Karlsruher Urteil zur Telekommunikationsüberwachung löst zwiespältige Reaktionen aus

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beschlagnahme von Verbindungsdaten und E-Mails wird als Signal für mehr Rechtssicherheit für die Strafverfolger, aber auch als Stärkung des Persönlichkeitsrechts betrachtet.

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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beschlagnahme von Verbindungsdaten und E-Mails hat so manchem Beobachter Rätsel aufgegeben. "Das Urteil hat mich überrascht", erklärte Philipp Räther, Rechtsanwalt in der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in Köln, gegenüber heise online. Es sei bedenklich, dass der vom Fernmeldegeheimnis gewährte Schutz der Privatsphäre "mit der Auslieferung der Telekommunikation aufhört". Die rechtliche Literatur hätte bislang etwa auch in der Inbox lagernde E-Mails vor einem einfachen Zugriff von Ermittlungsbehörden gesichert gesehen. Es gelte zwar nach wie vor der vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewährte Schutz. Generell sei die Verwendung von E-Mails oder Verbindungsdaten in der Telekommunikation in Strafverfahren aber erleichtert worden.

Verlangt der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis durch Strafverfolger auf der Basis erlassener Gesetze beim Verdacht auf schwere Straftaten in jedem Fall eine richterliche Anordnung, lässt das Karlsruher Urteil nun bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit eine Beschlagnahme von E-Mail und Verbindungsdaten auf digitalen Endgeräten auch bei Untersuchungen geringfügiger Delikte auf Basis der Paragraphen 94 und 98 der Strafprozessordnung (StPO) zu. Darin wird klargestellt, dass eine Sicherung von Beweisgegenständen "bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungsbeamten angeordnet werden" dürfen. Eine entsprechende Begründung könne jeder Polizeibeamte in der Regel immer finden, erläutert Räther im Hinblick auf die Ermittlungspraxis.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zeigt sich dagegen erfreut über die Entscheidung. Die SPD-Politikerin sieht "die Rechtsauffassung der Bundesregierung bestätigt und Rechtssicherheit in einer für die Strafverfolgungsbehörden wesentlichen Frage hergestellt." Sie begrüßt, dass "bewährte Ermittlungsmethoden weiterhin angewendet werden können". Die Entscheidung stellt ihrer Ansicht nach "klare und eindeutige Maßstäbe auf, anhand derer man zuverlässig beurteilen kann, wann der Zugriff auf solche Daten rechtlich zulässig ist".

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hatte für die Einhaltung des Fernmeldegeheimnisses auch bei beim Nutzer lagernder Kommunikationsdaten plädiert. Er erkennt trotzdem auch positive Aspekte bei dem Richtspruch. So betont er, dass das Verfassungsgericht "im Hinblick auf den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefordert hat, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Zugriffs die erhöhte Schutzwürdigkeit dieser Daten besonders zu berücksichtigen ist".

Das Urteil lässt gerade im Bereich E-Mail und Internet aber Interpretationsraum. Das Fernmeldegeheimnis "schützt auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs", schreiben die Richter. Dazu gehöre insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist. Andernfalls wäre der grundrechtliche Schutz unvollständig, da die Verbindungsdaten einen eigenen Aussagegehalt hätten. Andererseits sind die Richter der Ansicht, dass nach Abschluss des Übertragungsvorgangs "im Herrschaftsbereich" des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Kommunikationsdaten nicht durch das Fernmeldegeheimnis, sondern allein durch das weniger ausgeprägte Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt sind. Zur Begründung führen sie aus, dass der Empfänger in dem Moment, in dem eine Nachricht bei ihm angekommen ist, eigene Schutzvorkehrungen gegen den ungewollten Datenzugriff treffen könne. Die Richter erwähnen hier "die Benutzung von Passwörtern oder anderweitiger Zugangscodes sowie bei Verwendung PCs auch den "Einsatz von Verschlüsselungsprogrammen und spezieller Software zur Datenlöschung." Die Möglichkeiten würden "bis hin zur physischen Zerstörung des Datenträgers" reichen.

Ganz so einfach ist die Sache aber nicht: So verbleiben bei Webmail und bei der Nachrichtenabfrage via IMAP im Gegensatz zur Mailabholung über die POP3 die Kommunikationsinhalte in der Regel auf dem Server. Selbst bei POP3 werden die Mails nicht immer sofort beim Provider gelöscht, zumal die Anbieter teilweise umfangreiche Sicherungsroutinen installiert haben. Gilt für diese Nachrichten nun das Fernmeldegeheimnis? Das Bundesverfassungsgericht lässt hier dem Anschein nach weiter eine juristische Grauzone.

Die Strafverfolger selbst haben sich laut einer Studie des Bundeskriminalamts über "aktuelle Rechtsprobleme der Telekommunikationsüberwachung" dagegen schon entschieden und sehen auch in solchen Grenzfällen Möglichkeiten für eine dem Nutzer dann verborgen bleibende Beschlagnahmung. In der Studie heißt es dazu: "Wenn bereits eine Informationsübermittlung durch Abruf der Nachricht stattgefunden hat, ist das Verbleiben der Information auf dem Speichermedium nicht mehr Bestandteil des Telekommunikationsverkehrs, da dieser bereits durch Zweckerreichung abgeschlossen ist. Das gegebenenfalls stattfindende 'Weiterruhen' der Nachricht auf dem Speichermedium des Mailbox-Betreibers dient dann nicht mehr der Nachrichtenkommunikation", sondern nur noch der vom Fernmeldegeheimnis nicht mehr geschützten "Nachrichtenkonservierung".

Ganz eindeutige Worte fanden die Richter auch zu der von Brüssel beschlossenen pauschale Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten im Telekommunikationsbereich nicht. Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, und ihr Kollege im EU-Parlament, Cem Özdemir, sind sich aber sicher, dass die geplante Richtlinie laut dem Urteil "in Konflikt mit dem deutschen Grundgesetz steht". Bürger dürften nicht pauschal unter Verdacht gestellt werden.

In ihrer Entscheidung warnen die Verfassungsrichter tatsächlich davor, dass durch die bei der Telekommunikation anfallenden Verbindungsdaten auch verstärkt die Abwicklung von Alltagsgeschäften, wie das Einkaufen oder dem Bezahlen von Rechnungen, die Beschaffung und Verbreitung von Informationen und die Inanspruchnahme vielfältiger Dienste erfasst werden könnte. So würden sich in zunehmendem Maße "Rückschlüsse auf Art und Intensität von Beziehungen, auf Interessen, Gewohnheiten und Neigungen und nicht zuletzt auch auf den jeweiligen Kommunikationsinhalt" ziehen lassen -- "Erkenntnisse, die an die Qualität eines Persönlichkeitsprofils heranreichen können". Die Richter betonen aber auch, dass "die wirksame Strafverfolgung ein legitimer Zweck zur Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist". Die Ermittler müssten insbesondere auch "mit dem technischen Fortschritt" mithalten können. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit sei es daher nicht geboten, eine Beschlagnahme der bei dem Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten generell auf Ermittlungen zu Straftaten "von besonderer Bedeutung" zu begrenzen. (Stefan Krempl) / (jk)