Experten plädieren für Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes

Bei einer Anhörung im Bundestag bezeichnete die Mehrzahl der Sachverständigen den Schwebezustand rund um das Gesetz für Websperren als rechtswidrig. Auch das Normenwerk an sich hielten viele für verfassungswidrig.

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Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags am heutigen Mittwoch bezeichnete die Mehrzahl der Sachverständigen den derzeitigen Schwebezustand rund um das Zugangserschwerungsgesetz als rechtswidrig. Auch das Paragraphenwerk an sich hielten viele für verfassungswidrig. Der Erlass des Bundesinnenministeriums zur Nichtanwendung des umkämpften Gesetzes für Websperren zur Bekämpfung der Kinderpornographie verstoße gegen die Pflicht der Verwaltung, wonach diese geltende Rechtsnormen vollziehen müsse, betonte etwa Dirk Heckmann, Internet-Rechtler der Universität Passau. Es gebe zwar einen gewissen "Beurteilungsspielraum" der Regierung, der aber nicht so weit wie in diesem Fall gedehnt werden könne.

In dem von Schwarz-Gelb für ein Jahr teils ausgesetzten Zugangserschwerungsgesetz machte der Jurist ein "Potpourri von Verfassungsverstößen" aus. Es sei insgesamt unverhältnismäßig und lasse auch Eingriffe ins Fernmeldegeheimnis zu. Bewirkt würde allenfalls eine "minimale Zugangsverzögerung", die letztlich "keine Auswirkungen auf Vertrieb und Konsum" von Kinderpornographie hätte. Auf Seiten der Nutzer sei die Meinungs- und Informationsfreiheit, auf Seiten der Anbieter die Berufsfreiheit durch "Overblocking" legaler Angebote betroffen. Ferner sei die Norm nicht bestimmt genug. Auch der "Parlamentsvorbehalt" werde umgangen, da die Provider über die Blockadetechnik und damit über die Tiefe von Grundrechtseingriffen selbst entscheiden könnten. Rechtsschutzmöglichkeiten würden nicht eröffnet.

Der Kölner IT-Fachanwalt Dominik Boecker sprach sich ebenfalls für eine vollständige Aufhebung des Gesetzes aus, wie dies Grüne und Linke fordern. Besser sei ein völkerrechtlicher Vertrag zum Löschen von Missbrauchsbildern, der letzte Unsicherheiten für die Provider und die Ermittler ausräume. Er gebe einer Lösung den Vorzug, die den Abruf des inkriminierten Materials für alle Nutzer weltweit "sicher unterbindet". Es wundere ihn, dass einige Organisationen, die sich den Kinderschutz auf die Fahnen geschrieben hätten, für Sperren und somit "halbherzige Ansätze" seien.

Dass der "bloße Vorschlag" für eine EU-Richtlinie mit einem Artikel für Blockaden einem Aufhebungsgesetz nicht entgegenstehe, machte der Berliner Strafrechtler Klaus Hoffmann-Holland deutlich. Grundsätze wie dem der "loyalen Zusammenarbeit" mit Brüssel würden dadurch nicht gefährdet. Zugleich stellte er die Effizienz einer "informellen Kontrolle" rechtswidriger Inhalte durch die Nutzergemeinde selbst heraus. Sperren könnten "zufällige Entdeckungen" und darauf basierende Meldungen an die Polizei oder Selbstkontrolleinrichtungen der Wirtschaft behindern. Wichtig sei eine "klare und wirksame Bekämpfung" von Kindesmissbrauch und erneuter Opferwerdung durch Tatdarstellungen im Netz. Dabei sollte sich der Gesetzgeber nicht auf "symbolhafte Aktionen" beschränken.

