Österreich: Redaktionsgeheimnis gilt auch für öffentliche Äußerungen

Im Rahmen eines Verfahrens gegen zwei junge Männer und einen ORF-Journalisten, der eine Milieustudie über die rechte Szene gedreht hatte, verlangte die Staatsanwaltschaft die Herausgabe von Rohaufnahmen, die Hinweise dazu liefern sollten, ob die beiden Skinheads rechtsextreme Parolen bei einer Wahlveranstaltung der FPÖ skandierten – und ob der ORF-Journalist sie zu dazu angestiftet hat.

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Der Oberste Gerichtshof Österreichs (OGH) stärkt mit einer Entscheidung das Redaktionsgeheimnis. "Die öffentliche Wahrnehmbarkeit eines Geschehens schließt darin enthaltene Informationen nicht vom Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen aus", informiert der OGH auf seiner Website über die erst in einigen Tagen öffentlich abrufbaren Entscheidungen. Anlass war ein Verfahren gegen zwei junge Männer und einen ORF-Journalisten, der eine Milieustudie über die rechte Szene gedreht hatte.

Die unter dem Titel "Am rechten Rand" ausgestrahlte Folge der Sendereihe "Am Schauplatz" zeigte die beiden Skinheads unter anderem bei einer FPÖ-Wahlkampfveranstaltung mit Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache. Dieser warf dem ORF daraufhin vor, "bezahlte Nazi-Statisten" geschickt zu haben. Auf Aufforderung des ORF-Journalisten hätten sie "Sieg Heil" gerufen. Es kam zu einer Anklage gegen die drei Personen, die sowohl die Anstiftung als auch die angeblichen Äußerungen abstreiten. Das Verfahren läuft in erster Instanz. Die Staatsanwaltschaft verlangte vom ORF, auch die nicht gezeigten Rohaufnahmen herauszugeben.

Der öffentlich-rechtliche Sender erhob Einspruch, um aus grundsätzlichen Erwägungen das Redaktionsgeheimnis zu verteidigen. Das Landesgericht entschied für den ORF, das Oberlandesgericht dann aber für die Staatsanwaltschaft. Den ORF-Verantwortlichen drohte Beugehaft. Doch ein – nur selten erfolgreicher – Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens an den OGH hatte Erfolg: Der Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt laut OGH das in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbriefte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Lediglich bei (hier nicht gegebenem) dringendem Tatverdacht gegen den Journalisten könne das Redaktionsgeheimnis durchbrochen werden.

"Ohne solchen Schutz könnten Quellen abgeschreckt werden, Medien dabei zu unterstützen, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren ('chilling effect')", schreibt die OGH-Pressestelle, "Dies könnte zur Folge haben, dass die lebenswichtige öffentliche Funktion der Medien als 'Wachhund' ('public watchdog') beeinträchtigt [...] wird." Die Männer hätten sich bewusst ans Fernsehen gewandt. Daher sei irrelevant, ob die möglichen Äußerungen auch in der Öffentlichkeit wahrnehmbar gewesen wären.

Die Entscheidung hat Bedeutung über den Anlassfall hinaus. "Insbesondere ist daran zu denken, dass das Redaktionsgeheimnis in ähnlicher Weise durch das anlasslose, verdachtsunabhängige Speichern von Verbindungsdaten bei Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie betroffen sein kann", erläuterte Nikolaus Forgó, Professor für IT-Recht an der Leibniz Universität Hannover, gegenüber heise online, "Auch dadurch könnten nämlich Informanten davon abgehalten werden, sich an Redaktionen im Vertrauen auf das Redaktionsgeheimnis zu wenden. Die Entscheidung macht daher einmal mehr deutlich, dass die Einführung der Vorratsdatenspeicherung erhebliche Grundrechtsfragen aufwirft." (pmz)