Schwierige Gegenwehr

Längst nicht jeder, der eine Abmahnung wegen Tauschbörsennutzung erhält, hat die ihm darin vorgeworfene Tat begangen. Dennoch sieht er sich plötzlich in der Pflicht, seine Unschuld nachzuweisen, was derzeit ein fast aussichtsloses Unterfangen ist. Einige Maßnahmen erhöhen wenigstens die Chancen, mit einem blauen Auge davon zu kommen.

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Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Holger Bleich
  • Joerg Heidrich
  • Thomas Stadler
Inhaltsverzeichnis

So heftig wie nie prasseln derzeit auf deutsche Netznutzer kostenpflichtige Abmahnungen wegen angeblicher Urheberrechtsverstöße ein. Bisweilen erhält ein Familienoberhaupt gleich mehrere Anwaltsbriefe pro Monat, weil sich der Sohnemann über den Haus-DSL-Anschluss Musik aus Tauschbörsen besorgt hat.

Ein großer Teil der Abgemahnten gibt die Urheberrechtsverletzung früher oder später zu und überweist geforderte Summen zwischen 300 und 3000 Euro (Rechtsanwaltsgebühr und Schadensersatz). Mitunter bestreiten die Abmahnungsempfänger aber auch vehement, jemals eine Tauschbörse genutzt zu haben oder den angeblich von ihnen illegal angebotenen Song überhaupt zu kennen.

Auch in der c’t-Leserhotline häufen sich solche Fälle. Die nachgereichten Indizien klingen meist glaubhaft. Naturgemäß lassen sich die abmahnenden Rechtsanwälte davon nicht beeindrucken. Sie sprechen von Schutzbehauptungen und verweisen auf die nach ihren Angaben einwandfreie Beweisaufnahme durch ihre technischen Dienstleister.

Diese Dienstleister heißen beispielsweise Logistep, DRS, Digiprotect, Pro Media oder Evidenzia. Ihre Software sucht in den P2P-Netzwerken nach Anbietern geschützter Werke der Mandanten. Von diesen vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsverletzern erhalten sie zwar nicht den Namen, immerhin aber die IP-Adresse zum Zeitpunkt des Tauschvorgangs.

Bis 2008 war es üblich, dass die Anschlussinhaber zu den IP-Adressen im Rahmen von Strafverfahren von Staatsanwaltschaften ermittelt wurden. Staatsanwälte fragten bei Providern ab, welchem Anschluss die IP-Adresse zum angegebenen Tatzeitpunkt zugewiesen war. Sodann sahen die Abmahnkanzleien Akten ein, hatten die Namen der Anschlussinhaber und mahnten ab.

Inzwischen ist der Umweg über Strafanzeigen nicht mehr nötig, weil seit September 2008 der zivilrechtliche Auskunftsanspruch gilt: Mit Massenbeschlüssen gestatten Amts- oder Landgerichte den Abmahnern, zigtausende Anschlussinhaberdaten direkt beim Provider abzufragen.

Egal, wie die Namen der Abgemahnten ermittelt werden: Die beschriebene Erhebungskette birgt eine ganze Reihe von Fehlerquellen. Beispielsweise sind Fälle von Zahlendrehern in der Weitergabekette bekannt. Am anfälligsten dürfte die Erfassung des Tatzeitpunkts sein. Falls der Zeitstempel zur ermittelten IP-Adresse nicht hundertprozentig stimmt, kann die spätere Abfrage beim Provider wegen der dynamischen IP-Adress-Vergabe einen falschen Anschluss liefern.

Im besten Fall würde der Fehler auffallen, dann nämlich, wenn die IP-Adresse zum angegebenen Zeitstempel gar nicht vergeben war. Ansonsten aber würde der Provider einen falschen Namen herausgeben, und diese Person würde zu unrecht abgemahnt.

Ein bislang kaum beachteter Beschluss des Landgerichts (LG) Köln aus dem Jahr 2008 belegt, dass dies längst nicht so selten vorkommt, wie die Massenabmahner behaupten [1] . Weil sich die Staatsanwaltschaft Köln in einem Fall geweigert hatte, Akteneinsicht zu gewähren, legte die Kanzlei eines Rechteinhabers strafrechtliche Beschwerde ein.

