EU-Task-Force kritisiert Pläne zur strafrechtlichen Durchsetzung geistigen Eigentums

Die Brüsseler IT-Projektgruppe konnte sich nicht auf gemeinsame Vorschläge zur umfassenden Reform des Systems gewerblicher Schutzrechte einigen, liebäugelt aber mit einem softwarepatentfreundlichen Kurs.

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Die von der EU-Kommission einberufene Projektgruppe zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) konnte sich in ihrem am heutigen Dienstag veröffentlichen Abschlussbericht (PDF-Datei) nicht auf gemeinsame Vorschläge zu einer umfassenden Reform des Systems geistiger Eigentumsrechte einigen. "Gewisse Punkte sind zu diesem Zeitpunkt noch zu umstritten", heißt es in dem 36-seitigen Report. Dennoch liebäugeln die Verfasser des Papiers, zu denen Vertreter großer Branchenfirmen wie Alcatel, Microsoft oder SAP genauso zählen wie Verbände, mit einem softwarepatentfreundlichen Kurs. So setzen sie sich etwa für die Einrichtung eines neuen, auf Patentstreitigkeiten spezialisierten EU-Gerichts ein. Kritiker fürchten, dass über diesen Weg eine Hintertür zur Sanktionierung von Patenten auf Computerprogramme geschaffen werden könnte.

Allgemein unterstreicht der Bericht die entscheidende Bedeutung der IKT für die Zukunft Europas als eigenständiger wichtiger Industriesektor und als Motor für Produktivität sowie verbesserter Servicequalität in nahezu allen anderen Wirtschaftsbereichen und im öffentlichen Sektor. Er bemängelt gleichzeitig, dass europäische Unternehmen noch zuwenig in IKT investieren würden und daher das Produktivitätswachstum auf dem alten Kontinent zu wünschen übrig lasse. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) hätten hier Nachholbedarf und sollten sich mit neuen Grid-Architekturen, Web-Software und breitbandigen Netzanschlüssen besser aufstellen.

Essenziell für die Förderung von Investitionen in IKT und Innovation sieht es der Bericht an, "dass Europa ein ausbalanciertes und effektives Regime des Schutzes geistigen Eigentums beibehält". Dabei müssten "unterschiedliche Geschäftsmodelle" in Betracht gezogen werden, da unterschiedliche Schutzmodelle dem Sektor insgesamt zuträglich seien. So würden insbesondere Open-Source-Firmen einen freien und einfachen Zugang zu allen geistigen Eigentumsrechten bevorzugen. Viele KMU fänden das Patentsystem auch zu komplex und zeitaufwendig. Andere, auf proprietäre Entwicklungsformen setzende Unternehmen würden sich dagegen auf geistige Eigentumsrechte stützen, um ihre Investitionen in neue Technologien und Produkte abzusichern.

Insgesamt sei es eine "Herausforderung", positiv eine direkte Verbindung zwischen dem Schutz etwa von Urheber- oder Patentrechten und der Innovationsstärkung nachzuweisen, schwächt der Gesamtbericht die Analyse eines vorläufigen Reports der Arbeitsgruppe zu geistigen Eigentumsrechten etwas ab. Man habe aber "empirische Daten" für diese These gefunden. Gleichzeitig seien aber auch negative Auswirkungen auf die Innovation möglich, insbesondere, wenn die Qualität von Patenten zu wünschen übrig lasse.

Angesichts dieser Bandbreite erwähnt der Report nur einige angeblich von Konsens getragene Politikfelder in diesem Sektor. Demnach sind für europäische Patente zu teuer, vor allem wegen der "Kosten für Übersetzungen und Rechtsstreitigkeiten". Die IKT-Task-Force empfiehlt daher eine beschleunigte Umsetzung des Londoner Abkommens, mit dem weniger Dolmetscherausgaben nötig werden sollen, und ein "sorgfältig abgewogenes Voranschreiten" beim umstrittenen European Patent Litigation Agreement (EPLA). Mit dem vom Europäischen Patentamt (EPA) vorgeschlagenen Streitregelungsübereinkommen würde eine gemeinsame Gerichtsbarkeit etabliert. Gegner der bisherigen EPLA-Vorschläge wie der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) oder die Vereinigung patentfrei.de fürchten, dass gleichzeitig auch die weitgehende, Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" einschließende Vergabepraxis des EPA rechtlich durchsetzbar würde.

Dringenden Änderungsbedarf gibt es laut dem Bericht bei der geplanten EU-Richtlinie zur strafrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte. Erfasst werden sollten demnach nur die "absichtliche Piraterie" von Markenzeichen und Urheber- oder Designansprüchen sowie Produktfälschungen. Andernfalls seien Strafvorschriften besser den Mitgliedsstaaten zu überlassen, was besonders für Patentverletzungen zutreffen sollte. Zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Internet äußert sich der Report nicht. Dies sei "ein Feld weiterer Untersuchungen".

Dafür kritisiert der Report, dass die Verwertungsgesellschaften verstärkt Vergütungspauschalen auf elektronische Geräte und Speichermedien zum Ausgleich für Privatkopien erheben. Der von der EU befürwortete Ansatz einer "angemessenen Vergütung" könne für diese Praxis nicht mehr als Basis herangezogen werden. Als Zugeständnis an Verbraucherschützer macht sich der Bericht auch für die Entwicklung einer "Charta für Verbraucherrechte" im digitalen Umfeld stark. Eingeschlossen sein sollte die Entwicklung eines Hinweissystems, mit dem Konsumenten auf die Abspielmöglichkeiten von Inhalten aufgeklärt werden, die mit digitalem Rechtekontrollmanagement (DRM) ausgestattet sind.

Prinzipiell singt die Task-Force das Hohelied auf Interoperabilität. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Systeme sei angesichts der digitalen Medienkonvergenz wichtiger als je zuvor, heißt es. Wiederum keine Einigkeiten konnten die Experten aber bei der Festlegung "offener Standards" erzielen, da die unterschiedlichen Modelle zum Schutz geistigen Eigentums davon direkt betroffen seien. Allgemein kritisiert die Projektgruppe, dass bei europäischen Unternehmen zu wenig innovativ gedacht werde, die Übernahme von Risiken vom Markt nicht belohnt werde und nicht genügend Wagniskapital zur Verfügung stehe. Auch die Potenziale des E-Government würden zuwenig genutzt. Bei elektronischen Beschaffungslösungen seien im öffentlichen Bereich Open-Source-Lösungen und solche basierend auf "kommerzieller Software" gleichberechtigt in Betracht zu ziehen.

Insgesamt kaum Nachbesserungen hat es beim parallel gesondert veröffentlichen "Themenpapier" (PDF-Datei) der Arbeitsgruppe zu geistigen Eigentumsrechten gegeben, das unter SAP-Führung entstand. Dort wird etwa weiter stark das EPLA propagiert. "Abweichende Ansichten" werden zwar angeführt, in den Empfehlungen aber nicht berücksichtigt. Wegen der unausbalancierten Ausrichtung des Endberichts der Arbeitsgruppe, die im Vorfeld bereits als zu industrielastig kritisiert worden war, hat sich unter anderem die EU-Verbraucherschutzvereinigung BEUC davon distanziert.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)