Studie: GPS-Störungen in der Ostsee werden komplexer und stärker

Bei den Unterbrechungen von Satellitennavigation bei Kaliningrad kommt es laut einer Analyse mittlerweile zu einem Wechsel von Spoofing- und Jamming-Angriffen.

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Schiff fährt auf hoher See.

(Bild: Korn Srirawan/Shutterstock.com)

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Die intensive Störungsaktivität von Systemen zur Satellitennavigation (GNSS) wie GPS im südöstlichen Ostseeraum hat ein gefährlicheres Ausmaß erreicht. Das ist das Ergebnis einer jetzt veröffentlichten Untersuchung polnischer Forscher im Auftrag der Sicherheitsfirma Hensec. Die Studie knüpft an frühere Berichte über massive GNSS-Interferenzen in dieser strategisch wichtigen Region an. Sie offenbart aber einen deutlichen Wandel in der Vorgehensweise der Angreifer: Weg von reinem, unpräzisem Jamming hin zu koordinierten, kombinierten Attacken aus Spoofing und aktiver Störsendung, die direkt die Navigation gefährden.

Die neue Messkampagne, die Experten der Firma GPSPatron und der Meeresuniversität Gdynia durchführten, unterscheidet sich methodisch von früheren Erhebungen, die auf stationäre Sensoren an Land setzten. Um die reale und dynamische Gefährdung der Schifffahrt im Einsatzgebiet präziser abzubilden, installierten die Wissenschaftler einen hochentwickelten Interferenzdetektor, den GP-Probe TGE2, direkt an Bord eines Forschungsschiffes. Dieses mobile Messlabor operierte über einen Zeitraum von fast vier Monaten, vom 23. Juni bis zum 14. Oktober 2025, systematisch im gesamten südlichen Ostseeraum und näherte sich dabei regelmäßig der Seegrenze zur russischen Oblast Kaliningrad (Königsberg).

Durch diese maritime Perspektive konnten die Forscher Effekte erfassen, denen Schiffe tatsächlich und ungeschützt ausgesetzt sind. Diese blieben von landgestützten Beobachtungsposten aufgrund der Erdkrümmung und Signalabschattungen bisher verborgen. Die dabei gewonnenen Daten zeichnen ein alarmierendes Bild des aktuellen elektronischen Kampfgeschehens in der Gegend. Während frühere Analysen lediglich ein großflächiges Jamming – also das Blockieren – der Signale mehrerer Satellitenkonstellationen zeigten, dokumentieren die Messungen nun eine wesentlich raffiniertere und zielgerichtetere Taktik.

Die Angreifer setzen demnach auf eine Kombination aus GPS-L1-Spoofing und gleichzeitigem Jamming. Beim Spoofing werden hochpräzise künstliche Satellitensignale erzeugt und an den Empfänger gesendet, die eine falsche Position vortäuschen können. Diese ist metergenau verschoben, was die Besatzung in die Irre führt. Gleichzeitig stören die Angreifer aktiv die Signale konkurrierender Konstellationen wie Glonass, Galileo und Beidou.

Diese koordinierte Vorgehensweise zwingt handelsübliche GNSS-Empfänger dazu, ausschließlich die gefälschten GPS-Signale zu verarbeiten, da die echten Hinweise der anderen Systeme unterdrückt sind. Dies stellt eine erhebliche Manipulation der Schiffsnavigation dar, die schlimmstenfalls zu Kollisionskursen und dem Abdriften in Sperrgebiete führen kann.

Die Intensität dieser elektronischen Angriffe hat dabei neue Rekorde erreicht. Die stärksten Störungen traten gebündelt Ende Juni bis in den Juli hinein auf. In diesen Phasen sank die gesamte Verfügbarkeit der globalen Satellitennavigation zeitweise auf 83,5 Prozent, was eine ernste Bedrohung für die betriebliche Sicherheit von Frachtern und Passagierschiffen bedeutet.

Über einen Beobachtungszeitraum von vier Tagen registrierten die Wissenschaftler aktive Spoofing-Angriffe, die die aufgezeichnete Schiffsposition systematisch verfälschten. Den extremsten Vorfall dokumentierten sie in der ersten Juliwoche, als fast 30 Stunden lang eine ununterbrochene Spoofing-Attacke auf die Navigation von Schiffen gerichtet war.

Solche andauernden, intensiven Störungen stellen ein ernstes und direktes Sicherheitsrisiko für den gesamten Seeverkehr dar, da sie Positionsbestimmung und Kursverfolgung massiv beeinträchtigen und nur schwer als solche zu erkennen sind. Präzise Spoofing-Signale lassen sich auch durch einen Plausibilitätscheck nur schwer entlarven. Die detaillierte Analyse offenbart zudem eine Komplexität in der Angriffsstruktur, die zwingend auf eine zentral gesteuerte Koordination hindeutet. Die Forscher identifizierten klar, dass die Interferenzen nicht von einer einzelnen Quelle stammen, sondern von vier unterschiedlichen, synchron arbeitenden Anlagen.

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Dazu gehörten ein dezidierter GPS-Spoofer, zwei sogenannte Chirp-Jammer, die frequenzmodulierte Störsignale aussenden, und ein breitbandiger analoger Störsender. Die unterschiedlichen Spektren und Bandbreiten dieser Signale weisen darauf hin, dass es sich um räumlich voneinander getrennte Anlagen handelt, die koordiniert aktiviert werden, um die maximale Störwirkung zu erzielen und die Ausweichmechanismen von Empfängern zu überlisten. Im Vergleich zur früheren Erkenntnislage hat sich die technische Interferenzlandschaft so signifikant gewandelt.

Die mobile Messplattform dokumentiert einen räumlichen Trend: die Störintensität nimmt auf offener See erheblich zu. Während etwa im Hafen von Danzig lediglich schwache Störungen teils durch zivile Quellen wie Auto-Jammer registriert wurden, stieg die Signalstärke auf offener See um bis zu 15 Dezibel an. Das entspricht einer enormen Zunahme der Sendeleistung, die nur durch leistungsstarke, offenbar militärische Anlagen erreicht werden kann. Die deutlichsten und anhaltendsten Störwerte erfasste das Team auf Kursen, die in Richtung der Kaliningrader Seegrenze führten.

Das bestätigt, dass die Navigationszonen auf See und die Hauptverkehrswege der Handelsschifffahrt am stärksten betroffen sind. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit für Reedereien und Häfen, ihre Navigationssysteme gegen derartige kombinierte Attacken abzusichern und alternative Navigationsmethoden wie unabhängige, nicht-satellitengestützte Inertialsysteme aktiv zu fördern, die etwa Beschleunigungsmesser oder Gyroskope nutzen. Die Experten warnen: Nur so lasse sich die Sicherheit im maritimen Verkehr der Ostsee unter den sich wandelnden elektronischen Bedingungen nachhaltig gewährleisten.

(nen)