Computerschach: Großmeister von Hydra deklassiert

Bislang konnten Großmeister noch mit Hoffnung auf Erfolg gegen Schachprogramme antreten, da es die Ausnahme war, dass ein Programm gegen einen Weltklassespieler durch überlegene Partieführung gewann.

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Von
  • Lars Bremer

Das Sechs-Partien-Match zwischen dem Weltranglistensiebten Michael Adams und dem Schachcomputer Hydra endete für den Großmeister mit einem Debakel -- ein einziges Remis steht fünf Niederlagen gegenüber, 0,5:5,5 lautet der Endstand. Weil Adams nach Resultat bezahlt wurde und für jeden Sieg 25.000 und für jedes Remis 10.000 US-Dollar erhalten sollte, schwillt sein Säckel nur um 10.000 US-Dollar.

Konnten Weltklasse-Großmeister bislang noch mit Hoffnung auf Erfolg gegen Schachprogramme antreten, scheint den Schachcomputern mit Hydra ein großer Sprung nach vorne gelungen zu sein. Kasparow verlor 1997 knapp gegen DeepBlue, doch er stand in den meisten Partien auf Gewinn und verlor die entscheidende letzte Runde durch eine äußerst unglückliche Eröffnungswahl; Kramnik und wiederum Kasparow spielten unentschieden in Matches gegen Fritz und Junior, wobei die Menschen auch diese Matches strategisch dominierten, einige Partien souverän gewannen, andere ebenso souverän remisierten und nur verloren, wenn sie sich mal verrechneten. Dass ein Programm gegen einen Weltklassespieler durch überlegene Partieführung gewonnen hat, war bislang die Ausnahme. Hydra dagegen überspielte Adams in fast jeder Partie und gewann das Match nicht durch taktische Fehler des Gegners, sondern durch überlegene Strategie, selbst wenn Adams ziemlich offensichtlich auf Remis zu spielen versuchte. Ob das auch gegen Kasparow oder Kramnik funktioniert, werden zukünftige Matches zeigen müssen; die Elo-Leistung des Programms, das bis dato noch nie eine Nahschachpartie gegen einen Menschen verloren hat, liegt in diesem Match jedenfalls mehr als 300 Punkte über der aktuellen Elo-Zahl Kasparows. Das entspricht etwa dem Vorsprung, den Kasparow vor Nummer 35 der deutschen Rangliste hat. Zum Vergleich: In Simultankämpfen schlugen sowohl Kasparow als auch Kramnik die deutsche Nationalmannschaft.

Ganz ohne Sprüche geht es aber offensichtlich auch bei Hydra nicht. Auf der Webseite des Projekts gibt der Hersteller stolz an, Hydra würde 200 Millionen Stellungen pro Sekunde berechnen (ebenso viele wie DeepBlue) und den Spielbaum ungefähr sechs Züge tiefer durchsuchen als der IBM-Rechner. Heute wie damals sagen solche Zahlen jedoch praktisch nichts über die Fähigkeiten des Schachprogramms aus, denn durch die Parallelisierung werden viele Stellungen mehrfach berechnet -- und auch mehrfach gezählt. Selbst bei Single-Prozessor-Programmen sagt die Zahl der pro Sekunde berechneten Stellungen gar nichts aus, denn am schnellsten wäre ein Programm, das ohne jede Bewertung und ohne raffinierte Tricks den Suchbaum durchforstet. Jede Technik, die den Suchbaum beschneidet, um die Suche effizienter durchführen zu können, kostet Zeit und reduziert die Anzahl der berechneten Stellungen pro Sekunde. So gewann beim c't-Schachduell   Shredder gegen Fritz, obwohl Fritz fast dreimal so viele Stellungen pro Sekunde berechnete wie Shredder.

Auch die Suchtiefe wäre nur ein Qualitätsmerkmal, wenn ein Programm brute force alle Varianten gleich tief durchsuchen würde, was schon seit vielen Jahren nicht mehr geschieht. Moderne Programme durchsuchen sehr viele Varianten weit weniger tief, als es die angezeigte Suchtiefe vermuten ließe, und berechnen andere Züge, die Erfolg versprechender scheinen, dafür viel tiefer. Spannender als solche nichts sagenden Zahlen ist, dass massiv parallele Programme nicht mehr deterministisch spielen, also bei gleichen Einstellungen unterschiedliche Züge vorschlagen können, sofern mehrere einigermaßen gleich gute Züge existieren. Dies geschieht, weil das Timing der Kommunikation zwischen den einzelnen Prozessen von sehr vielen anderen Dingen abhängt und das Programm deshalb immer unterschiedliche Suchbäume abgrast.

Hydras hoher Matchsieg gegen einen Weltklassespieler katapultiert das Programm in die absolute Weltspitze; es ist fraglich, ob irgendjemand noch eine Chance dagegen hat. Ein Rekord bleibt aber noch für Hydra zu knacken: 1971 gewann der legendäre Bobby Fischer gegen die Nummer acht und gegen die Nummer drei der damaligen Weltrangliste jeweils mit 6-0. (Lars Bremer) / (jk)