Aktivisten stören Microsoft-Lobbyabend im Berliner Abgeordnetenhaus

Als Pinguine verkleidete Linux-Anhänger und Vertreter der Grünen Jugend protestierten dagegen, dass der Softwaregigant den Parlamentariern ihrer Meinung nach zu eng auf die Pelle rückte.

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Unter die Parlamentarier, die sich für Microsofts "Parlamentarischen Abend" angemeldet hatten, mischten sich auch drei als Pinguine verkleidete Linux-Aktivisten [Klicken für vergrößerte Ansicht]

Der schon im Vorfeld heftig umstrittene Lobby-Abend Microsofts im Berliner Abgeordnetenhaus am gestrigen Donnerstag verlief nicht ganz im Sinne des Software-Giganten: Unter die etwa 50 der 141 Berliner Parlamentarier, die sich für das von einem Büffet gekrönten Informations- und Gesprächsangebot angemeldet hatten, mischten sich nach dem Ende der Plenarsitzung gegen 21 Uhr auch drei als Pinguine verkleidete Linux-Aktivisten. Die zum Dessert gereichte Mousse au Chocolat krönten zudem kleine Fähnchen, die mit den Aufdrucken "Alt+F4" zum Schließen eines Fensters unter Windows und "Monokultur" versehen waren. Eine Handvoll Vertreter der Grünen Jugend und des Chaos Computer Clubs (CCC), die teilweise zunächst vom Vorspeisen-Büffet genascht hatten, konnten ferner kurzzeitig ein großflächiges Transparent mit der Befehlsfolge zum symbolischen Aus für Windows entrollen. Viele der Anwesenden rätselten jedoch über die Bedeutung des Kürzels; Mitarbeiter von Microsoft und der mit der Durchführung des Abends betrauten Lobby-Agentur Pleon bereiteten dem Spuk innerhalb einer Minute ein Ende.

Schon am Nachmittag waren die Pinguine mit dem ungewöhnlichen Plakat vor dem Abgeordnetenhaus gesichtet worden. Grüne wie die IT-Expertin Barbara Oesterheld trugen bei der Plenarsitzung demonstrativ Tux-Shirts. Die Ökopartei hatte den Beschluss gefasst, die Lobby-Veranstaltung geschlossen zu boykottieren. Das Novum, dass sich Firmen gleichsam Abgeordnete mieten, werde man nicht mittragen, erklärte die Fraktion. Es gehe Microsoft allein darum, eine gewisse Nähe zu symbolisieren und direkt in den parlamentarischen Bereich einzugreifen, kritisierte die grüne Fraktionsvorsitzende Sibyll Klotz. Parlamentspräsident Walter Momper warf sie mangelndes Fingerspitzengefühl vor.

Eine besondere Windows-Tastenkombination zierte das Dessert bei Lobby-Veranstaltung von Microsoft [Klicken für vergrößerte Ansicht]

Der SPD-Politiker stand in seiner Begrüßungsrede zu seiner Entscheidung, Microsoft den Festsaal des Hauses für die Konzernveranstaltung mit den Abgeordneten zu vermieten. "Ich bin dankbar, wenn eine Firma zu uns kommt an einem Abend, an dem die meisten können und ein offenes Ohr haben", setzte er den seiner Ansicht nach typischen Berliner Diskussionen entgegen. Er unterstellte dem Softwareriesen zwar, dass dieser "mit gewissen Interessen" gekommen sei. "Wir lassen uns aber nur durch eins beeindrucken, nämlich die wirkliche Qualität der Produkte", fügte er aber beschwichtigend an. Er freue sich jedenfalls auf ein von Microsoft gesponsertes "kühles Bier".

Der zum "Direktor Public Sector" bei der deutschen Tochter des US-Konzerns avancierte Berliner Ex-Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner versuchte die Sorgen über eine direkte Einflussnahme auf anstehende Entscheidungen wie die der Neuausrüstung der 58.000 in der Hauptstadtverwaltung benutzten Clients in seinem Vortrag zu entkräften. Hier hatte eine Studie jüngst eine Migration zu Linux grundsätzlich für machbar erklärt. Schon zu seinen Zeiten als Senator sei immer wieder gefordert worden, "dass sich Menschen und Unternehmen stärker gesellschaftspolitisch engagieren sollen", betonte Branoner. Genau dieses aktive Einbringen in die Gemeinde habe Microsoft Deutschland nun als Möglichkeit entdeckt, um als deutsches Unternehmen wahrgenommen zu werden. Sein Haus wolle die Informationsgesellschaft hierzulande weiterentwickeln, den Standort Berlin unterstützen und andere zum Nachmachen und zur Übernahme von "Patenschaften" etwa für Kitas bewegen. Kurz umriss Branoner auch das Bildungsnetzwerk Microsofts, die Initiative "Schlaumäuse" zur kindlichen "Sprachentdeckung" sowie die mit Berlin abgeschlossene Partnerschaft zur Gründerförderung.

Fast triumphierend endete er seine Rede berlinernd mit der Bemerkung: "Ich habe nicht gesagt, kofen Sie uns". Man wisse bei Microsoft wohl zu unterscheiden zwischen Produktwerbung und Sponsoring. Es gehe um das Schmieden einer "Allianz der Gutwilligen, die Dinge voranbringen", schloss Branoner idealistisch. Um die von einigen Abgeordneten anscheinend überbewertete Bedeutung seiner Lobbytätigkeiten zu relativieren, plauderte er zugleich noch das Geheimnis aus, dass trotz seines Einstiegs "der Umsatz bei Microsoft [Deutschland] weniger geworden ist". Der Gegenwind, den der Softwaregigant hierzulande insbesondere von Linux zu spüren bekommt, ist demnach stärker als vielfach angenommen.

Auch die Ansprache von Innensenator Erhart Körting drehte sich vor allem um die Frage, ob schon allein das Treffen mit einem Giganten der IT-Industrie "etwas Zweifelhaftes" sei. Für den SPD-Politiker gibt es dabei aber keine Ausschließlichkeiten, da es auf den "richtigen Mix an Partnern ankomme". Er empfand die Einmietung Microsofts als Erklärung an Berlin, dass es sich um eine "tolle Stadt" handle mit der man "was machen" könne. Thomas Keup, Deutschlandvertreter von OpenOffice, wirft Körting dagegen vor: "Wer sich in Zeiten von Open-Source-Lösungen auf dem Desktop noch auf die Krake Microsoft einlässt, hat entweder nicht mitbekommen, dass München, Wien und Zürich längst auf lizenzkostenfreie Alternativen umsteigen, oder der Innensenator und sein IT-Stratege Karl-Heinz Löper wollen das Land absichtlich ausplündern."

Ein kleiner Coup gelang zudem der stellvertretend für einen PDS-Abgeordneten erschienenen Aktivistentruppe. Obwohl sie ein Pleon-Mitarbeiter zunächst aufgefordert hatte, "auf Distanz zu der Veranstaltung zu gehen", gelang es ihr, ein mit einer Videokamera verknüpftes Powerbook in den Festsaal zu schmuggeln und einen Großteil der Vorträge per UMTS live über das Weblog Netzpolitik.org online zu übertragen. Um die Transparenz beim Microsoft-Lobbying zu erhöhen, soll dort auch eine bleibende Ton- und Fotodokumentation erstellt werden. (Stefan Krempl) / (jk)