Wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht gefordert

Experten haben sich bei einer Anhörung im Bundestag überwiegend für Korrekturen am Regierungsentwurf für die Urheberrechtsnovelle ausgesprochen, um den Wissenschaftsstandort Deutschland zu sichern.

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Experten haben sich bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages am heutigen Montag überwiegend für Korrekturen am Regierungsentwurf für die zweite Stufe der Urheberrechtsnovelle ausgesprochen, um den Wissenschaftsstandort Deutschland zu sichern. "Wissenschaft findet dort statt, wo der Wettbewerb stimmt", erklärte Reto Hilty, Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum in München. Dieser würde aber zum einen durch den zusätzlichen rechtlichen Schutz technischer Kopierschutzmaßnahmen "vollends ausgeschaltet". Zum anderen dürfte das Urheberrecht auch nicht etwa durch das Verbot von Vorabveröffentlichung wissenschaftlicher Werke durch die Urheber im Internet allein auf die deutschen Verlage ausgerichtet werden, die noch keine "Mehrwertdienste" durch einfach zu nutzende und qualitativ hochwertige elektronische Publikationsangebote aufgebaut hätten.

Hilty machte sich in diesem Sinne im Einklang mit einer Forderung des Bundesrats für die Aufnahme einer Öffnungsklausel ins Urheberrechtsgesetz (UrhG) auf. Demnach sollen Autoren das Recht erhalten, den Inhalt eines Fachwerks im nicht-kommerziellen Umfeld und in einer gesonderten Formatierung nach Ablauf einer Mindestfrist von sechs Monaten seit Erstveröffentlichung "anderweitig öffentlich zugänglich zu machen". Das Ziel dieser eingeschränkten Regelung sei es nicht direkt, offene Publikationsmodelle gemäß dem "Open Access"-Prinzip zu befördern, ging Hilty auf Sorgen der Verleger ein. Diese sollten vielmehr "ihre Geschäfte machen können", müssten dafür aber "eine substanzielle Eigenleistung" erbringen. Sollte eine solche Klausel nicht kommen, werde dies trotzdem nicht das Überleben deutscher Verlage angesichts "Traumrenditen" internationaler Publikationsgrößen befördern. "Heimatschutz" mache an dieser Stelle auch keinen Sinn, da die Wissenschaftler sonst eigene Modelle entwickeln oder in Länder ausweichen würden, an denen sie ihren Informationsbedarf besser decken könnten.

Die umstrittenen neuen Paragraphen 52b und 53a im Regierungsentwurf, mit denen Bibliotheken, Museen oder Archiven die Einrichtung elektronischer Leseplätze sowie der Kopienversand unter engen Auflagen und mit der Verpflichtung zur Zahlung einer angemessenen Vergütung ermöglicht werden soll, bezeichnete der Jurist als "Fossilie". Mit dem "mühsamen Kopienversand" finde Wissenschaft heute nicht mehr statt, stellte Hilty klar. Die Bestellung einzelner Artikel aus der Fachliteratur per Fax oder als nicht-elektronisch durchsuchbare Grafikdatei sei angesichts deutlich einfacherer Online-Zugangsformen zum Wissen nur eine Notlösung. Auch die Erlaubnis zur Einrichtung von Leseterminals sei allein als "Rückfallposition" sinnvoll, wenn ein Verlag nicht bereit sei, selbst ein besseres elektronisches Angebot zu machen. Hilty plädierte trotzdem für die Klausel, die dann aber sämtliche Bildungseinrichtungen einbeziehen sollte. Schulbuchverlage, deren Geschäft besonders davon betroffen wäre, müssten ausgenommen werden.