Das Löschen einschlägiger Bilder müsse international "der zentrale Ansatz" sein, erklärte auch der Kölner Anwalt Dieter Frey. Sperren als Zusatzoption bezeichnete er als "kontraproduktiv", da sich die "Hoheit" über einen nationalen Kommunikationsraum im Internet damit sowieso nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln zurückgewinnen lasse und sich die Strafverfolger nur dahinter versteckten. Das Zugangserscherungsgesetz lehnte Frey ab, weil damit ein "Dammbruch zu einem universellen Einsatz von Sperren zur Rechtsdurchsetzung" und die "Auswertung des gesamten Surfverhaltens" der Bürger verbunden sei. Dass die Polizei international nicht besser beim Löschen kooperieren könne, fürchtet der Jurist nicht. Selbst förmliche Verwaltungsakte dürften laut Gerichtsentscheidungen im Ausland zugestellt werden, während es sich bei den Aufforderungen zum Entfernen kinderpornographischen Materials "nur um Hinweise" handle.

Als "nicht hinnehmbar" deklarierte Peter Jürgen Graf vom Bundesgerichtshof die momentane rechtliche Situation beim Zugangserschwerungsgesetz. Die Frage der Verfassungswidrigkeit sehe er aber "nicht so klar". Die Argumente der Sperrgegner wollte er nicht gelten lassen und bot den Abgeordneten die Wette an, dass Zweidrittel von ihnen die Blockade von Webseiten mit ihren Smartphones nicht umgehen könnten. Die Löschbemühungen des Bundeskriminalamts (BKA) liefen zudem mit einer Erfolgsquote von durchschnittlich 44 Prozent nach einer Woche in den vergangenen Monaten "ins Leere". Eine Aufhebung des Gesetzes sei zudem der falsche Weg, weil damit "auch die Löschungsaufforderungen aus dem Gesetz" gestrichen würden. Heckmann und Frey sahen dagegen eine Pflicht zum Einschreiten bereits aus dem allgemeinen Polizeirecht erwachsen.

Für den BKA-Vizepräsidenten Jürgen Maurer besteht der "kriminalpolitische Bedarf nach Sperren" derweil "unverändert". Eine bessere Durchsetzung von Löschungen sei "keine Frage der Ressourcenknappheit". So seien bei der Polizeibehörde "etwa sechs Personen mit Blocking-Überlegungen" beziehungsweise "im Moment mit Löschen" beschäftigt. Es hapere aber trotz "Mahnschreiben" nach sieben Tagen "an der Reaktion aus dem Ausland". Generell würden Kinderpornos "nicht gelöscht, sondern nur an dieser Stelle nicht mehr verfügbar" gemacht. Die Zugangserschwerung sei daher eine gute Ergänzung.

Carmen Kerger-Ladleif vom Verein Dunkelziffer sprach sich ebenfalls für Sperren aus, "wenn Löschen nicht möglich ist". Dabei dürften auch "Tauschbörsen keine rechtsfreien Räume sein". Stopp-Schilder könnten potenzielle Täter daran erinnern, dass sie etwas Verbotenes tun. Zudem sei bekannt, "dass Bilder allein nicht satt machen". Es müsse "jede Chance" genutzt werden, um Pädosexuellen "eine Grenze aufzuzeigen".

"Sperren funktioniert", berichtete Lars Underbjerg von der dänischen Polizei über Erfahrungen in seinem Land. Durchschnittlich würden mit der dortigen Sperrliste, auf der Anfang November 246 Domains der "schlimmsten Fälle" gelistet gewesen seien, 2500 bis 3000 Zugriffe täglich verhindert. Zugleich räumte der Strafverfolger ein, dass Dänemark und andere skandinavische Länder Kinderpornofunde nicht mehr in die USA meldeten. Wenn dies "alle Polizeibehörden" machten, "würden wir ständig die gleichen Inhalte jagen", meinte Underbjerg. Das wäre "eine große Zeitverschwendung". Man sage den Ermittlern jenseits des Atlantiks daher nur noch, dass es dort "ein generelles Problem gibt". Parallel verhindere man, dass die Inhalte in den dänischen Rechtsraum gelangten. (pmz)