Tausende demonstrieren für Datenschutz auf Großdemo in Berlin

Zum Auftakt der Kundgebung "Freiheit statt Angst" machten Redner vor allem gegen die Vorratsdatenspeicherung, ELENA, Websperren sowie die elektronische Gesundheitskarte mobil und warnten vorm "Schäuble im Schafspelz".

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Etwa 7500 Demonstranten gingen heute in Berlin gegen Vorratsdatenspeicherung und ELENA auf die Straße.

(Bild: Stefan Krempl)

Freiheit statt Angst 2010 (10 Bilder)

Demonstration "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn"

padeluun vom Foebud eröffnet die Auftaktkundgebung (Bild: heise online / Stefan Krempl)

Zum Auftakt der Kundgebung "Freiheit statt Angst" am heutigen Samstag in Berlin machten Redner vor allem gegen die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten, den elektronischen Einkommensnachweis (ELENA), Websperren sowie die elektronische Gesundheitskarte mobil. "Die Regierung hat gelernt", warnte die Journalistin Anne Roth vor einem "Schäuble im Schafspelz" unter Anspielung etwa auf Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der sich in der Öffentlichkeit mit Forderungen nach neuen Überwachungsprojekten stärker zurückhält als seine Vorgänger. Aber auch der CDU-Politiker wolle die verdachtsunabhängige Protokollierung elektronischer Nutzerspuren, den Bankdatenaustausch sowie die Bundeswehr im Innern. Sein neuestes, in der Praxis bereits ohne Ankündigung vorangetriebenes Projekt sei es, "die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten aufzulösen".

Auch Google Street View steht in der Kritik der Datenschützer.

(Bild: Stefan Krempl)

padeluun vom FoeBuD sammelte bereits tausende Unterschriften für eine Verfassungsbeschwerde gegen ELENA.

(Bild: Stefan Krempl)

"Es werden alle weiter beobachtet, die durchs Raster fallen", sagte Roth, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Andrej Holm monatelang wegen dessen "Hang zur Heimlichkeit" angesichts des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der Organisation "militante gruppe" von Sicherheitsbehörden überwacht wurde. "Aber wir lassen uns nicht kontrollieren", rief die Aktivistin. "Wir sind gemeinsam gegen Überwachung." Mit der vierten Großdemonstration für Datenschutz in Folge werde erneut deutlich, "dass es wieder eine Bewegung für Freiheit" gebe. Die Veranstaltung im vergangenen Jahr, an der sich mehrere zehntausend Bürger beteiligt hatten, habe der Politik erst gezeigt, was sie mit ihrem Drängen auf Sperren im Rahmen des umkämpften Zugangserschwerungsgesetzes "verschlafen" habe.

Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, begrüßte, dass das Bundesverfassungsgericht mittlerweile in seinem Urteil gegen die Vorratsdatenspeicherung "grundlegende Maßstäbe" aufgestellt habe. So dürfe der Bürger durch Überwachungsmaßnahmen "nicht unter Anpassungsdruck" geraten. Gebe es ständig Anzeichen, beschattet zu werden, "ist die Demokratie in Gefahr". Pressefreiheit brauche Informantenschutz. Auch die Meinungsfreiheit könne sich nur "ohne Vorzensur" entfalten. Bei der Vorratsdatenspeicherung dürfe daher "keine Kompromisse" geben: "Sie muss endgültig abgeschafft werden." Dies sei auf EU-Ebene nun zu verankern. Deutschland habe in den vergangenen 80 Jahren genug Erfahrungen damit gesammelt, dass "Datensammlungen missbraucht werden können".

