstatiert die Innenpolitikerin. Der digitale Polizeifunk und die schnelle Identifizierung mit Biometriesystemen werde es der Polizei in Zukunft aber ferner ermöglichen, auch große Personengruppen -- etwa bei Demonstrationen -- in kürzester Zeit zu überprüfen. Problemlos sei es dabei möglich, gibt Stokar zu bedenken, "die Daten aller für spätere weitere Auswertungen in den mobilen Handgeräten zu speichern". Vor der Umsetzung des Sicherheitskonzeptes müsse daher eine "kritische öffentliche Debatte" erfolgen.

"Intensiv besprechen" will Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, den WM-Polizeiplan mit Schily in der Sitzung des Innenausschusses des Bundestags am morgigen Mittwoch. Persönlich sei er angesichts des höchst relevanten Sicherheitsaspekts bei der "Riesenveranstaltung" gegenüber vielen der bereits thematisierten Vorkehrungen aufgeschlossen, erklärte er gegenüber heise online. Bei Aspekten wie den Gesichtscans bedürfe es aber zumindest einer gesetzlichen Grundlage, bremste er das Ansinnen der Innenminister. Nicht aus dem Auge zu verlieren sei zudem, dass man zur Umsetzung solcher Pläne "auch das technische Know-how haben muss".

Nicht wie bei Freunden, sondern "wie im Knast" dürften sich die Besucher der Großveranstaltung aus aller Welt fühlen, kritisiert derweil Johannes Stender vom Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) in Abwandlung des offiziellen WM-Slogans. Die "überzogenen Maßnahmen" passen seiner Ansicht nach ins Bild, da schon seit langem Fans "pauschal kriminalisiert" würden, betonte der BAFF-Sprecher in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Derzeit werde der Eindruck erweckt, als müsse sich Deutschland "vor einem Überfall schützen". Darunter müssten auch friedliche Anhänger leiden, die teilweise schon für Lappalien wie Schneeballwerfen im Stadion in der bundesweiten Datei "Gewalttäter Sport" erfasst seien. Stender fürchtet außerdem, dass Schilys "Null-Toleranz-Taktik" die Stimmung abtöten werde.

Siehe zu dem Thema auch:

(Stefan Krempl) / (jk)