Das LG Köln verwarf die Beschwerde und gewährte keine Akteneinsicht. Die neunte große Strafkammer begründete das mit der mangelhaften Beweiserhebung und führte dazu aus: „Dass die Zuverlässigkeit der ausgespähten IP-Adressen nicht ohne Weiteres unterstellt werden kann, ergibt sich aus den Angaben der Staatsanwaltschaft, die schon öfter offensichtliche Mängel bei der IP-Adressen-Auflösung beobachtet hat. So hat sie beispielsweise zunehmend beobachtet, dass bei der Abfrage von IP-Adressen Provider rückgemeldet haben, zu dem betreffenden Zeitpunkt habe zu der konkreten IP-Adresse keine Session gefunden werden können.“

Was die Staatsanwaltschaft Köln dem Gericht mitteilte, wirft ein völlig neues Licht auf die angeblich so beweissichere Datenerhebung. Bei einigen Verfahren habe „die Quote der definitiv nicht zuzuordnenden IP-Adressen deutlich über 50 Prozent aller angezeigten Fälle gelegen, bei einem besonders eklatanten Anzeigenbeispiel habe die Fehlerquote sogar über 90 Prozent betragen.“ Das Gericht erklärt sich diese Fehlerquote mit „Zuordnungsproblemen durch Schwierigkeiten bei der Zeitnahme.“

Zwei durchgewunkene Anträge auf zivilrechtliche Provider-Auskunft am Landgericht Köln. Abgefragt wurden 13 000 IP-Adressen.

(Bild: Dominik Boeker)

Mittlerweile finden Ermittlungen der Staatsanwaltschaften kaum noch statt, weil es den erwähnten Weg des zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs gibt. Und von viel beschäftigten Zivilrichtern haben die Massenabmahner offensichtlich wesentlich weniger Widerstand zu erwarten: Die Anträge auf Auskunftsanspruch werden etwa vom Landgericht Köln, das für die Telekom zuständig ist, fast ausnahmslos ohne Prüfung durchgewunken. Die Beschlüsse bestehen aus Bausteinen nahezu identischer Texte. Und dies, obwohl sich die dubiosen Methoden der Beweiserhebung seit 2008 kaum geändert haben. In einem konkreten Fall belegte c’t gar, dass die Ermittlungssoftware widersprüchliche Zeitangaben ausspuckt [2] .

Diese Fakten legen den Schluss nahe, dass tatsächlich eine Menge Netznutzer unschuldig ins Visier der Massenabmahner geraten. Wenn dies geschieht, haben die Betroffenen ein großes Problem: Sie sehen sich unversehens einer Behauptung gegenüber, die sie entkräften müssen. Der drohende Tonfall in den Abmahnungen, mitunter viel zu hohe Geldforderungen sowie extrem kurze Fristsetzungen der Gegenseite überfordern viele und führen manchmal auch zu Panikreaktionen.

Nun könnte man als juristischer Laie meinen, es genüge zu ignorieren, wenn jemand mit dem Finger auf einen zeigt, mit dubiosen Logdatei-Ausdrucken wedelt und brüllt „der war’s“. Die wenigen existierenden Gerichtsurteile zum Thema zeigen jedoch, dass den Richtern die Datenerhebung der Rechteinhaber in aller Regel als „glaubhaft“ erscheint. Dies genügt offensichtlich, obwohl eigentlich in derlei Klageverfahren formell ein „Strengbeweis“ des Klägers nötig wäre.

Auch wenn dem Gericht die vorgebrachten Belege der Kläger einigermaßen schlüssig vorkommen, bleibt dem Beklagten grundsätzlich die Möglichkeit anzuzweifeln, dass die Datenerhebung sauber gelaufen ist. Nur müsste er diese Zweifel begründen.

Da die Gegenseite meist ein Gutachten zur angeblichen Funktionstüchtigkeit der Erhebungssoftware in petto hat, wird man kaum umhin kommen, ein Gegengutachten bei Gericht zu beantragen. Doch wer will mehrere Tausend Euro in ein solches Gutachten investieren, noch dazu ohne Garantie, dass er damit den Rechtsstreit für sich entscheidet und das Geld wieder zurückbekommt?