Beim Vorstoß der Regierung zum Arbeitnehmerdatenschutz befürwortete Bsirske das geplante "Verbot heimlicher Videoüberwachung". Andererseits bringe der Entwurf neue Überwachungsbefugnisse für Arbeitgeber mit sich, etwa im Bezug auf Verbindungs- und Inhaltsdaten der Telekommunikation. Selbst "auf Verdacht hin" dürften Daten erhoben werden. So würde etwa die "Schnüffelei bei der Deutschen Bahn", vor deren Konzernrepräsentanz am Potsdamer Platz die Demonstration startete, "legalisiert". Man habe bei ver.di zudem beschlossen, den mit ELENA drohenden "Exzess an Datensammelwut" nicht umzusetzen. An die Politik appellierte er, das schon "zum Himmel stinkende Projekt" endgültig zu begraben. Nicht zuletzt plädierte er dafür, den Grundsatz der Datensparsamkeit stärker zu berücksichtigen, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern und "die Medienkompetenz auch hinsichtlich des Urheberrechts zu stärken".

"Wir sind gemeinsam gegen Staatswillkür und Datengier", betonte Martin Grauduszus von der Freien Ärzteschaft. Er machte eine "neue Protestkultur" in Deutschland aus, an der die Politiker nicht mehr vorbeikämen. Die Menschen begehrten auf "gegen die Bürgerferne ihrer Regierenden". Am Beispiel von ELENA und der elektronischen Gesundheitskarte machte der streitbare Arzt darauf aufmerksam, dass "die Würde des Menschen auf dem Seziertisch" liege und "zur Datenschnüffelei" freigegeben sei. So werde durch die "E-Card" im Gesundheitswesen etwa das "unverzichtbare Bollwerk der ärztlichen Schweigepflicht" durch die im Hintergrund bereits angelegten "riesigen Server" zur Datenzusammenführung hinweggefegt. Eine solche weitere "Vorratsdatenspeicherung in Reinkultur", die "schlimmer als die Google-Krake" sei, müsse nötigenfalls wieder vom Verfassungsgericht gestoppt werden.

Auch der Anmelder der wieder von einem breiten Bündnis von Nichtregierungsorganisationen und Parteien getragenen Demo, padeluun von der Datenschutzvereinigung FoeBuD, wies auf die Justiz als immer wieder geforderte Regulierungsinstanz für den Gesetzgeber hin. So hätte die Bewegung innerhalb von 14 Tagen 22.000 Unterstützer für eine Verfassungsbeschwerde gegen ELENA und 14.000 gegen das Gesetz für die geplante neue Volkszählung zusammengebracht. Als nächstes werde man "gegen das Zensurgesetz" zur Erschwerung des Zugangs zu rechtswidrigen Seiten vorgehen, kündigte der Mitausrichter des "Big Brother Award" an. Dieses müsse weg, sodass die Anwälte der Bürgerrechtler derzeit an der Klage in Karlsruhe arbeiteten.

Im Anschuss machte sich bei strahlendem Sonnenschein ein knapp ein Kilometer langer Protestzugs mit mehreren Wagen sowie bunten Fahnenträgern der beteiligten Parteien, einem antikapitalistischen und einem antifaschistischen Block und der obligatorischen "Datenkrake" auf den Weg durch die östliche Innenstadt vorbei am Auswärtigen Amt und historischen Gebäuden am Boulevard Unter den Linden zurück zum Ausgangspunkt. Teilnehmer reckten Plakate und großflächige Transparente mit Aufschriften wie "Stoppt die willkürliche Datenspeicherung", "Lauscher zu, wenn ich telefoniere" oder "Privacy is not a crime" in den Himmel. Auch ein sich als "Google Street View"-Kamerawagen ausgebendes Auto war am Start. Vertreter des Organisationsteams gingen von rund 7500 Demonstranten und einem sichtbaren Rückgang der Teilnehmerzahl im Vergleich zu den beiden Vorjahren aus, da derzeit "das Feindbild" fehle. Der Kampf um die Bürgerrechte und gegen den Überwachungswahn spiele sich aber zunehmend auf vielen verschiedenen Ebenen ab.

Auf der Abschlusskundgebung erinnerte Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung daran, dass der Einsatz verbrecherischer Mittel nicht dadurch besser werde, dass er von einer gewählten Regierung ausgehe. Unter Anspielung auf den neunten Jahrestag des 11. Septembers 2001 erklärte er, dass kein Terroranschlag es rechtfertige, "Killerdrohnen" einzusetzen oder personenbezogene Informationen über EU-Bürger unkontrolliert an die USA auszuliefern. (hag)