Aus Feind mach Freund

Damit der Körper ein transplantiertes Organ annimmt, muss das Immunsystem mit aggressiven Medikamenten unterdrückt werden. Forscher wollen die Körperabwehr so umprogrammieren, dass sie fremdes Gewebe besser toleriert.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Kristin Raabe
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Abendliche Telefonanrufe verheißen nicht immer Gutes. Doch als es am 25. Oktober 2001 um 21 Uhr bei Gunnar Leonhardt klingelte, ging sein größter Wunsch in Erfüllung. Seine Ärztin teilte ihm mit, dass endlich eine passende Spenderniere für ihn gefunden worden war. Sechs Jahre lang hatte der Polizeibeamte auf diese erlösende Nachricht gewartet. Er litt an einer sogenannten polyzystischen Nierendegeneration, einer lebensbedrohlichen Erbkrankheit, bei der sich in beiden Organen flüssigkeitsgefüllte Zysten bildeten und sie deshalb nicht mehr in der Lage waren, sein Blut von Giftstoffen zu reinigen. Die Spenderniere sollte ihm ein neues Leben ohne quälende Dialyse, also maschinelle Blutwäsche, ermöglichen. Nur wenige Stunden später, um vier Uhr morgens, pflanzten Chirurgen des Berliner Klinikums Charité Gunnar Leonhardt die neue Niere ein.

Derzeit warten in Deutschland etwa 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan, fast 8000 davon brauchen eine neue Niere. Doch nur jeder Dritte erhält tatsächlich ein neues Organ. Und selbst dann ist das Problem meist nicht ausgestanden, denn viele landen über kurz oder lang erneut auf der Warteliste: Fast jeder fünfte Nierentransplantierte erleidet eine akute Abstoßungsreaktion, obwohl die Gewebemerkmale zwischen Spender und Empfänger gut übereinstimmen. Und selbst wenn ein neues Organ die riskante erste Zeit nach der Transplantation übersteht, tut es selten länger als 10 bis 15 Jahre seinen Dienst im Körper des Patienten. Dafür sind oft ausgerechnet jene Medikamente verantwortlich, ohne die keine Transplantation möglich wäre: Die sogenannten Immunsuppressiva unterdrücken das natürliche Abwehrsystem des Körpers und sollen auf diese Weise verhindern, dass er sich gegen das fremde Organ widersetzt.

Doch damit machen die Medikamente den Körper nicht nur anfällig für allerlei Infektionen, die er sonst gut abwehren könnte, sondern schädigen auch verschiedene Organe, vor allem die Nieren und das Herz. Fast die Hälfte der 20 Tabletten, die Gunnar Leonhardt jeden Tag einnehmen muss – das "Kompott", wie er es nennt –, soll solche Schäden abwenden. So schluckt er etwa Mittel gegen Bluthochdruck und zum Schutz seines angegriffenen Magens. Im Extremfall benötigen Patienten mit einem transplantierten Herzen später auch eine neue Niere; oder Nierentransplantierte erleiden wegen der gefäßschädigenden Nebenwirkungen ihrer Immunsuppressiva einen Herzinfarkt. Deshalb suchen Wissenschaftler weltweit fieberhaft nach Möglichkeiten, das Immunsystem von Patienten so umzuprogrammieren, dass ihre Körper die transplantierten Organe auch ohne die Medikamente dauerhaft akzeptieren.

Diese sogenannte Toleranzinduktion ist so etwas wie der heilige Gral der Transplantationsforscher. Wenn sie ihn fänden, wären die Auswirkungen immens: Der ungeheure Organmangel könnte erheblich zurückgehen, weil die transplantierten Organe länger ihren Dienst tun und weil nicht mehr mühsam passende Spender gesucht werden müssten, deren Gewebemerkmale mit denen der Empfänger übereinstimmen. Es kämen stattdessen auch Ehepartner und andere nicht verwandte Personen als Spender infrage.

Erste Etappensiege wecken Hoffnungen, dass es langfristig gelingen könnte, das Immunsystem auf diese Weise zu trainieren. Viele dieser Verfahren basieren auf einer neuen Theorie darüber, warum ein Körper fremde Organe abstößt. Bisher dachte man, dass es auf die Ähnlichkeit der Gewebemerkmale zwischen Spender und Patient ankommt – also auf spezielle Proteingruppen auf der Oberfläche ihrer Zellen, die ähnlich einem Mannschaftstrikot die Unterscheidung zwischen "selbst" und "fremd" ermöglichen. Doch der sogenannten "Danger Theory" zufolge reagieren die Abwehrzellen des Empfängers nicht ausschließlich auf fremde Trikots – sonst müssten sie etwa auch die nützlichen Darmbakterien angreifen –, sondern nur dann, wenn sie gleichzeitig weitere molekulare Gefahrsignale detektieren. Diese können, so die neue Theorie, von den Zellen des Spenderorgans stammen, die aufgrund des Transportschocks – ausgelöst etwa durch Sauerstoffmangel und Stress – während der Transplantation ausgesandt werden.