Softwarepatente: Neue Zweifel an der Gültigkeit der EU-Ratsposition [Update]

Laut einer Berechnung von Softwarepatentgegnern hat die politische Einigung im Ministerrat vom Mai nach dem Inkrafttreten des im Beitrittsvertrag der erweiterten EU festgelegten Rechts keinen Bestand mehr.

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Softwarepatentgegner lassen nichts unversucht, um die politische Einigung im EU-Rat vom Mai über den umstrittenen Vorschlag für eine Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" doch noch zur Strecke zu bringen. So hat die erst vor kurzem gestartete Kampagne NoSoftwarePatents.com eine Analyse (PDF-Datei) veröffentlicht, der zufolge das Papier der nationalen Regierungsvertreter vom heutigen 1. November an nicht mehr als mehrheitsfähig zu betrachten sei. Hintergrund ist die jetzt in Kraft tretende neue Gewichtung der Stimmen der Mitgliedsländer im Rat nach der EU-Erweiterung vom Mai gemäß Artikel 12 Absatz 1 des Beitrittsvertrags. Demnach fehlen den 20 Ländern, die den Richtlinienvorschlag am 18. Mai unterstützt haben, nun 16 Stimmen zu einer qualifizierten Mehrheit.

Das Zünglein an der Waage bildet Polen. Der Regierungsvertreter des neuen Beitrittslandes hatte sich bei der Abstimmung nach der Vorlage eines "Kompromisspapiers" mit kosmetischen Änderungen enthalten, dies aber nicht mehr gesondert zu Protokoll gebracht. Nach den damaligen Stimmverhältnissen hätte nämlich selbst ein "Nein" der Polen nicht mehr zur Blockade des überarbeiteten Vorschlags gereicht. Mit der neuen Stimmgewichtung hätte eine klare Enthaltung oder ein Veto Polens allerdings die Einigung im Rat unterlaufen. Für den Manager der Anti-Softwarepatent-Kampagne, Florian Müller, steht deshalb fest: Das im Mai verabschiedete Papier ist mit dem heutigen Tag "null und nichtig".

Die Ratsposition stand von Anfang an auf sehr wackeligen Beinen. So kündigte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vorab gegenüber c't aktuell an, dass sich die Bundesregierung enthalten werde. Schon der Einbau einer im Patentrecht eigentlich selbstverständlichen Passage, wonach der "technische Beitrag" einer "computerimplementierten Erfindung" ausdrücklich "neu" sein müsse, führte allerdings zum Umdenken bei den Vertretern ihres Hauses während der Brüsseler Verhandlungen. Die Bundesregierung unterstützte dann doch den Ratsvorschlag und verhalf diesem so mit zum Durchbruch, was von Softwarepatentgegnern heftig kritisiert wurde.

Nach wie vor steht aber die offizielle Verabschiedung der Ratslinie aus. Sie verzögerte sich, da die Brüsseler Bürokratie mit dem Übersetzen der Direktive in die inzwischen 20 Amtssprachen der EU nicht nachkam, und soll nun Ende November erfolgen. Müller appelliert angesichts der veränderten Situation eindringlich an die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, das auf dem Tisch liegende Papier nicht -- wie derzeit geplant -- ohne förmliche Abstimmung und erneute Diskussion zu beschließen. Er fordert "den Beweis einer wahren, gültigen, überprüfbaren und legitimen qualifizierten Mehrheit".

Rückenwind erhalten die Softwarepatentgegner aus nationalen Parlamenten. So hatten die niederländischen Volksvertreter ihre Regierung bereits im Juli aufgefordert, die Zustimmung zur Ratsrichtlinie zurückzunehmen. Auch bei der ersten Plenardebatte im Bundestag Ende Oktober zogen alle vier Fraktionen an einem Strang und positionierten sich gegen den Vorschlag des Ministerrates. Sie befürworteten stattdessen im Prinzip die entgegengesetzte Haltung des Europaparlaments, das eine breite Patentierbarkeit von Software verhindern will. Die Einigung auf einen interfraktionellen Antrag an die Bundesregierung steht aber noch aus.

[Update]:

Ein Sprecher des Justizministeriums bestätigte gegenüber heise online mittlerweile, dass sich die Situation in Brüssel in Bezug auf die Richtlinie "zunehmend verworren" gestalte. Die Berechnungen Müllers bezeichnete er aber als "reine Spekulation". Die politische Einigung im Rat sei im Mai erfolgt und die offizielle Verabschiedung nach wie vor ohne neue Abstimmung Ende November geplant. Änderungen an der Agenda müsste die niederländische Ratspräsidentschaft auf Antrag von Mitgliedsstaaten vornehmen, was sich bisher aber nicht abzeichne. Sollte die Den Haager Regierung aber doch eine erneute Aussprache über die Richtlinie vorsehen, säße ihr dabei sicher auch der politische Druck aus dem niederländischen Parlament im Rücken.

Die Free Software Foundation Europe (FSFE) lässt derweil auch nicht locker in ihrer Kritik am Brüsseler Richtlinienvorhaben. Ihr Präsident, Georg Greve, hat einen offenen Brief an den designierten Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso geschrieben. Darin geht er auf Überlegungen der EU-Kommission ein, eine Art Pflichtversicherung für Softwarepatent-Streitigkeiten einzuführen (PDF-Datei) Die Gedankenspiele interpretiert Greve dahingehend, dass man sich in Brüssel durchaus der Gefahren eines ausgeweiteten Monopolschutzes für Computercode bewusst sei. Der Lösungsansatz sei aber nutzlos, da er ähnlich wirken würde, "wie wenn jemand versuchte, Feuer mit Benzin zu löschen". Greve bittet daher Barroso, Europas Wirtschaft sowohl den Innovationsblocker Softwarepatente als auch den "Wahnsinn einer Versicherung gegen dieses sinnlos geschaffene Risiko" zu ersparen.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)