Offensichtlich niemand, denn ein solches Gutachten ist bislang nicht bekannt. Weil den Beklagten aber die „sekundäre Darlegungslast“ trifft, muss er irgendwie den Beweis dafür erbringen, dass er auf keinen Fall zum angegebenen Zeitpunkt die urheberrechtlich geschützte Datei in einer Tauschbörse verbreitet hat.

Die naheliegendste Möglichkeit, eventuelle Zuordnungsfehler aufzudecken, wäre eine Anfrage beim eigenen Provider. So könnte man sicherstellen, dass die in der Abmahnung angegebene IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich dem eigenen Anschluss zugeordnet war.

Eine solche Überprüfung könnte grundsätzlich im Rahmen einer datenschutzrechtlichen Selbstauskunft nach Paragraf 34 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) erfolgen. Danach hat jeder Betroffene das Recht, bei einer Stelle, die personenbezogene Daten von ihm speichert, Auskunft über diese Daten zu verlangen. Da es sich bei IP-Adressen nach gängiger Juristenmeinung um personenbezogene Daten handelt, besteht ein solches Recht also auch gegenüber dem eigenen Zugangsprovider.

Die Praxis zeigt aber, dass dieses Recht weitgehend ins Leere läuft: Die Provider dürfen IP-Adressen – wenn überhaupt – nur zeitlich begrenzt speichern. In der Regel werden die Adresszuordnungen nach sieben Tagen gelöscht. Diese Frist wird im Fall eines zivilrechtlichen Auskunftsverfahrens verlängert. Erhält ein Gericht im Antrag IP-Adressen, bittet es den Provider, die Zuordnung zum Anschluss ausnahmsweise länger aufzubewahren („Quick Freeze“). Ist der Antrag per Beschluss genehmigt und die Auskunft an den Rechteinhaber erteilt, muss der Provider die Daten aber sofort löschen.

Dass dies auch so gehandhabt wird, bestätigte der Konzerndatenschutz der Deutschen Telekom auf Anfrage. Man könne im Nachhinein lediglich mitteilen, ob zu einer IP-Adresse „dem Grunde nach eine Auskunft geleistet“ wurde. Obwohl für den Betroffenen unvorteilhaft, ist dieses Verfahren juristisch in Ordnung, da nach der Auskunft für den Provider kein Grund mehr besteht, die Daten zu speichern. Für den unschuldig Verdächtigten führt dies allerdings zur bizarren Situation, dass er im Unterschied zu den Rechteinhabern keine Möglichkeit mehr hat, auf die ihn betreffenden Daten im Nachhinein zuzugreifen.

Wenn man schon nicht an die Daten beim Provider kommt, dann aber doch an die Logfiles des eigenen Routers zuhause. Sofern das Logging zum angeblichen Tatzeitpunkt aktiviert war, sollte sich mit der selbst aufgezeichneten Zuordnung der Gegenbeweis zu den falsch erhobenen Vorwürfen antreten lassen, könnte man meinen.

Doch es gilt zu berücksichtigen, dass Log-Dateien für Juristen weit weniger hohen Beweiswert haben als für Techniker. In der Regel handelt es sich um simple Textdateien, die im Nachhinein leicht zu manipulieren sind. Beweissicher wären sie nur, wenn eine externe Instanz sie direkt nach der Datenerhebung unfälschbar signierte. Ein solches Verfahren existiert aber für den Heimanwenderbereich nicht. Und selbst im professionellen Umfeld ist die Verwertbarkeit solcher Daten vor Gericht umstritten. So hat etwa das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Jahr 2003 entschieden, dass Logfiles eines Webhosters nicht ohne Weiteres als Beweismittel vor Gericht verwendet werden können [3] . Vielmehr müsse im Zweifelsfall auch nachgewiesen werden, dass die Daten ebenso wie ihre Auswertung zutreffend seien.

Hinzu kommt in der gerichtlichen Praxis das Problem, dass allein die Vorlage von „rohen“ Logdaten ein Gericht in aller Regel technisch überfordern wird. Für die Auswertung und Einordnung dieser Daten wird daher zusätzlich ein Gutachter erforderlich sein. Doch dieser ist teuer, und die durch die Einschaltung entstehenden Kosten hat der Abgemahnte zumindest vorzustrecken.

