Drei Wünsche für 2011

Zum Jahresausklang stellt die TR-Online-Redaktion einige Forderungen auf, was 2011 besser werden muss. Träume müssen ja keine Schäume bleiben.

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Zum Jahresausklang stellt die TR-Online-Redaktion einige Forderungen auf, was 2011 besser werden muss. Träume müssen ja keine Schäume bleiben.

Wolfgang Stieler: Morgen ist heute schon gestern. Ich weiß, ich weiß, der Spruch ist ein kleines bisschen ausgeleiert – aber zu Silvester passt er immer wieder ganz gut. Vor allem wenn man, wie ich kürzlich, vor dem Bücherregal steht und versucht zu rekapitulieren, was man gestern über morgen gelesen hat: Ich hätte sie doch nicht weggeben sollen, die ganzen Science-Fiction-Taschenbücher aus den 1960er Jahren. Denn es würde mich reizen noch mal nachzulesen, was 2011 eigentlich sein sollte –gewissermaßen ein Geschichtsbuch der technischen Utopie.

Aber eigentlich ist das Thema ja ein ganz anderes: Meine persönliche, technologische Wunschliste für 2011. Und da will ich mal ganz bewusst nicht allzu utopisch werden. Was ich mir wünsche, ist fast schon da – irgendein kluger Kopf muss es nur noch zusammensetzen aus den vorhandenen Bruchstücken.

Das erste, was ich mir wünsche, wäre ein persönlicher Orientierer. Alle Welt schwärmt von den Möglichkeiten des mobilen Internet, von Apps, location based services, Ortsdaten und Bewegungsprofilen. Und was habe ich davon? Ich bin meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und wenn ich unbekannte Städte durchstreife, bislang ungesehene Stadtteile und unvertraute Straßen, haben mich der GPS-Chip und die Navigationssoftware meines Mobiltelefons schon oft vor dem Verlaufen gerettet. Aber wo ist die Anwendung, die Navi mit ÖPNV verknüpft? Die mir sagt, wo die nächstgelegene Haltestelle ist, mit folgenden Abfahrtszeiten und Anschlüssen. Warum muss ich mir das aus mehreren Anwendungen zusammenklauben?

Kommen wir vom Ort zur Zeit: Aufgabenplaner, To-Do-Listen, Filtersoftware, semantische Desktops – alles schön und gut. Was ich brauche, ist ein richtiger, echter, digitaler Assistent. Was den von der vorhandener Software unterscheidet? Das reale Vorbild: Was ich haben will, ist Software, die sich benimmt wie eine Chefsekretärin. Soll heißen: Je stressiger der Job, den ich gerade mache, desto besser werde ich abgeschirmt. Im Mail-Eingang tauchen nur noch die Mails auf, die ich unbedingt jetzt beantworten muss –der Rest wird verzögert zugestellt, was automatisch geht, läuft automatisch, der Nervkram wird abgewimmelt und der Eingang bleibt sauber (sonst gucke ich eh von Zeit zu Zeit nach). Analoges gilt für das Telefon. Einfach nur das Stresslevel eingeben: fertig.

Am utopischsten wäre dann noch mein Wunsch zum Thema Energie. Nachdem Millionen in die Graphen-Forschung geflossen sind, wünsche ich mir, dass die geradezu märchenhaften Eigenschaften dieses Materials auch tatsächlich genutzt werden können. Heißt zweierlei: Dass die Arbeit an transparenten Schaltkreisen für organische Solarzellen tatsächlich erfolgreich sind, und dass diese Technologie nicht in irgendeiner Schublade verschwindet. Was wiederum bedeuten würde, dass in Wikileaks oder ähnlichen Plattformen nicht nur lustige Diplomatenbriefe auftauchen, sondern auch so genannte Geschäftsgeheimnisse. Aber das wäre eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.

Niels Boeing: Geschäftsgeheimnisse ist ein gutes Stichwort. Es bringt mich zu einem etwas utopischeren Wunsch für 2011: Dass das kommende Jahr der Anfang vom Ende des intransparenten Cyber-Triumvirats Apple, Google, Facebook werden möge. Diese drei Konzerne kontrollieren zu einem erheblichen Teil die Web-Infrastruktur von heute, mit der wir kommunizieren, digitale Alter Egos leben lassen und den enormen Bestand des – zunehmend mobilen – Internet nutzen.

