Softwarepatente: Besser keine Richtlinie als eine schlechte

Neue Einigkeit im EU-Parlament: Es sei an der Zeit, die Notbremse zu ziehen, da sich weder absolute Mehrheiten für die Ratslinie noch für breite Änderungen daran abzeichnen.

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Am voraussichtlichen Ende der zweieinhalbjährigen, überaus kontroversen Debatte im EU-Parlament rund um die Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" herrscht unter Fachpolitikern und Lobbyisten seltene Einigkeit: "Besser keine Richtlinie als eine schlechte", raunte es am heutigen Dienstag allenthalben über die Flure des Abgeordnetenhauses in Straßburg. Wobei die jeweilige Definition von "schlecht" sich allerdings bei den Softwarepatentgegnern auf die Vorlage des EU-Rates bezieht, während die industrienahe Seite damit die letzten Änderungsvorschläge des parlamentarischen Berichterstatters Michel Rocard meint. Wie dem auch sei, nach der Debatte im Rahmen der 2. Lesung der Richtlinie scheint klar zu sein, dass die Richtlinie bei der morgigen Abstimmung im Papierkorb der Rechtsgeschichte "entsorgt" wird.

Vertreter der Hauptlobbygruppen wollen sich noch nicht mit dem voraussichtlichen Aus für die Direktive abfinden. "Das wäre eine verpasste Gelegenheit", kommentierte Mark McGann, Präsident des Branchenverbands EICTA, den von vier Fraktionen vorgeschlagenen "präemptiven Schlag" zur Beerdigung der Richtlinie gegenüber heise online. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoller, die Patentierungsregeln in den EU-Mitgliedsstaaten gemäß Ministerrat-Standpunkt zu vereinheitlichen und der weit gehenden Praxis des Europäischen Patentamtes anzupassen.

Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII), die Unternehmerinitiative gegen Softwarepatente und die Free Software Foundation Europe (FSFE) würden es dagegen am liebsten sehen, falls sich doch noch eine absolute Mehrheit der 732 Abgeordneten für die von Vertretern der größten Fraktionen mit unterstützten Vorschläge Rocards erwärmen würden. Bemerkenswert sei, erklärt FFII-Vorstand Hartmut Pilch, dass der Vorschlag zur Ablehnung der gesamten Richtlinie "erst in dem Moment aufkommt, wo eine Mehrheit für den parteiübergreifenden Kompromiss in greifbare Nähe rückt." Die elegantere Lösung wäre es, die Stimmen für Rocard zustande zu bringen und dem Rat sowie der EU-Kommmission "aus einer überlegenen Stellung heraus gegenüberzutreten". Anscheinend sei die Zurückweisung aber momentan die einzig stimmige Linie, auf die sich die ansonsten "unversöhnlichen Lager" hätten einigen können.

"Wir haben gezählt, gezählt und gezählt", bestätigt Maria Berger, sozialdemokratisches Mitglied im federführenden Rechtsausschuss, diese Sichtweise im Hinblick auf informelle Vorabstimmungen für das morgige Votum. Mehr als 340 Stimmen für den Rocard-Kompromiss seien dabei aber nicht herausgekommen. Benötigt würden knapp 30 mehr. Es wäre daher sehr riskant, doch noch auf eine "Welle der Begeisterung" für die Vorschläge des französischen Ex-Premiers zu setzen. Die Chance zur Ablehnung der Richtlinie sei schließlich nur vor der Abstimmung über Änderungsanträge gegeben. "Und bevor wir morgen auf dem Standpunkt des Rates sitzen bleiben, ist es besser, gleich die Notbremse zu ziehen", glaubt die Österreicherin.

"Über Jahre wurde die Bedeutung der Harmonisierung im Interesse der europäischen Wettbewerbsfähigkeit von allen Seiten betont", sagt dagegen FSFE-Präsident Georg Greve, der sich vergangene Woche im Rahmen des Karlsruher Memorandums vehement für eine Einschränkung der Patentpraxis entlang der Position des EU-Parlaments aus der 1. Lesung eingesetzt hatte. "Morgen besteht die Chance, diese tatsächlich zu sichern. Sich zu enthalten oder gar gegen die Richtlinie insgesamt zu stimmen, würde die Debatte der letzten Jahre entlarven: Nur durch Abstimmung für eine Richtlinie mit entsprechenden Anpassungen wird den Interessen Europas gedient."

Rocard selbst würde es "mit den Augen der Gesamtgesellschaft gesehen" für einen "schrecklichen Fehler" halten, falls seine Empfehlungen nicht durchgehen. Verschwendete Zeit wäre die langwierige Auseinandersetzung mit dem seinerseits jahrelang vorbereiteten Vorschlag der Kommission jedoch nicht gewesen. "Tausende Menschen haben etwas über das Thema gelernt", freut sich der Sozialist über die erfolgte "Bewusstseinsbildung". Schon allein die Tatsache, dass die Parlamentarier in 1. Lesung die Version der Kommission "auf sehr strikte Weise" verbessert und reinen Softwarepatenten eine klare Absage erteilt hätten, sei einem "kulturellen Schock" und einem "politischen Großereignis" gleich gekommen. Dass Konzerne wie Microsoft oder Verbände wie EICTA dieses Ergebnis nicht akzeptiert hätten, läge an deren "Glauben an kurzfristige Interessen". Eine generelle Einführung von Softwarepatenten würde es "mächtigen Firmen" erlauben, die "Kontrollketten" über das "intellektuelle Eigentum" zu weitflächig zu beherrschen. Selbst der Oberste Gerichtshof warte daher auf die europäische Entscheidung, da dort momentan eine Handvoll Patente aufgrund der "möglichen Verletzung der freien Erschaffung von Ideen" untersucht würden.

Für das grüne Rechtsausschussmitglied Eva Lichtenberger wäre die Zurückweisung der Direktive letztlich ebenfalls schon "ein großer Erfolg". Das Parlament würde damit bekräftigen, "dass es dort keine Mehrheit für die Patentierung von Software gibt". Dies könne den Bürgern auch wieder das Vertrauen geben, "dass sich die Leute hier trotz des ganzen Lobbying mit Fehlinformationen der großen Konzerne mit einer Sache wirklich auseinandersetzen". International unter Beschuss kommt derweil der Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP), der angesichts einer möglichen Mehrheit für die Rocard-Vorschläge nach dem Hinarbeiten auf die rats- und industrienahe Linie des Rechtsausschusses am heutigen Dienstag überraschend die Blockadevariante mit unterstützte. So nimmt das heutige Wall Street Journal die Tatsache, dass Lehne genauso wie seine Parteikollegin Angelika Niebler bei Kanzleien mit Eigeninteressen im Patentwesen arbeiten, zum Anlass, um auf der Titelseite auf die "schwache Ethik" und die mangelnde Transparenz beim Lobbying in Brüssel hinzuweisen. Pikant ist dabei auch, das Niebler als Ersatz für ein ordentliches Rechtsausschussmitglied mithalf, das wichtige Parlamentsgremium auf softwarepatentfreundliche Linie zu bringen.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (anw)