EU-Parlament macht Weg frei für Biometriepässe

Trotz heftiger Kritik der Liberalen und Grünen hat die Mehrheit der EU-Abgeordneten der Aufnahme auch von Fingerabdrücken in die Ausweise nicht ausdrücklich widersprochen.

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Trotz der heftigen Kritik der Liberalen und der Grünen hat die Mehrheit der Abgeordneten des Europaparlaments am heutigen Donnerstag der verpflichtenden Aufnahme von Fingerabdrücken in die Ausweise der etwa 450 Millionen EU-Bürger nicht ausdrücklich widersprochen. In der Plenarsitzung stimmten hauptsächlich die konservative Volkspartei sowie fast alle Sozialdemokraten für eine Beschlussfassung, die dem EU-Rat keine Hindernisse mehr für sein entsprechendes Vorhaben in den Weg legt. Insgesamt waren 471 Abgeordnete dafür, 118 dagegen, sechs enthielten sich.

Die Justiz- und Innenminister des Rates können nach Kenntnisnahme der Entscheidung planungsgemäß noch in ihrer Sitzung heute oder morgen die biometrietechnische Aufrüstung der Reisepässe bis Ende 2005 für beschlossen erklären und die Vorlage an die EU-Mitgliedsstaaten zur Umsetzung weiterleiten. Die nationalen Parlamente haben keine Mitentscheidungsbefugnis in diesen Grundsatzfragen mehr, obwohl sich beispielsweise der Deutsche Bundestag eine solche im Zuge der Verabschiedung der Antiterrorpakete von Bundesinnenminister Otto Schily Ende 2002 ausbedungen hatte.

"Das war beileibe keine Sternstunde", zeigt sich Alexander Alvaro, für die Liberalen im EU-Parlament, gegenüber heise online enttäuscht. Sämtliche Änderungsanträge seiner Fraktion und der Grünen, die sich klar gegen die Ratsvorlage positioniert hatten, seien abgeschmettert worden. Nun müssten mindestens zwei biometrische Merkmale in die neue Ausweisgeneration eingeführt werden. "Und das unabhängig davon, dass die Kosten dafür unbekannt sind, eine Erforderlichkeit nicht nachgewiesen ist und das Ganze unverhältnismäßig ist", gibt Alvaro zu bedenken. Zumal die Terrorgefahr sehr verzerrt wahrgenommen werde und etwa US-Bürger weiterhin ohne die doppelte biometrische Identifikation in die EU einreisen dürften.

Klare Worte findet auch Alvaros britische Fraktionskollegin Sarah Ludford zu dem "fragwürdigen" Spiel in Brüssel: "Es ist ein absoluter Skandal, dass dieser Angriff auf unsere Freiheitsrechte ohne jegliche parlamentarische Untersuchung durchgeht". Die liberale Baroness spielt damit auf die Tatsache an, dass der Rat dem Parlament einerseits noch immer ein Mitentscheidungsrecht über Entscheidungen im Sicherheitsbereich vorenthält, andererseits Regierungsvertreter ihren nationalen Abgeordneten und Bürgern nun weismachen können: "Das hat Brüssel doch so entschieden."

"Das ganze Verfahren hat das demokratische Defizit in Brüssel bis zur Schmerzgrenze ausgereizt", bläst Andreas Dietl von der "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) in das gleiche Horn. Besonders bedauerlich sei, dass es sich bei dem gescheuten Streit zwischen Rat und Parlament um eine Technologie gehandelt habe, "die jeder Konzeption des Schutzes von Privatsphäre entgegensteht". Mit ähnlichen Bedenken hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar in seiner Funktion als Vorsitzender der Artikel-29-Gruppe kürzlich die niederländische EU-Ratspräsidentschaft angeschrieben und nach dem Sinn und Zweck der zweifachen biometrischen Erkennungsmaßnahme gefragt.

Bei der heutigen Abstimmung im Plenum waren sich viele Parlamentarier anscheinend nicht bewusst, über was sie genau entschieden. Vornehmlich ging das Votum um den Biometrie-Report des portugiesischen Konservativen Carlos Coelho aus dem Bürgerrechtsausschuss. In dem Bericht (PDF) wird nur die biometrische Gesichtserkennung vorgeschrieben, ein zweites Merkmal als optional ausgegeben. Zudem wirft der Report kritische Fragen etwa über die Verwaltung der biometrischen Daten in zentralen Datenbanken auf. Gleichzeitig stand bei der Abstimmung aber auch die zwischenzeitlich ans Parlament geschickte Vorlage des Rats mit den zwei verbindlichen Biometrie-Merkmalen indirekt mit zur Debatte.

"Wir hätten die ganze Sache neu aufmachen können", sagt Ewa Klamt, die für die CDU im EU-Parlament sitzt. "Aber der Rat hätte dann ohne eine Stellungnahme von uns entschieden. So haben wir wenigstens unseren abweichenden Standpunkt dokumentiert." Persönlich habe sie nichts gegen die Fingerabdrücke in den Pässen: "Das ist einfach ein weiteres Sicherheitsmerkmal". Bedenken des Chaos Computer Clubs, dass die Ausweise damit gar nicht fälschungssicherer werden und die Fehlerquote noch hoch ist, will Klamt nicht mittragen: "Man muss das jetzt eben implementieren." Die nächsten zwölf Monate böten genügend Gelegenheit, um eventuelle technische Probleme auszumerzen.

Aus Richtung der Sozialdemokraten gibt es zwar heftige Rüffel für das Vorgehen der Regierungen in Brüssel und Zweifel an der Sinnhaftigkeit des biometrischen Doppelschlags. Doch letztlich stimmten fast alle Mitglieder der Fraktion gegen die Änderungsanträge. "Wir waren in einer hässlichen Situation", beklagt die niederländische Sozialdemokratin Edith Mastenbroek die "Erpressung" durch den Rat, der das Parlament beim Einschlagen eines Oppositionskurses sogar wegen "Untätigkeit" zu überfahren gedroht habe. Sie betonte, dass man das Votum allein als Unterstützung für den Coelho-Report interpretieren dürfe, nicht für die Konzeption des Rates. (Stefan Krempl) / (pmz)