Fahndung im Datenraum

Zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und zur Verhinderung von Terroranschlägen werden in Europa große Datenbanken aufgebaut. Bürgerrechtler befürchten Big-Brother-Szenarien.

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Zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und zur Verhinderung von Terroranschlägen werden in Europa große Datenbanken aufgebaut. Bürgerrechtler befürchten Big-Brother-Szenarien.

Ein Werbevideo für das EU-Projekt INDECT zeigt die Zukunft der Fahndung: Unterlegt mit martialischer elektronischer Musik wird eine Verfolgungsjagd quer durch Krakau inszeniert, an deren Ende Spezialeinsatzkräfte einen Ganoven zur Strecke bringen. Aufgespürt worden ist der Gauner vollautomatisch – Videokameras zur Straßenüberwachung haben seine Bilder routinemäßig durch eine Gesichtserkennung mit anschließendem Datenabgleich in einer Fahndungsdatenbank laufen lassen. Danach hat sich das INDECT-System unerbittlich an die Spuren des Gesuchten geheftet, automatisch neue Überwachungskameras aufgeschaltet, die der Überwachte als Nächstes passieren müsste, und im Hintergrund eine Bedrohungseinschätzung durchgeführt, um den optimalen Zugriffszeitpunkt und -ort zu berechnen.

Das hört sich nach Science-Fiction an, aber bereits 2013 sollen konkrete Ergebnisse des von Brüssel mit rund 15 Millionen Euro geförderten Projekts vorliegen. 17 Partner, Forschungseinrichtungen, Konzerne und Polizeibehörden arbeiten unter Führung der Krakauer Technischen Universität an dem Observationssystem, um "das Leben für unsere Bürger sicherer zu machen". wie es im Werbevideo heißt. Sollten sich die Resultate als umsetzbar erweisen, bewegt sich die EU damit in eine Richtung, die man in den USA seit 2002 als "Total Information Awareness" (TIA) kennt: eine Art Big-Brother-Datenbank, in der alle verfügbaren Informationen gesammelt und mit Data-Mining-Programmen nach verdächtigen Mustern durchsucht werden sollten.

Ziel solcher Analysen ist das Ausfindigmachen "abweichenden Verhaltens", um so Anschläge zu verhindern und möglicherweise Straftaten vorherzusehen: "Der ideale Weg zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in der EU wäre es, Terrorattacken und organisiertes Verbrechen von vornherein zu unterbinden", heißt es im Schlussbericht des Projekts "Highway to Security – Interoperability for Situation Awareness and Crisis Management" (HITS/ISAC) von 2008, das die EU-Kommission mit über einer Million Euro bezuschusst hat. Dem Forderungskatalog des Projekts zufolge, das die theoretische Grundlage für die Arbeit an INDECT bildet, müssten Sicherheitsbehörden Kriminellen "einen Schritt voraus sein und die Planung solcher illegalen Aktivitäten erkennen und gegen sie vorgehen, bevor sie Schaden anrichten können".

Die technische Grundlage für solche Szenarien bieten moderne Konzepte des Data-Mining – eine Art Turbo-Rasterfahndung. Während die Ermittler bei einer normalen Datenbank-abfrage beispielsweise nach Übereinstimmungen mit Spuren am Tatort suchen oder sich alle Gespeicherten auflisten lassen, die bestimmten Kriterien entsprechen – wie zwischen 20 und 30, blond, männlich –, stellt das Data Mining mithilfe mathematischer und informationstheoretischer Verfahren quasi selbsttätig völlig neue Zusammenhänge her: Die Clusteranalyse zum Beispiel fasst einander ähnliche Datenbankeinträge zusammen, ohne dass die Merkmale dieser Ähnlichkeit explizit definiert werden müssten. Dabei könnte dann herauskommen, dass zu einer Gruppe bislang bereits bekannter Verdächtiger noch weitere Personen gehören, die sich "ähnlich verdächtig" verhalten haben wie die bereits Gesuchten.

Datenschützer und Bürgerrechtler gruseln sich vor dieser Vision, denn die Ergebnisse solcher Datenanalysen sind nicht mehr von Menschen beeinflussbar – auch völlig unbescholtene Bürger könnten gänzlich ohne ihr Wissen in das Fadenkreuz der Fahnder geraten, weil zufällig eine Reihe von Merkmalen ihres Datenbankeintrags in die falsche Richtung weist. Das Schürfen in Bergen personenbezogener Informationen könne zwar helfen, Versicherungsbetrug aufzuklären, sagt der US- Sicherheitsexperte Bruce Schneier. Dem Schmieden von Terrorplänen könne man damit aber sowieso nicht auf die Spur kommen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht zudem die Gefahr, dass Polizei und Nachrichtendienste, die laut Verfassung und Gesetz getrennt arbeiten müssen, "auf dem Wege des Informationsaustauschs fusionieren".