Der Elefant im Straßentest

Welche Lehren ein Dickhäuter-Testritt für die Zukunft der Mobilität bereit hält.

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Von
  • Martin Kölling

Welche Lehren ein Dickhäuter-Testritt für die Zukunft der Mobilität bereit hält.

In Thailands Tierparks werden Elefanten als smarte Freunde des Menschen dargestellt. Im Tropengarten "Nong Nooch" nahe dem Bade- und Partyort Pattaya können sie Fußball spielen, Bilder malen und Menschen mit ihren Rüsseln und Füßen massieren. Doch vor allem können sie – geritten – den Menschen als Fortbewegungsmittel dienen und damit wenigsten mir nebenbei den Beweis erbringen, welche großen Fortschritte die Menschheit in Sachen Mobilität gemacht hat.

Bei der Tour durch den Baum- oder Asphaltdschungel muss sich zwar der elefantastisch Beförderte keine Sorgen um herumkriechende Schlangen, Tiger oder Fußgänger und Mopedfahrer machen. Aber dafür schlagen einem bei einer Sitzhöhe von etwa vier Meter gerne entweder die Dschungelbäume oder Brückenunterkanten ins Gesicht. Und zudem schaukelt es auf dem Stahlrohrsitz mit polsterloser Rückenlehne dermaßen, dass man sich wünscht, zu Fuß neben dem Elefanten hergehen zu können, allen Gefahren der alten wie modernen Dschungellandschaften zum Trotz. Und wir haben dabei noch nicht einmal über die Klimaanlage gesprochen. (Anmerkung: Mir wurde gesagt, dass sattelloses Reiten auf dem Elefanten eine ganz andere Erfahrung bietet.)

Unwillkürlich ertappe ich mich bei dem umweltpolitisch wahrscheinlich höchst unkorrekten Gedanken, dass ich ein Benzin schluckendes, Kohlendioxid ausstoßendes Vierradgefährt meinem weit umweltfreundlicheren Vierbeiner vorziehe, der nur Bananen verspeist und Kot ausscheidet. Den Thailändern geht es auch so. Die Elefanten sind als Fortbewegungs- und Arbeitsmittel arbeitslos geworden. Stattdessen pfeifen die Thailänder genau wie die Europäer zuvor auf alle ökologischen Bedenken und setzen aufs weit bequemere Autos.

Bei der Standardmobilitätseinheit handelt es sich dabei um Pick-up-Trucks. Die Thailänder sind nach den Texanern wahrscheinlich die größten Fans dieser visuellen Zumutungen. Im siamesischen Königreich kombinieren sie zumeist die Kabine eines Smart oder Polo mit der Ladefläche eines Kleinlasters. Aber die Produkte dieser Kreuzung sind extrem praktisch, da sie je nach Umbau Ananas, Federvieh, Kokosnüsse oder Touristen befördern können. Kurzum – und damit schlagen wir gekonnt den Bogen zur Zukunft der Mobilität: Sie befördern Menschen oder Güter ohne viel Schnickschnack von A nach B.

Und genau darin, der Beförderung von A nach B ohne Schnickschnack, könnte wenigstens in den Industrieländern die Zukunft des Autos liegen. Diese Meinung teilte mit mir jüngst ein Manager eines westlichen Herstellers. Er sagte mir, dass genau diese Aussicht die Autohersteller auch so stark beim Thema eAuto zögern lässt. Seiner Aussage zufolge fürchten die Hersteller, dass mit dem möglichen Aufkommen kleiner, relativ langsamer, leichter Elektromobile immer stärker "rationale" Gründe die Kaufentscheidung bestimmen werden und nicht mehr der "Fahrspaß". Anders gesagt, dass das Auto damit an jenem "emotionalen" Wert einbüßen könnte, der Menschen dazu verleitet, ihr Geld für BMW oder Mercedes auszugeben – anstatt für eine Kreuzfahrt oder was auch immer.

Eine Horrorvorstellung für die Industriestandorte Deutschland und Japan: Denn unsere Autobauer leben davon, dass der Autokauf eben nicht rational, sondern emotional gesteuert ist. Von auf und ab stampfenden Zylindern, Öl, Temporausch, dem Gefühl grenzenloser Freiheit und vor allem, Herr über etwas zu sein. Vom Gefühl, etwas, das 90 Prozent der Zeit ungenutzt rumsteht, besitzen zu wollen. Doch mit den eAutos haben sich die Zylinder ausgestampft. Wo einst die Kolben nagelten, surren jetzt bei eAutos Nähmaschinen, so hört's sich wenigstens an. Und die kann jeder einbauen, da braucht es keinen Autohersteller, dessen Kernkompetenz der Verbrennungsmotor ist.

Gleichzeitig rauben die Hersteller aus eigenem Antrieb mit immer neuen Fahrassistenten das Gefühl, selbst noch das Auto beherrschen zu können. Ok, sie reden davon, dass sie die Freude am Selbstfahren erhalten wollen. De facto werden zuerst die teuren Autos im Stau bald schon ohne menschliche Hilfe rollen können. Bremsen können die ersten ja schon von allein. Gleichzeitig wird der Beifahrerkomfort immer gehobener. Beim neuen Nissan Elgrand, einem Megavan, sind im Fonds eine Art Business Class-Sitze mit Wadenunterstützung eingebaut. Wer will da noch selber fahren, wenn er hinten liegen und Movies sehen kann?

Erste alarmierende Anzeichen für den automobilen Lustverlust erspähte mein Gesprächspartner beispielsweise in Japan. Hier würden immer mehr junge Leute nicht einmal mehr einen Führerschein machen, geschweige denn ein Auto fahren und noch weniger je eines kaufen. Wenn sie mal ein Auto benötigen, mieten sie sich vielleicht eines, möglichst kleines. Das ist sehr rational.

In Europa verbreiten sich Car-Sharing und Cars-to-go-Ideen. Auch sehr rational. Städte überlegen, Zero-Emission-Zonen einzurichten und damit Spaßautos aus Teilen ihrer Städte zu vertreiben. Die Zukunft der Vergangenheit der Autoindustrie sehen die Hersteller stattdessen in Schwellenländern, wo die Menschen noch ganz am Anfang der Konsumgesellschaft und damit der persönlichen Mobilität und des Statuskaufs stehen. Ich bin mal gespannt, ob die Rechnung aufgeht. (bsc)