Oberflächlich betrachtet handelt es sich um Produkte, die Unternehmen verkaufen oder werbefinanziert zur kostenlosen Nutzung bereit stellen. Welchen Bedingungen sie deren Gebrauch unterwerfen, ist Sache der Unternehmen, könnte man meinen, denn diese haben sehr viel Geld investiert. Meines Erachtens ist aber die Nutzung von iPhones, iPads und Apps, von Such- und anderen Datendiensten sowie des Social Networking angesichts der Marktanteile der großen Drei längst in eine neue Qualität umgeschlagen: von der Produktnutzung zur Nutzung einer Infrastruktur. Nach 30 Jahren Neoliberalismus dämmert der westlichen Welt seit Kurzem, dass Infrastrukturen in privater Hand vielleicht doch keine so gute Idee sind. Dieser Zweifel sollte nicht nur für Wasser und Strom gelten, sondern auch für das Netz.

Was könnte konkret daraus folgen? Eine Möglichkeit wäre, Apple, Google und Facebook kartellrechtlich genauso streng zu beäugen wie seinerzeit Microsoft. Die USA und die EU sollten Anti-Monopol-Verfahren in Erwägung ziehen, die die großen Drei entweder zerlegen oder besser: zur Offenlegung ihrer Codes zwingen. Die größte Macht haben theoretisch die Verbraucher, die einfach auf die Produkte und Dienste verzichten, zur Open-Source-Konkurrenz wechseln und damit den großen Drei ihre Geschäftsgrundlage entziehen können. Dieser einfachste Schritt ist natürlich der schwerste, weil man ein gefühltes technisches oder soziales Lock-in überwinden muss. Ich wäre schon zufrieden, wenn 2011 erste spürbare Absetzbewegungen sichtbar würden.

Als angesichts der Geschäftspraktiken von Apple enttäuschter Mac-Nutzer (seit 2002) sollte ich im kommenden Jahr endlich in die Linux-Welt wechseln. Ob meine Bequemlichkeit zu groß ist, wird sich zeigen. Mein größter Wunsch wäre in jedem Fall der Start eines globalen Open-Mac-Projekts, das mit zahlreichen Hacks die Kontrollfreaks um Steve Jobs angeht und vielleicht in Jahren in eine komplette Open-Source-Version von Mac OS X und iOS mündet (vielleicht analog zum Weg von Unix zu Gnu/Linux).

Ben Schwan: Mein Wunsch für 2011 ist, so fürchte ich zumindest, ziemlich utopisch – ich träume mir ein Ende des aktuellen Terrortheaters herbei. Egal ob halbe Vergewaltigungen an US-Flughäfen, Datensammelbegehrlichkeiten des deutschen Innenministers oder demnächst vermutlich in Kraft tretende Einschränkungen beim internationalen Paketversand: Nahezu jede Radikalmaßnahme wird heutzutage mit der Gefahr begründet, ein paar religiöse Fanatiker könnten sich (und einige von uns) ja in die Luft jagen.

Dabei ist die Wahrscheinlichkeit nach wie vor verschwindend gering, Opfer eines Terroranschlages zu werden – neulich fanden Statistiker sogar heraus, dass man sich eher Krebs von den neuen Nacktscannern einfängt. Wirkliche Gefahren für unser Leben – von schlechter Ernährung bis zum Verkehrsunfall – werden dagegen kleingeredet. Terror wird ja bekanntlich erst zum Terror, wenn Menschen Angst bekommen. Dazu kann man unseren Politikern nur sagen: "Mission accomplished!" Dabei wissen die Fanatiker das ganz genau: Sie wollen uns unser Leben schwer machen und unsere Demokratie von Innen aushöhlen. Damit muss endlich Schluss sein.

Was ich mir sonst noch wünsche? Vielleicht etwas mehr Nutzbarkeit moderner Informationstechnik. Usability und logische Abläufe sind auf unseren Rechnern noch immer eine Seltenheit. Da heute fast jeder mit digitalen Diensten konfrontiert ist, muss das endlich aufhören. Warum muss ich meiner Oma erklären, was ein Druckertreiber ist?

Kommen wir zum Schluss noch zu einer weiteren Herzensangelegenheit: Der Bewahrung des Netzes als demokratischstes Medium aller Zeiten. Daran wird gerade von der Politik (siehe oben), von Netzbetreibern und Online-Konzernen schwer gesägt. Die einen fürchten sich auch 20 Jahre nach der Erfindung des World Wide Web vor der angeblichen Anarchie, die anderen fürchten, ihnen schwimmen die Felle davon, wieder andere meinen, sie müssten ihre monopolistische Stellung sichern. Schluss damit: Bewahrt die Netzneutralität! Macht nicht etwas kaputt, das die Menschheit so sehr vorangebracht hat und noch voranbringen wird! Danke fürs Zuhören.

Und was wünschen Sie sich?

(nbo)