Softwarepatente als Test für die EU-Demokratie

Richard Stallman und Alan Cox warnten auf einer Konferenz in Brüssel als Pioniere der Freien-Software-Szene eindringlich vor der Ausweitung des Patentschutzes auf Computerprogramme.

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"Das Parlament muss eine Wahl treffen", skizzierte Alan Cox die Lage vor der 2. Lesung der umstrittenen EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" bei einer Konferenz der Grünen zum Thema "Freie Software vs. Softwarepatente" am heutigen Donnerstag in Brüssel. Wenn das Parlament der EU-Kommission und dem EU-Rat nachgebe, "ist das der Anfang vom Ende Europas", sagte der Linux-Kernel-Entwickler. Die EU sei dann nicht länger als demokratisches Gebiet zu bezeichnen, sondern als "neue Sowjetunion". "Die Leute wollen keine Softwarepatente", rief Cox zum Gefecht rund um das heiß umkämpfte wirtschaftspolitische Thema. "Sie wollen erleben, wie in der EU echte Demokratie funktioniert."

Zuvor hatte Richard Stallman, der Gründer der Free Software Foundation, ebenfalls die anstehende Entscheidung über Softwarepatente als Maßstab für politische Prozesse in der EU dargestellt. Für den Aktivisten war bereits die offizielle Annahme des Standpunktes des Ministerrats ein Zeichen dafür, dass "das System vollkommen kaputt ist". Der dänische Wirtschaftsminister Bendt Bendtsen, der entgegen einer Anweisung seines nationalen Parlamentes die Verabschiedung nicht verhindert hatte, müsste "wegen Hochverrat angeklagt werden", echauffierte sich Stallman. Er habe seinem Land gewaltigen Schaden zugefügt.

Angesichts des mangelnden Respekts vor der Demokratie in Europa hat der Pionier der Freien-Software-Szene Verständnis dafür, dass viele Menschen die EU-Verfassung ablehnen. Seiner Ansicht nach sollten die Kommission und der Rat künftig keine Rolle mehr bei der Verabschiedung von Richtlinien spielen. Diese müssten allein vom Parlament befürwortet und zur Volksabstimmung gestellt werden. Sollte die Linie des Rates verabschiedet werden, würde das Leben für Software-Entwickler in der EU so gefährlich wie "in Bogota", skizzierte Stallman seine Ansicht über die Folgen der Direktive. Als empörend empfand er es, dass Konzerne wie Siemens, Philips, Alcatel und Ericsson gerade einen Brief an den Premierminister Polens geschrieben und mit dem Abzug einer wichtigen Forschungsstätte gedroht hätten, sollte Warschau dem EU-Parlament den Rücken stärken.

Über die negativen Auswirkungen von Softwarepatenten auf Wettbewerb und Innovation war auf der Grünen-Konferenz viel zu hören. Sam Hocevar vom Open-Source-Projekt VideoLAN, das seinen Ursprung an einer Hochschule in Paris hat, berichtete von Abmahnungen von Apple und Digital Theatre Systems (DTS). Die Firmen hätten sich daran gestoßen, dass der freie Multimedia-Player VLC der inzwischen weltweit verteilten Entwickler unter anderem von iTunes herunter geladene Dateien sowie Dolby Digital Sound (DDS) in andere Formate umwandeln kann. Hocevar sieht freie Kodierungssysteme insgesamt in Gefahr.

"Horror-Stories" aus den USA schilderte Jason Schultz von der Electronic Frontier Foundation (EFF). Er monierte etwa die Praktiken der Firma Acceris, die ein Patent auf jedes Telefongerät hält, dass über ein Netzwerk mit einem zweiten in Verbindung steht, und dieses momentan gegen zahlreiche VoIP-Firmen einsetze. "Müssen wir bald einen Weg darum herum erfinden, wie wir uns miteinander unterhalten?", stellte er die Breite derartiger Trivialpatente in Frage: "Wir zahlen nur noch die Kosten für das Patentsystem, erhalten aber keinen Mehrwert mehr zurück." Cox spekulierte über die verhaltene Annahme von IPv6. Seine Erklärung: Sämtliche an der Standardisierung beteiligten Firmen hätten Angst, dass jemand ein Patent auf wichtige Prozesse oder Geräte rund um das neue Internetprotokoll angemeldet habe. Die Wirtschaft warte daher lieber 20 Jahre, bis eventuell gewährte Monopolansprüche ablaufen.

Innovation komme immer mehr aus freien Entwicklergemeinden, setzte sich Simon Phipps, Chief Open Source Officer bei Sun, gegen Softwarepatente in der Richtlinie ein. Robert Sutor, bei IBM für Offene Standards und Open-Source-Software verantwortlich, schwärmte gleichfalls davon, dass die "offene Bewegung zu einer unglaublichen Zahl an kollaborativer Innovation geführt hat" und sein Haus diese Entwicklung etwa mit der Freigabe von zunächst 500 Patenten unterstützt habe. Er machte aber auch klar, dass für Big Blue ferner der Schutz der fünf Milliarden US-Dollar wichtig sei, der in die hauseigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung flösse. IBM glaube daher an ein fruchtbares Nebeneinander der beiden Systeme. "Patente können auch Open Source weiter vorantreiben", befand er.

Auf einer parallelen Anhörung der Christdemokraten im EU-Parlament, die unter der Regie des Rechtsausschuss-Koordinators Klaus-Heiner Lehne stand, sprachen sich Patentanwälte, Vertreter von Siemens, Nokia und von Computerverbänden wie der CompTIA vehement für die Ratslinie aus. Lycos-Chef Christoph Mohn war auf der Sitzung einer der wenigen, der mit der Linie der Minister eine wettbewerbsbehindernde Flut an Trivialpatenten auf die EU zukommen sah. Auch ohne weitere rechtliche Monopolabsteckungen, heißt es in seinem Positionspapier, entwickle sich die Branche als eine der schnellsten der europäischen Industrie. Lycos sorgt sich vielmehr, dass etwa Patente auf Googles PageRank-Algorithmus oder auf Spamfilter die Entwicklung des Internet vehement behindern könnten. Am Nachmittag marschierten zudem rund 200 Aktivisten mit gelben T-Shirts und Luftballons mit der Forderung "Alle Macht dem Parlament -- Nein zu Softwarepatenten" von der Kommission vorbei am Ratsgebäude zum Platz vor dem Abgeordnetenhaus, auf dem eine Freiheitsstatue aufgebaut worden war. Als einzige Abgeordnete hatte sich Eva Lichtenberger von den Grünen dem Zug angeschlossen. Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)