Dennoch kann die Vorlage von Logdateien zumindest ohnehin vorhandene Indizien zur Unschuld bestärken. Und auch wenn es nur darum gehen sollte, eigene Zweifel auszuräumen, kann das Protokoll gute Dienste leisten. Viele gängige DSL-Router bieten die Möglichkeit, genutzte IP-Adressen pro Zeitpunkt in eine später einsehbare Datei zu schreiben.

Fritzboxen können vergebene IP-Adressen mitloggen und dem Administrator per Mail täglich im Ereignisprotokoll schicken.

Bei den Fritzboxen des Marktführers AVM ist dies besonders bequem realisiert. Auf Nutzerwunsch sendet der Router täglich, wöchentlich oder monatlich eine Nachricht an die angegebene Mail-Adresse. Darin finden sich je nach Voreinstellung nicht nur die IP-Adress-Zuweisungen, sondern auch die jeweils angemeldeten WLAN-Geräte und Informationen zum Transfervolumen. Die Daten sind bereits zusammengefasst und aufbereitet.

Allerdings muss man diesen sogenannten „Push-Service“ über das Interface der Box in den Systemeinstellungen zunächst aktivieren. Die tägliche Fritzbox-Mail lässt sich prima vom Mailclient aus dem Posteingang in einen Ordner filtern. In diesem Logdatei-Archiv finden sich dann im Ernstfall die benötigten Informationen.

Auch wenn man noch keine urheberrechtliche Abmahnung wegen angeblicher Tauschbörsennutzung erhalten hat, sollte man vorsorglich derlei Router-Logdateien fertigen und aufbewahren. Es kommt vor, dass Verstöße abgemahnt werden, die vor zwei Jahren passiert sein sollen. Bis zu drei Kalenderjahre darf die Erfassung einer illegalen Handlung zurückliegen. Erst dann verfällt für den Rechteinhaber die Möglichkeit, kostenpflichtig abzumahnen (Verjährung).

Das sogenannte WLAN-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Juni dieses Jahres hat bestätigt, dass Anschlussinhaber für jede Urheberrechtsverletzung haften, die über ihre DSL-Leitung begangen wurde (Störerhaftung). Den Kopf aus der Schlinge bekommt dem Urteil zufolge nur, wer schlüssig nachweisen kann, dass er seinen WLAN-Router hinreichend gegen unbefugten Zugriff geschützt hat.

Dazu gehört laut BGH, die „zum Kaufzeitpunkt marktüblichen Sicherungen“ wirksam einzusetzen. Wer also einen Router zuhause stehen hat, sollte die maximal sichere Verschlüsselungsoption aktivieren. Es genügt beispielsweise nicht, WEP einzusetzen, wenn der Router WPA2 kann.

Falls der Router nach dem Kauf mit einem zufälligen, vorgegebenen Kennwort verschlüsselt, muss dieses sofort durch ein „persönliches, ausreichend langes und sicheres Passwort“ ersetzt werden, um der Haftungsfalle entgehen zu können. Da die Nachweispflicht für diese in der Vergangenheit liegende Handlung beim Beklagten liegt, sollte er am besten vor jeder Einstellungsänderung einen Zeugen beigeholt haben. So praxisfern das klingen mag, es ist die einzige Möglichkeit, den eigenen Bekundungen vor Gericht Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Sei es, man hat das eigene Kind erwischt, oder hört sich die Beichte eines WG-Mitbewohners an: Es gibt die Situation, in der zwar noch keine Abmahnung eingetroffen ist, über den eigenen Anschluss aber definitiv illegal Musik oder Filme in Tauschbörsen angeboten wurden.

Einige Anwälte raten in diesem Fall dazu, vorbeugend auch gegenüber den Rechteinhabern Unterlassungserklärungen abzugeben. Die Idee dahinter ist die, eine Abmahnung mit Unterlassungsaufforderung und damit auch die Abmahnkosten zu vermeiden.

Dieses Vorgehen klingt erst einmal clever, führt aber zu verschiedenen praktischen und rechtlichen Problemen. Die vorbeugenden Unterlassungserklärungen müssten gezielt gegenüber den tatsächlichen Rechteinhabern abgegeben werden. Diese lassen sich aber nicht zuverlässig ermitteln, weil man als Außenstehender selbst dann, wenn man den originären Urheber kennt, nie weiß, wie die (vertragliche) Rechtekette ausgestaltet ist.