Auch der Konstanzer Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen, der im Namen des Aktionsbündnisses Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft sprach, machte "erhebliche Nachteile für die Forschung" im Regierungsentwurf aus. Ein gewisser Mut der Abgeordneten sei erforderlich, um Deutschland zu einem bildungsfreundlichen Urheberrecht zu verhelfen. Kuhlen erhob den Anspruch, "dass das mit öffentlichen Mitteln geförderte Wissen freizügig zur Verfügung gestellt werden kann." Den Einzug von Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) in Wissenschaftspublikationen lehnte er strikt ab, da solche "Verknappungsinstrumente" für Bildung und Wissenschaft "nicht tauglich" seien und damit eine Kontrolle über die gesamte Mediennutzung angestrebt würde. Der Zugriff auf wissenschaftliche Werke müsse auf einem Universitätscampus und darüber hinaus ähnlich wie in den USA sichergestellt werden. Kuhlen schlug vor, dass veröffentlichte Werke in Bibliotheken, Museen und Bildungseinrichtungen von diesen an Orten und Zeiten ihrer Wahl zugänglich gemacht werden dürfen. Nur bei Werken, die jünger als drei Jahre alt sind, sollte eine Vergütung fällig sein.

Andreas Baer vom Verband der Anbieter von Bildungsmedien beklagte dagegen bereits anhand der bestehenden Regelungen wie dem "Wissenschaftsparagraphen" 52a und der damit verknüpften Intranet-Regelung für Bildungseinrichtungen eine "Kopierflut", durch welche der Schulbuchkauf weitgehend "substituiert" werde: "In fünf Minuten werden rund 24.000 Kopien in deutschen Schulen aus Schulbüchern gezogen". Christian Sprang vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels warnte ebenfalls davor, "das süße Gift" gesetzlicher Einschränkungen an den Urheber- und Verwerterrechten in den Paragraphen 52b und 53a einzusetzen. Jede solche Schranke sorgt seiner Ansicht nach dafür, "dass Verlage nicht mehr existieren". Er hält die geplanten Eingriffe in "funktionierende Märkte" auch für entbehrlich, da die Verlage über das bislang nur langsam vorankommende Projekt "Volltextsuche Online" wesentlich hochwertigere Angebote zur Verfügung stellen wollten. Ziel sei es, bis Ende 2007 eine "mehr als fünfstellige Zahl an E-Books" anzubieten und am Arbeitsplatz nach dem Erwerb entsprechender Lizenzen einen Lesezugriff zu ermöglichen.

Gabriele Beger vom Bibliotheksverband führte aus, dass die ökonomischen Auswirkungen der geplanten Ausnahmeregelungen vom alleinigen Verbreitungsrecht der Verwerter überschätzt würden. Beim Kopienversand etwa sei eine rückläufige Tendenz zu bemerken, insgesamt seien hierzulande nicht mal mehr eine Million Fachartikel davon betroffen. Die Leseplatzregelung sei zudem allein eine Übertragung der Möglichkeiten aus der analogen Welt auf den digitalen Bereich. Gleichzeitig zeigte sie sich aber für einen Kompromiss mit den Verlegern bereit, der gesetzgeberische Maßnahmen teilweise erübrigen könnte.

Demnach sollen digitale Angebote von Verlagen und der Kauf von Lizenzen Vorrang haben. Für den Fall, dass von der Wirtschaft keine Nutzung digitaler Medien vorgesehen ist, sei zu Zwangslizenzen überzugehen. Dazu müsste der Gesetzgeber "angemessene Bedingungen und eine Vergütungshöhe" klar festlegen. Vertreter von Verwertungsgesellschaftem monierten gleichzeitig, dass fällige Vergütungen auf Basis des Wissenschaftsparagraphen noch immer nicht gezahlt würden aufgrund von Widerständen bei den betroffenen Länderinstitutionen und bei den Verlagen. Letztere würden bei wissenschaftlichen Publikationen keine Honorare zahlen, gleichzeitig aber auch Abfindungen per Vergütungen ablehnen. Hier müssten effiziente Verfahren vom Gesetzgeber gefunden werden.

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)