CO2-Ausstoß: Experten fordern Überarbeitung des Fahrzyklus

Schon jetzt haben offizielle Verbrauchsangaben wenig mit dem tatsächlichen Spritkonsum von Autos zu tun. Hybrid- und Elektrofahrzeuge werden die Unsicherheit weiter vergrößern, berichtet Technology Review.

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Schon jetzt haben offizielle Verbrauchsangaben wenig mit dem tatsächlichen Spritkonsum von Autos zu tun. Hybrid- und Elektrofahrzeuge werden die Unsicherheit weiter vergrößern, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe . Experten fordern deshalb eine grundlegende Überarbeitung des Testvorschriften, die im „Europäischen Fahrzyklus“ festgelegt sind.

Augenscheinlichstes Beispiel für die Probleme ist Porsches neuer Supersportwagen, der 918 Spyder. Drei Liter Benzin auf hundert Kilometer bei 70 Gramm CO2 pro Kilometer hat der Hybrid-Sportwagen attestiert bekommen. Dabei ist die Kohlefaserflunder, die ab November 2013 ausgeliefert wird, mehr als 700 PS stark und soll doch weniger schlucken als ein herkömmlicher Ford Fiesta – und folglich entsprechend weniger Kraftfahrzeugsteuer kosten, denn die richtet sich seit 2009 auch nach dem CO2-Ausstoß.

Die Prüfvorschriften für die Verbrauchswerte sind so kompliziert und praxisfern, dass der 918 als Ökomobil beworben werden darf, obwohl er vermutlich schon bei einem einzigen forschen Ampelstart mehr als drei Liter durch die Einspritzdüsen jagt. „Die Diskussion ist so alt wie die Vorschriften selbst“, sagt Richard Trücher, Leiter des TÜV-Süd-Abgaslabors im baden-württembergischen Heimsheim. Doch mit der zunehmenden Verbreitung von Elektro- und Hybridfahrzeugen wird diese Diskrepanz noch größer, denn nun kommen plötzlich Faktoren ins Spiel, die sich mit einem standardisierten Messprogramm kaum noch abbilden lassen – etwa die Frage, für welche Fahrstrecken ein Auto üblicherweise benutzt wird.

Grundlage für die Verbrauchsmessung ist seit Januar 1996 der europaweit gültige „Neue Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ). Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigung sind in diesem Zyklus allerdings so zahm definiert, dass schon konventionelle PS-starke Autos, denen auf echten Autobahnen besonders gern die Sporen gegeben werden, auf dem Prüfstand gerade einmal in lockeren Trab verfallen müssen.

Bei Hybrid-Fahrzeugen wird die Differenz zwischen Messwert und Realität allerdings noch größer werden. Solange Hybride in der Stadt bewegt werden, können sie nämlich verstärkt Bremsenergie zurückgewinnen. Da der NEFZ viele Stop-and-go-Phasen wie im Stadtverkehr enthält, klafft in diesem Fall nur eine relativ kleine Lücke zwischen offiziellen Verbrauchsangaben und Erfahrungen in der Praxis – oder zumindest keine größere Lücke als bei konventionellen Wagen. Anders sieht es auf langen Strecken aus – hier wird weniger gebremst und entsprechend weniger Energie zurück in die Batterien gespeist. Das bedeutet: Hybride können deutlich mehr schlucken, als per NEFZ ermittelt wurde.

Experten fordern deshalb, den Verbrauch nicht einfach auf hundert Kilometer hochzurechnen, sondern gestaffelte Angaben für 25, 50, 100, 200 und 500 Kilometer zu machen. Noch gravierender ist jedoch der zweite Einwand gegen das gängige Prüfverfahren: Für die elektrischen Strecken werden überhaupt keine CO2-Emissionen angerechnet – so, als käme der Strom exklusiv aus einer Windkraftanlage. Nach dem deutschen Strommix verursacht jedoch jede Kilowattstunde (kWh) einen Kohlendioxid-Ausstoß von etwa 590 Gramm. Elektroautos wie der Nissan Leaf brauchen etwa 15 kWh auf hundert Kilometer, das entspricht immerhin 88,5 Gramm CO2 pro Kilometer – deutlich weniger zwar als vergleichbare Verbrenner, aber gleichwohl nicht zu vernachlässigen.

„Die EU-Kommission hat bislang die Unzulänglichkeiten des NEFZ für Hybridfahrzeuge in Kauf genommen“, begründet Nikolaus Steininger, Referent bei der Generaldirektion Industrie und Unternehmen der EU-Kommission, „da eine grundsätzlich umweltfreundliche Technologie nicht durch ein zu komplexes Zulassungsverfahren behindert werden sollte.“ Doch an einem NEFZ-Nachfolger werde schon gearbeitet: Die „Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure“ (WLTP) soll weltweit einheitliche Regeln zur Messung des Normverbrauchs festlegen. Laut Steininger soll die WLTP bis 2013 technisch fertig gestellt und 2014 durch die Mitgliedsstaaten beschlossen werden. (wst)