Außerdem kann es zu einem Musikstück eine ganze Reihe unterschiedlicher Rechteinhaber geben. Da sind zunächst die Komponisten und Texter des Musikstücks. Daneben genießt der Interpret als sogenannter ausübender Künstler Schutz und schließlich verfügt in aller Regel auch noch ein Musiklabel über ein Leistungsschutzrecht als Tonträgerhersteller. Die eigentlichen Urheber haben überdies häufig ihrem Label oder einem Musikverlag in einem bestimmten Umfang Nutzungsrechte eingeräumt. Dieses Geflecht an verschiedenen Rechteinhabern ist von außen nicht zu durchschauen. Wenn man also nicht exakt weiß, wer Inhaber welcher Rechte ist, sollte man von vorbeugenden Unterlassungserklärungen die Finger lassen. Sie erreichen selten den richtigen Adressaten, wecken aber eventuell schlafende Hunde.

Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, die Abmahnung wegen illegalen Filesharings also im Briefkasten liegt, sollte man Ruhe bewahren. Der vielfach in Webforen zu lesende Ratschlag, die Sache stumm auszusitzen, birgt unkalkulierbare Kostenrisiken. Es droht dann eine einstweilige Verfügung oder gar eine Unterlassungsklage.

Falls der Abgemahnte sich sicher ist, dass er die vorgeworfene Tat nicht begangen hat, sollte er zunächst jeden befragen, der etwa über einen WLAN-Router ebenfalls Zugang zum DSL-Anschluss hat. Erst wenn er ausschließen kann, dass die Datei zum angegebenen Zeitpunkt von seinem Anschluss aus angeboten wurde, gilt es, Indizien zu sichern.

Dazu gehören wie erwähnt Router-Logdateien und Zeugenaussagen. Man sollte außerdem den eigenen Kalender checken: War die Familie vielleicht zum angegebenen Zeitpunkt gar nicht zuhause und gibt es dafür Belege? Hatte man dann unter Zeugen die WLAN-Funktion des Routers deaktiviert?

All diese Dinge können helfen, Gerichte zu überzeugen. Wenn – wie wohl in den meisten Fällen – trotz Unschuld die Beweislage unzureichend ist, sollte man innerhalb der gesetzten Frist dem Rechteinhaber eine Unterlassungserklärung zukommen lassen. Dies muss nicht zwingend die vorformulierte Erklärung sein, sondern nur eine, die rechtswirksam ist.

Dabei ist es im Normalfall sinnvoll, die Erklärung eng zu formulieren, das heisst auf das konkrete Musikstück zu beschränken. Die Erklärung muss ein sogenanntes Vertragsstrafeversprechen enthalten, das aber nicht unbedingt aus einem festen Betrag bestehen muss. Es gibt auch Formulierungen, die nur von einer angemessenen Vertragsstrafe sprechen. Hierbei ist aber genau darauf zu achten, dass man eine Formulierung wählt, die von den Gerichten akzeptiert wird. Denkbar wäre beispielsweise folgender Text:

„Ich verpflichte mich ohne Anerkennung einer Schuld oder Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich, es bei Meidung einer angemessenen, vom Gläubiger nach billigem Ermessen festzusetzenden Vertragsstrafe, deren Höhe im Streitfall durch das zuständige ordentliche Gericht auf ihre Billigkeit überprüft werden kann, zu unterlassen, das Musikwerk (…) im Internet über sogenannte File-Sharing-Netzwerke öffentlich zugänglich zu machen.“

Weitere Zusätze, etwa eine Verpflichtung zur Zahlung von Abmahnkosten und Schadensersatz, sind nicht notwendiger Bestandteil einer rechtswirksamen Unterlassungserklärung. Das bedeutet allerdings nicht, dass solche Ansprüche nicht eventuell bestehen.

