Was Cloud Computing für den IT-Handel wirklich bedeutet

Cloud Computing ist sicher nicht erfunden worden, weil jemand dem IT-Handel etwas Gutes tun wollte. Aber Cloud Computing ist auch kein Synonym für Direktvertrieb. Die Welt wird durch Cloud Computing nicht einfacher, sondern tendenziell eher noch komplexer. Und das ist aus der Sicht des Handels sogar gut.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Damian Sicking

Pironet-NDH-Vorstand Felix Höger

(Bild: Pironet NDH)

Lieber Pironet-NDH-Vorstand Felix Höger,

vor anderthalb Jahren sagten Sie auf einer Veranstaltung Folgendes: "Im ITaaS-Umfeld wird das gesamte Channel-Ökosystem auf den Kopf gestellt. Das On-demand-Modell ist ganz wesentlich ein Direktgeschäft, man braucht keinen VAR und erst recht keinen Distributor. Der Partner wird im ITaaS-Geschäft ausgeknipst." Das waren starke Worte. Seitdem hat sich die Erde ein paar Mal um sich selbst gedreht, und es ist Zeit zu fragen, was sich seit Ihrem markanten Satz von damals getan hat. Nun, zum einen spricht man heute statt von "ITaaS" von der "Cloud", und zum anderen ist die von Ihnen prognostizierte Revolution des "Channel-Ökosystems" ausgeblieben. Es gibt sie noch immer, die Händler und Systemhäuser, ja sogar die Distributoren erfreuen sich noch ihres Daseins.

Auch auf der CeBIT in diesem Jahr wurde im Zusammenhang mit Cloud Computing oft das Wort "Revolution" in den Mund genommen (geben Sie mal auf der CeBIT-Homepage das Begriff-Paar "CeBIT Revolution" ein, Sie erhalten 1.143 Treffer!). Im selben Atemzug wird gerne von den phantastischen Wachstumsraten von 50, 60 oder gar 70 Prozent geschwärmt. Man könnte meinen, die IT-Branche würde neu erfunden. Das alles ist völlig übertrieben, wenn Sie mich fragen. Von einer Revolution kann keine Rede sein, zumindest nicht wenn man die Sache von der Marktseite aus betrachtet. Wie kann es zum Beispiel sein, dass man auf der einen Seite von diesen bereits genannten phänomenalen Wachstumsraten bei Cloud Computing spricht, der IT-Markt als Ganzes in diesem Jahr aber nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich wachsen wird? Dafür kann es ja nur zwei mögliche Erklärungen geben: 1. Gleichzeitig mit dem enormen Cloud-Wachstum muss ein anderer Bereich so richtig wegbrechen und grandiose Umsatzrückgänge verzeichnen. Das ist aber nicht der Fall. 2. Die andere mögliche Erklärung kann nur lauten, dass sich die Umsätze mit Cloud Computing noch auf einem derart niedrigen Niveau befinden, dass sie gesamtheitlich gesehen kaum ins Gewicht fallen. Dies dürfte eher der Wahrheit entsprechen. Sicher wird sich das im Laufe der Zeit ändern, und vor allem Umsätze mit dem Produktverkauf werden zurückgehen (aber niemals ganz verschwinden!), doch das vollzieht sich allmählich und keinesfalls revolutionär.

Ich habe an dieser Stelle ja schon verschiedentlich betont, dass der Channel keine Angst vor Cloud Computing haben muss. Und je mehr Zeit verstreicht, desto mehr bin ich von der Richtigkeit meiner Annahme überzeugt. In diesem Zusammenhang hilfreich ist vielleicht, sich noch einmal klar zu machen, wie dieses ganze Thema Cloud Computing überhaupt entstanden ist. Sicher ist es keine Erfindung des Channels, und sicher ist es auch nicht erfunden worden, weil jemand dem IT-Handel etwas Gutes tun wollte. Cloud Computing ist aber auch nicht erfunden worden, um der IT-Industrie mehr Geld in die Kassen zu spülen (ich bin sogar überzeugt, dass die IT-Industrie am liebsten auf das ganze Thema Cloud verzichten würde und das traditionelle Produktgeschäft so belassen würde wie bisher, wenn dies möglich wäre). Cloud Computing ist auch keine Idee der IT-Chefs der Anwenderunternehmen. Das alles sind nicht die Treiber von Cloud Computing. Cloud Computing ist stattdessen – wenn man so will – ein Kind der letzten Wirtschaftskrise. Da haben die großen Konzerne nämlich festgestellt, dass ihre IT-Kosten viel zu hoch waren bzw. dass diese zu starr waren und nicht schnell genug den veränderten wirtschaftlichen Erfordernissen (sparen, sparen, sparen!) angepasst werden konnten. Also marschierten die CEOs dieser Unternehmen zu ihren Kollegen aus der IT-Industrie mit der Forderung, diese sollten sich etwas einfallen lassen. Tja, das Ergebnis war dann Cloud Computing. Cloud Computing ist also in erster Linie der Versuch, fixe Kosten in variable Kosten umzuwandeln, um auf diese Weise flexibler auf Änderungen der Geschäftslage reagieren zu können.

