Datenschützer: "Wir geben unsere Privatheit ständig auf"

Der ehemalige hessische Datenschutzbeauftragte Spiros Simitis meint, das Verständnis von Datenschutz habe sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelt. Das sei auch auf den Technologiewandel zurückzuführen.

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"Datenschutz kann nicht existieren, wenn nicht gleichzeitig das Bewusstsein für Privatheit besteht", sagt Spiros Simitis in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der frühere hessische Datenschutzbeauftragte und ehemalige Vorsitzende der Datenschutzkommission des Europarats meint, dass es in der Bevölkerung heute ein anderes Verständnis von Datenschutz gebe als 1983. Der Streit um die seinerzeit angesetzte Volkszählung sei eine Reaktion auf den radikalen Wandel der Technologie gewesen. "Diese Technologie hat aber heute dazu geführt, dass wir uns tagein, tagaus daran gewöhnt haben, dass wir permanent Daten preisgeben", so Simitis.

Das geschehe durchaus bewusst, ist der Jurist und ehemalige Vorsitzender des Nationalen Ethikrats überzeugt. "Angefangen bei den Kundenkarten in den Geschäften, fortgesetzt über das Handy, mit dem Sie alles hinausposaunen, was Sie über sich selbst und andere zu sagen haben." So verschwinde das Verständnis von Privatheit. Simitis glaubt aber nicht, dass der Bürger freiwillig etwas preisgibt. Das Beispiel Gesundheitskarte zeige, "dass Sie keine Leistungen bekommen, wenn Sie nicht ein Mindestmaß an Informationen weitergeben."

Wenn der Zweck der Datenweitergabe durch abstrakte Begriffe wie "Terrorismus" und "Sicherheit" modifiziert werden könne, dann sei es mit dem Datenschutz vorbei. Solche Begriffe widersetzten sich der von Simitis geforderten "Informationsaskese", die auch vom Bundesverfassungsgericht stets angemahnt worden sei. Abstrakte Begriffe, zu denen auch "öffentliche Sicherheit" gehört, sollen es Behörden ermöglichen, den Spielraum so breit wie möglich anzulegen. Als Beispiel für den Umgang mit dem Wort "Terrorismus" führt Simitis den von der US-Regierung kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in die Welt gesetzten Patriot Act heran. Ein Anknüpfungspunkt für die Suche nach Terroristen seien die Lesegewohnheiten. "Die Chips in den Büchern erlauben es nachzuvollziehen, wer was wann gelesen hat. Der nächste Schritt ist ganz klar: Man erstellt eine 'schwarze Liste' mit Literatur." Auch wendet Simitis ein, dass der heute geachtete ehemalige südafrikanische Präsident Nelson Mandela einstmals als "berühmtester Terrorist der Welt" galt.

Für eine Datenerhebung gebe es immer gute Gründe, aber der Zugang sei entscheidend, meint Simitis. Bei der LKW-Maut sei durch zwei legislative Engriffe die Zweckbindung der Daten gesichert worden. "Kaum war das geschehen, wurde versucht, diese Begrenzung hinwegzuinterpretieren", betont Simitis. Auch zum Vorstoß der EU-Kommission zur Vorratsdatenspeicherung legt Simitis wert auf den Aspekt der Datennutzung. Der jüngste Vorstoß sei datenschutzfreundlicher als die bisherigen Vorschläge der Innenminister, er reiche aber nicht aus. Es gehe nicht allein um die Dauer der Speicherung, sondern um die Anwendung aller Datenschutzgrundsätze.

Als Grundvoraussetzung für den Datenschutz sieht er nicht nur Transparenz, sondern auch öffentliches Bewusstsein und öffentliche Diskussion. Das sei die wichtigste Aufgabe der Datenschutzbeauftragten, die so also nie überflüssig würden. (anw)