Wer anschließend nicht längere Zeit im Ungewissen bleiben will, ob er nicht doch noch eine Zahlungsklage bekommt, weil er die Erstattung von Anwaltskosten und Schadensersatz abgelehnt hat, kann mit den abmahnenden Kanzleien im Regelfall auch über die Höhe des Zahlbetrags verhandeln. Geringverdiener, deren Einkommen sich unterhalb der gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen bewegt, sollten das ruhig aktiv angehen. Denn erfahrungsgemäß sind die abmahnenden Kanzleien zumindest in diesen Fällen oft bereit, ihre Forderung deutlich zu reduzieren.

Für jede Form der juristischen Gegenwehr ist geboten, sich zuvor von einem versierten Rechtsanwalt beraten zu lassen. Möchte man beispielsweise die seit 2008 gültige, aber nur selten anwendbare Kostendeckelung für „einfach gelagerte“ Urheberrechtsverstöße auf 100 Euro geltend machen und so die Kosten reduzieren, sollte das juristisch zu begründen sein [4] .

Und genau hier beißt sich die Katze ein wenig in den Schwanz: Für eine Anwaltserstberatung werden bei derlei Fällen mehr als 200 Euro fällig. Oft verlangen die Abmahner nicht die volle Rechtsanwaltsgebühr, sondern „nur“ 300 bis 500 Euro. Rechnet man die Beratungskosten dagegen, lässt sich also nicht viel Geld sparen. Anders sieht es aus, wenn der Abgemahnte bereit ist, notfalls auch vor Gericht seine Unschuld darzulegen. Er sollte unbedingt von Beginn der Auseinandersetzung an einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Angesichts der beschriebenen rechtlichen Situation muss man dann allerdings Zeit, Geld und Nerven investieren. Dies lohnt nur, wenn gute Argumente und Gegenbeweise vorliegen. Das dürfte aber in den seltensten Fällen der Fall sein.

Die Massenabmahner stoßen mit ihrem Treiben offensichtlich in ein rechtliches Vakuum. Obwohl ihre „Ermittlungsergebnisse“ alles andere als hieb- und stichfest sind, haben die Abgemahnten schlechte Karten. Dass die angeblichen Taten oft Monate zurückliegen und die Antwortfrist in der Abmahnung meist nur wenige Tage beträgt, macht es für die Abgemahnten fast unmöglich, gründlich nach Entlastungsmaterial zu recherchieren.

Der Gipfel des Absurden: Im Sommer 2008 hat das Landgericht Köln fast parallel gegenteilige Feststellungen getroffen. Das Strafgericht erörterte, dass die Fehlerquote bei der Beweiserhebung in den P2P-Tauschbörsen exorbitant hoch ist und lehnte die Einsicht in Anschlussinhaber-Daten ab. Die Zivilkammer dagegen erklärte erstmals die angeblichen Beweise für ausreichend und gab den Massenabmahnern einen Freifahrtschein zur Entanonymisierung zigtausender Anschlussinhaber.

Solange insbesondere das Landgericht Köln ohne mit der Wimper zu zucken zivilrechtliche Providerauskünfte zulässt, wird sich an der Situation nichts ändern. Die zu Unrecht Abgemahnten können sich kaum gegen die Massenabmahn-Masche wehren. Informationen, die ihnen zur Entlastung verhelfen könnten, werden vom Provider aus Datenschutzgründen vernichtet, nachdem lediglich die Gegenseite Einsicht hatte.

Weil die rechtliche Situation dem zu Unrecht Abgemahnten kaum Möglichkeiten zur Gegenwehr lässt, spielt die Schuldfrage de facto keine Rolle mehr. Es ist nichts anderes als ein Skandal, dass die juristische Praxis an dieser Stelle ein fundamentales Rechtsstaatsprinzip aushebeln kann.

[1] LG Köln, Beschluss vom 25. 09. 2008, Az. 109-1/08, http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2008/109_1_08beschluss20080925.html

[2] Holger Bleich, Fragwürdige Beweisführung, Schwache Nachweise illegaler Tauschbörsennutzung, c’t 5/10, S. 50

[3] OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2003, Az. 18 U 192/02, www.jurpc.de/rechtspr/20030156.htm

[4] Noogie C. Kaufmann, Teure Überraschungen, Deckelung von Abmahnkosten kommt Tauschbörsen-Uploadern nicht immer zugute, c’t 9/09, S. 156 (hob)