"Wir brauchen überwachungsfreie Räume" [Update]

Mit einem Appell zur Gewährleistung von Anonymität im Internet ging die Abschlussveranstaltung des AN.ON-Forschungsprojekts zu Ende. Doch die Aussichten für entsprechende Dienste sind hierzulande nicht rosig.

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Mit einem eindringlichen Appell zur Gewährleistung von Anonymität im Internet ging die Abschlussveranstaltung des staatlich geförderten AN.ON-Forschungsprojekts am Freitagnachmittag im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin zu Ende. "Wir brauchen überwachungsfreie Räume für unsere menschliche Entwicklung", betonte Andreas Pfitzmann, Informatikprofessor an der TU Dresden, die den Anonymisierungsdienst federführend mit der Uni Regenburg und dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) entwickelt hat. Dies gelte auch für das Internet. Den Cyberspace bezeichnete Pfitzmann nicht nur als Fortsetzung der physischen Realität, sondern auch "unseres Denkens". Insofern gehe es im Streit um die spurenlose Fortbewegung im Netz auch darum, "wie viel Gedankenfreiheit im Internet es noch geben soll". Vollständig geschützte Freiräume bringen der Gesellschaft dem Informatiker zufolge im Schnitt sogar einen Sicherheitsgewinn, da dort offen auch über Bedrohungen debattiert und kommunikativ nach Lösungen gesucht werden könne.

Doch die Aussichten für entsprechende Dienste sind hierzulande nicht rosig. Staatsanwaltschaften und Politiker sind laut Pfitzmann momentan dabei, die Betreiber von AN.ON-Servern mit der Vorratsdatenspeicherung und der jüngsten, auch gegen den Anonymisierungsdienst Tor gerichteten Beschlagnahmungswelle ins Ausland zu jagen. Der Strafverfolgung würde das alles andere als helfen. Gleichzeitig erscheinen Anonymisierungsserver auch immer mehr Providern hierzulande als rotes Tuch. Sie müssten schließlich damit rechnen, "dass diese einkassiert werden", erläuterte Hannah Seiffert vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco die Zurückhaltung der Branche auch bei eigenen kommerziellen Anonymisierungsangeboten. Ärger und zusätzliche Kosten wären dabei vorprogrammiert. Allein "Outsorcing" könne in diesem Fall ein Geschäftsmodell darstellen.

Marit Hansen vom ULD beklagte eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Strafverfolgungsbehörden. Zum Fall des im eigenen Hause vor über zwei Monaten beschlagnahmten Server wären über das Aktenzeichen hinaus noch keine Informationen über den Vorgang zu bekommen gewesen. Die Rechtsunsicherheit sei insgesamt groß und es mangele an eingespielten Regeln bei den Staatsanwaltschaften. Dies bestätigte Hannes Federrath, Informatikprofessor an der Uni Regensburg. Dort sei die Polizei mit einem Beschlagnahmeschreiben ohne Datum und Richterunterschrift aufgekreuzt. Da der Rechenzentrumsleiter aber früher Kriminalpolizeibeamter gewesen sei, habe er den ungültigen Beschluss zurückgewiesen. Probleme hat auch der Chaos Computer Club (CCC) mit dem Weiterbetrieb seines AN.ON-Servers: Sein Provider Strato will diesen aufgrund geänderter Geschäftsbedingungen kündigen, wonach eine kostenlose Überlassung von Diensten gerade an anonyme Dritte nicht mehr zugelassen werden soll. Der CCC geht davon aus, dass Strato angesichts dieser Formulierung im Prinzip dicht machen könnte. [Update: Laut CCC haben sich die Hacker inzwischen mit dem Provider geeinigt, der Server läuft wieder.]

Mit Thilo Weichert sprach sich auch der ULD-Leiter dafür aus, nicht alle Möglichkeiten zur Strafverfolgung aus der physischen Welt in den virtuellen Raum zu übertragen. Übers Internet würden zwar viele "Vorfeldstraftaten" wie Androhungen oder Beleidigungen ermöglicht. Dies seien aber "Meinungsäußerungsdelikte", die niemand richtig weh tun würden. Die eigentlichen Verbrechen fänden nach wie vor in der "realen Welt" statt, sodass sich dort auch Anhaltspunkte zu ihrer Bekämpfung und Verfolgung finden lassen würden. Weil man anonyme Briefe verschicken könne, habe auch noch niemand eine zwangsweise Identifizierung am Briefkasten gefordert, sekundierte Sven Mörs vom Berliner Datenschutzbeauftragten. Bisher sei die Strafverfolgung immer durch das technisch Mögliche bestimmt worden. Angesichts einer sehr einfachen Verfolgbarkeit von Nutzern im Netz bis hin zur Rundumüberwachung elektronischer Spuren dürfe dieses Prinzip aber nicht automatisch auf die digitalen Technologien übertragen werden.

"Ist das Ziel des Verbrechens im Cyberspace, dann ist das Mittel der Wahl bei der Strafverfolgung: bessere IT-Systeme", plädierte Pfitzmann in diesem Sinne für eine Verhinderung von Cyberdelikten durch mehr Sicherheit im Netz. Wenn das Internet aber "nur Transit für Verbrechen ist, gibt es Ermittlungsmöglichkeiten außerhalb", welche primär zu nutzen seien. Thomas Königshofen, bei der Deutschen Telekom für Belange der Sicherheitsbehörden zuständig und damit Wächter über "massenhafte Bombendrohungen", vermisste in solchen Äußerungen den "pragmatischen Ansatz". Einen Raum zu schaffen, "wo sich im Prinzip die Straftäter tummeln können", sei "nicht zielführend". Es müsse Möglichkeiten geben, die Anonymität aufzuheben.

Konkret zur Zukunft von AN.ON erklärte Pfitzmann gegenüber heise online, dass auch nach dem Auslauf der Förderung Ende des Jahres die angeschlossenen Universitäten und das ULD die Mix-Server weiter laufen lassen wollten. Die Datenschützer in Kiel würden auch noch in Rechtsfragen rund um den Dienst zur Verfügung stehen. Generell formulierte er als Schwerpunkte für die Forschung rund um die Anonymisierung digitaler Techniken Ziele wie Bewegungsprofile im Mobilfunk zu verhindern sowie Dienste für VoIP und "irgendwann einmal Video" zu entwickeln. Den Strafverfolgern gab er zu bedenken, dass es bereits heute viel schlechter zu überwachende Anonymisierungsformen über das so genannte verteilte Senden gebe und diese künftig verstärkt weiter perfektioniert würden. Angesichts einer schier unendlichen Zahl von "Zwischenknoten" in der anonymisierten Kommunikationskette komme man dort "mit gerichtlichen Beschlüssen überhaupt nicht mehr ran."

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)