Lieber Herr Höger, mich würde wirklich interessieren, ob Sie noch immer der Meinung sind, das im Cloud-Computing-Modell der IT-Handel "ausgeknipst" wird, wie Sie es im Herbst 2009 formulierten. Damals war die Meinung noch zum Teil nachzuvollziehen, weil man bei dem Thema vor allem an die Verteilung von Software gedacht hat. Als nichtphysisches Produkt ist Software für einen Direktvertrieb natürlich besser geeignet als Hardware, die man von A über B nach C transportieren muss. Aber inzwischen ist man in Bezug auf das Thema "Direktvertrieb" im Zusammenhang mit Cloud Computing doch weitaus entspannter als in der Anfangsphase. Warum? Weil man zum einen festgestellt das, das die Welt durch Cloud Computing nicht einfacher wird, nicht weniger komplex, sondern im Gegenteil. Der Beratungs- und Planungsaufwand in den Unternehmen fällt tendenziell sogar noch größer aus als bisher. Wer soll diesen Consulting-Job übernehmen? Sicher nicht die IT-Industrie selbst. Direktvertrieb ist noch immer die teuerste Möglichkeit, seine Produkte und Leistungen an den Mann zu bringen, auch das hat sich durch Cloud Computing nicht geändert. Die Hersteller wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, jetzt eigene kostspielige Direktvertriebsorganisationen aufzubauen, zumal Cloud Computing auch unter Margengesichtspunkten aus Herstellersicht eine Verschlechterung darstellt. Jeder Firmenchef, der noch ganz bei Trost ist, versucht, möglichst geringe Fixkosten zu haben und sie so weit möglich in variable umzuwandeln. Der indirekte Vertrieb über Absatzmittler ist sicher eine der besten und bewährtesten Möglichkeiten, variable Kosten zu haben.

Natürlich ändert Cloud Computing das Geschäft des Handels. Zum Teil wird das bisherige Margenmodell durch ein Provisionsmodell abgelöst. Zum anderen stellen sich deutlich höhere Anforderungen an das Verkaufspersonal in finanziellen Fragen. Es ist hier ähnlich wie im KFZ-Handel: Manche Kunden kaufen ihr Fahrzeug und bezahlen bar, andere finanzieren ihr neues Auto über einen Kredit der jeweiligen Hausbank (Ballonkredit oder konventioneller Ratenkredit), ein Dritter zieht die Leasingoption vor. Diese unterschiedlichen Finanzierungsformen ziehen auch in den IT-Handel ein, und die Vertriebler müssen dieses Thema beherrschen. Im Druckerbereich lernen zahlreiche Händler ja derzeit bereits dazu, indem sie ihren Kunden die Printer nicht einfach mehr verkaufen, sondern unter dem Stichwort "Managed Print Service" die Funktion des Druckens sicher stellen. Der Anwender zahlt dann einen sogenannten Klickpreis, der sich nach seinem monatlichen Druckvolumen bemisst.

Noch etwas ist festzuhalten. Es wird nicht Cloud Computing geben und sonst nichts. Auch in Zukunft werden Geräte verkauft, PCs, Server, Notebooks, Drucker, Monitore, ja auch Software. Wie gesagt, es verhält sich dann ein bisschen so wie im Automobilhandel. Die Herausforderung für den IT-Handel besteht darin, die gesamte Palette der unterschiedlichen Finanzierungsformen zu beherrschen und anbieten zu können. Das ist die wahre Herausforderung, die Cloud Computing an den IT-Handel stellt. Und nicht das Problem, ob oder wann er "ausgeknipst" wird.

Beste Grüße

Damian Sicking

Und hier die Antwort von Felix Höger.

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