Ratsbeschluss zur Speicherung von Telefon- und Internetdaten steht auf der Kippe

Die Innen- und Justizminister der EU mussten sich bei ihrem Treffen in Newcastle heftige Kritik an der geplanten Pauschalüberwachung der Nutzer anhören. Auch die letztlich betroffenen Bürger sind laut einer Umfrage nicht rundum einverstanden.

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Die Innen- und Justizminister der EU mussten sich bei einem Treffen am heutigen Donnerstag in Newcastle scharfe Kritik an ihren Plänen anhören, Telekommunikationsanbieter zur Speicherung der elektronischen Spuren ihrer Kunden über Jahre hinweg zu verpflichten. Erstmals waren zu der Zusammenkunft auch Vertreter der Wirtschaft geladen, die seit langem gegen die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten Sturm laufen. In Deutschland bekämpfen die pauschale Überwachungsmaßnahme unter anderem die Branchenverbände Bitkom und eco sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), weil sie diese für ineffektiv, unverhältnismäßig und zu kostspielig halten. Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder forderte die Politik nun auf, die Bedenken der Industrie ernst zu nehmen.

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar nahm die Tagung zum Anlass, erneut vor dem Vorhaben zur Ausweitung der Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten zu warnen, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen. Dies hätte zur Folge, dass Millionen von Datensätzen völlig unschuldiger Nutzer quasi "auf Vorrat" überwacht würden. Höchst sensible und vom Grundgesetz geschützte Daten müssten ohne konkreten Anlass für mögliche künftige Strafverfolgungsmaßnahmen aufbewahrt werden. Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) erinnerte daran, dass statt der "uferlosen Speicherung" ein verdachtsbezogenes Dateneinfrieren ("Quick Freeze") über die bisher zulässige dreimonatige Speicherfrist hinaus zu bevorzugen wäre.

Proteste hagelt es auch von den letztlich Betroffenen: Fast jeder zweite Bundesbürger (47 Prozent) ist nach einer repräsentativen Befragung der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag von Colt Telecom nicht damit einverstanden, dass seine Telekommunikationsdaten über einen längeren Zeitraum detailliert gespeichert werden. Gleichzeitig lehnen es 78 Prozent der Befragten ab, die aus der Vorratsdatenspeicherung resultierenden Kosten zu tragen.

Vor allem der britische Innenminister Charles Clarke warb -- wie bereits am gestrigen Mittwoch im EU-Parlament -- für die Rundumüberwachung der Nutzer. Die Vorratsdatenspeicherung sei essenziell, weil sie Strafverfolgern das Sammeln von Beweismaterial gegen Verdächtige etwa bei der Terrorbekämpfung erleichtere. Einwände tat der Labour-Politiker ab: Bei der Kostenfrage seien Entschädigungsregelungen denkbar, wie sie in Großbritannien bereits in Kraft sind. Zudem würden die Betreiber generell schon Verbindungsdaten für Rechnungszwecke vorhalten und jetzt nur gebeten, "dies für etwas länger zu tun".

"Es hält sich hartnäckig das Missverständnis, die Unternehmen müssten ohnehin vorliegende Daten einfach nur länger aufbewahren. Das ist falsch", hält Rohleder im Namen des Bitkom dagegen. Sollten die EU-Pläne Wirklichkeit werden, müssten die TK-Unternehmen auch bislang nicht verarbeitete Daten erheben. Dazu würden Informationen über erfolglose Anrufversuche, Daten über den Standort eines Mobiltelefons während und am Ende eines Gesprächs sowie die Protokollierung aufgerufener Webseiten im Internet gehören. "Diese Informationen sind für die Abrechnung ohne Bedeutung und dürfen daher nach geltendem Datenschutzrecht nicht gespeichert werden", betonte Rohleder. Die Unternehmen müssten die technischen Voraussetzungen für die Erhebung dieser Daten erst schaffen. Die Kosten für die deutsche Telekommunikationsbranche schätzt sein Verband auf weit mehr als 200 Millionen Euro allein im ersten Jahr.

Gegenwind aus dem Rat bläst Clarke etwa aus Deutschland entgegen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Bundesinnenminister Otto Schily sind sich einig, dass das Vorhaben, auch Daten zu erfolglosen Anrufe zu speichern, die zusätzlichen Kosten nicht rechtfertigen würde. Generell setzen sich aber beide SPD-Politiker entgegen eines klaren Votums des Bundestags weiter für die Vorratsdatenspeicherung ein. Zypries will die Pauschalüberwachung auf sechs Monate begrenzen. Dass es ein Interesse der Fahnder daran gebe, wüsste ja jeder, "der regelmäßig Tatort guckt". Der von ihr gewünschte Zeitrum entspreche dem Willen des Parlamentes. Der Bundestag hat sich aber gegen jegliche Mindestspeicherfrist ausgesprochen. Schily beharrt gar auf einer zwölfmonatigen Datenlagerung. Die aktuellen Papiere des EU-Rates sehen Speicherfristen zwischen sechs Monaten und drei Jahren vor.

Angesichts der offenen Fragen geht Zypries nicht mehr davon aus, dass die Minister ihren Zeitplan bei der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses halten. Sie hatten nach den Londoner Anschlägen im Juli vor, auf ihrem Treffen im Oktober eine Einigung zu erzielen. Clarke ist dagegen optimistisch, die Gesetzesvorlage in vier Wochen beschlussreif zu haben. Damit wären heftige Auseinandersetzungen mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament programmiert, die auf einem eigenen Gesetzgebungsverfahren pochen und dem Rat die Befugniss absprechen. Zypries hält eine Mitentscheidung der Abgeordneten aber nicht für erforderlich, weil die justizielle Zusammenarbeit Sache der Mitgliedsstaaten sei. (Stefan Krempl) / (anw)