Bundestag verabschiedet neue Anti-Terrorgesetze

Mit der schwarz-roten Mehrheit hat das Parlament die Einrichtung der Anti-Terror-Datei und erweiterte Befugnisse der Geheimdienste im Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz beschlossen ­ die Opposition spricht von Verfassungsbruch.

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Mit der schwarz-roten Mehrheit der Regierungskoalition hat der Bundestag am heutigen Freitag die Einrichtung einer Anti-Terror-Datei und erweiterte Befugnisse der Geheimdienste im Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG) mit den Änderungen aus dem Innenausschuss beschlossen. Vertreter der Regierungsfraktionen ebenso wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) betonten dabei immer wieder, dass mit den beiden heftig umstrittenen Vorhaben "in einer Zeit großer Bedrohungen und Gefahren das Menschenmögliche an Sicherheit" gemacht werde. Die neuen, weitgehenden Regelungen stünden im Einklang mit der Verfassung und bewegen sich auf rechtsstaatlichem Boden. Vertreter der Opposition sprachen dagegen geschlossen von einem Verfassungsbruch und lehnten die Vorlagen ab. "Beide Gesetze atmen den Geist des Überwachungsstaates", kritisierte Wolfgang Wieland, Innenexperte der Grünen im Bundestag. Sein Kollege von der Linkspartei sprach von einem "traurigen Tag für die Grund- und Freiheitsrechte in diesem Land".
Schäuble betonte bei der lebhaften 2. und 3. Lesung der Gesetzesentwürfe, dass "der Staat die Aufgabe hat, seine Bürger zu schützen" und dies mit besseren Möglichkeiten zur Prävention mache. Dies sei "konstitutiv für das Abendland". Der freiheitliche Rechtsstaat müsse in der Lage sein, seinen Bürgern Sicherheit zu gewährleisten, "sonst würde am Ende die Freiheit gefährdet". Der Innenminister kehrte damit eine oft Benjamin Franklin, einem der Gründerväter der USA, zugeschriebene und nach dem 11. September 2001 oft zitierte Weisheit um: "Diejenigen, die ihre Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgeben, werden am Ende keines von beiden haben – und verdienen es auch nicht." Unterstützung erhielt der CDU-Politiker aus den eigenen Parteireihen in Hessen. Der dortige Innenminister, Volker Bouffier, ging in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk von einer "vernünftigen Grundlage aus" und bezeichnete die Kritik der Opposition als "aufgeblasen".
Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, erkannte gar die "verdammte Pflicht", mit den Gesetzen die innere Sicherheit mit einer "zeitnahen Punktlandung" zu stärken. Man sei dabei "nicht an die rote Linie herangekommen", die er plakativ mit "Angriffskrieg, Guantanamo, Folter und Menschen verschwinden lassen" umschrieb. Es sei zudem klar, dass "wir Terrorismusbekämpfungsgesetze machen", die von der Verfolgung extremistischer Straftaten abzugrenzen seien. Allein bei "Hasspredigern" mache man eine Ausnahme, da diese zur Gewaltanwendung aufrufen würden. Mit einem Antrag an die Bundesregierung zur Anwendung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff und dem damit geforderten Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung auch im Geheimdienstbereich sollten die Grundrechte nach Hinweisen in der Anhörung zu den beiden Gesetzesvorhaben zudem gestärkt werden.
Oppositionspolitiker machten jedoch Widersprüche zwischen den Äußerungen Wiefelspütz' und den eigentlichen Gesetzestexten aus. Gisela Piltz, Innenexperten der FDP-Fraktion, verwies auf die Öffnungsklausel in Paragraph 6 des Gesetzes zur Anti-Terror-Datei, wonach in einer "Ausweitung aller bisherigen Definitionen" berechtigte Stellen auch bei besonders schweren Straftaten oder Gefahr für Leib oder Leben einer Person Einsicht in die Datenbank nehmen dürfen. Sie beklagte, dass die Koalition selbst einen Änderungsantrag der Liberalen abgelehnt habe, wonach zumindest Informationen, die unter offensichtlicher Verletzung der Menschenrechte beschafft wurden, nicht in die Datei gestellt werden sollten. Die große Koalition stehe damit mit dem Folterverbot offensichtlich auf Kriegsfuß. Wiefelspütz erwiderte: "Wenn es um Leib und Leben geht, wird in Deutschland jede auf dem Tisch liegende Information verwertet. Auch solche, wo wir nicht wissen, wie sie entstanden sind."
Wieland brachte die Kritik der Grünen an der gemeinsamen Datei von Polizei und Geheimdiensten auf die Kurzformel: "Viel zu viele Daten über viel zu viele Personen aus viel zu vielen Quellen mit viel zu vielen Zugangsmöglichkeiten." Er erinnerte daran, dass allein auf polizeilicher Seite die schon vorhandene "Datei innere Sicherheit" bereits knapp 1,5 Millionen Daten umfassen und auf Geheimdienstseite eine Datenbank mit vergleichbar vielen Einträge existieren würde. Trotzdem werde nicht "entrümpelt", sondern vielmehr eine gesetzliche Verpflichtung geschaffen, die Informationen nun mehr oder weniger zusammenzuführen. Dabei dürfte jeder Eintrag eine "absolut stigmatisierende Wirkung" haben. "Wer dort drinsteht, wird als Terrorist gelten", betonte Wieland. Das TBEG bezeichnete er gleichzeitig als "Monstrum" an sich. Die nach dem 11. September mit dem zweiten "Otto-Katalog" geschaffenen Instrumente gebe man nun einfach allen Nachrichtendiensten komplett in die Hand. In Richtung Koalition machte der Grüne den Vorwurf: "Sie wollen einfach nur die staatlichen Befugnisse ins Uferlose wachsen lassen."
Der FDP-Rechtspolitiker Max Stadler bezeichnete es ebenfalls als ein Armutszeugnis für die Koalition, dass die Geheimdienstkontrolle nicht verbessert werde. Auch die Lücke in Bezug auf das Urteil zum großen Lauschangriff sei lange bekannt gewesen, sodass es nicht ausreiche, dass der eigentliche Gesetzgeber hier nun nur die Regierung zum späteren Handeln auffordere. Man könne nicht ein Gesetz beschließen, das verfassungswidrig sei und dann sagen, "um die Grundrechte kümmern wir uns übermorgen." Die Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich zugleich "erschüttert" über das "Geständnis" der Koalition, längst vorhandene Anträge der Opposition zur sachgemäßen Umsetzung des Karlsruher Urteils überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben.
Im Detail beklagte Korte von den Linken, dass auch mit den Änderungen aus dem Innenausschuss nach wie vor etwa der wiederholte Treff am Kiosk mit einem Terrorverdächtigen zur Speicherung als "Kontaktperson" in der Anti-Terrordatei führen könne und im Freitextfeld "Fakten" und "Vermutungen" aus den unterschiedlichen Erkenntnisweisen der Sicherheitsbehörden zusammengerührt werden könnten. Dies könnte zu Fehlschlüssen mit "erheblichen Auswirkungen auf die Betroffenen führen". Es gehe letztlich um eine "Verdachtsspeicherdatei", in die auch "die Früchte der Folter" gelangen könnten. Umso unverständlicher sei es, dass auch die SPD die Gesetze mit "durchgepeitscht" habe.
  • Zur Überwachung von Internet-Nutzern und der Datensammelei im Web siehe auch den Schwerpunkt "Deine Spuren im Netz" in der aktuellen Ausgabe von c't: