Debatte über Anonymität und Pseudonyme im Netz dauert an

Selbst ein Vertreter der "Post Privacy Spackeria" tadelte auf einem Netzkongress die Regel von Google, für sein soziales Netzwerk Klarnamen vorzuschreiben. Eine Musterklage gegen die Auflage zeichnet sich ab.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 227 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.

Die Auflage von Google, für das jüngst allgemein geöffnete eigene soziale Netzwerk Klarnamen vorzuschreiben und pseudonyme Profile abzuschalten, erregt weiter Unmut und verschärft die Debatte auch über Anonymität im Internet. Auf dem Jahreskongress des Vereins zur Förderung der Suchmaschinen-Technologie und des freien Wissenszugangs SuMa tadelte mit Christian Heller selbst ein Vertreter der "Post Privacy Spackeria" die Vorgabe bei Google+ als ungebührliche Nutzergängelung. "Ich möchte im Kommunikationsraum von Google keine Vorschriften bekommen", erklärte der Befürworter der These "Prima leben ohne Privatsphäre". Jedem sollte die Freiheit bleiben, im Netz "mit Nickname" aufzutreten.

Heller bemängelte, dass sich neben dem Staat mit seinen überzogenen Datenschutzregelungen andere Mächte wie Google oder Facebook ausbreiteten. Es sei daher wichtig, an Dezentralisierung zu arbeiten und sich gegen Normierungsversuche beider Seiten zu wenden.

Unzufrieden mit der Reaktion des Suchmaschinenplatzhirschs auf einen offenen Brief aus der Netzgemeinde mit der Forderung, Pseudonyme bei Google+ zuzulassen, zeigte sich der Internet-Unternehmer Christoph Kappes. Der Konzern habe zwar zunächst schnell reagiert und eine Antwort angekündigt, diese sei bisher aber ausgeblieben. Stattdessen sei auf Nachfrage ein Gesprächsangebot gekommen, in dem den Petenten aber wohl nur der Standpunkt Googles erneut dargelegt werden solle, dass mit der Bestimmung Spam vermieden und Gesprächsniveaus erhöht werden soll. "Ich beginne zu prüfen, ob eine Musterklage geführt werden kann", erklärte Kappes. Generell hält der Sachverständige im Arbeitskreis Netzpolitik der CDU Schutzzonen für nötig. Anonymität und Pseudonymität seien die Fortsetzung der Privatsphäre aus der Kohlenstoff-Welt. Zugleich müssten aber "Bewegungsspuren im digitalen Raum wohl als gegeben" hingenommen werden.

Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, beklagte eine "unheimliche Allianz zwischen Google und dem Innenminister" im Streben zur Eingrenzung der Anonymität im Netz. Die Privat- und die Intimsphäre seien Grundlage für ein Leben in Menschenwürde. Der Gesetzgeber müsse daher mit einem geeigneten Rechtsrahmen die Bürgerrecht schützen, wozu auch das Recht auf Datenschutz gehöre. Wenn etwa ein Nutzer nach Krankheitssymptomen im Netz suche, gehe das niemand etwas an. Der Oppositionspolitiker erinnerte zugleich an die Vorgabe im Telemediengesetz (TMG), wonach Anbieter entsprechender Dienste Möglichkeiten zur Anonymisierung und Pseudonymisierung bieten müssten.

Die Rechtslage sei aber nicht ganz klar, erläuterte der Münsteraner Medienrechtler Pascal Schumacher. Neben dem einschlägigen Paragrafen im TMG gebe es etwa noch gegenläufige gesetzliche Verpflichtungen für eine Impressumspflicht bei Mediendiensten im Netz. Seiner Ansicht nach spreche viel dafür, dass ein Profil bei einem sozialen Netzwerk dieser Bedingung unterliege. Unter Experten ist diese Ansicht aber umstritten, da ein Auftritt bei Social Networks auch nur für eine geschlossene Benutzergruppe geöffnet werden kann. Andererseits räumte Schumacher ein, dass es in der analogen Welt auch anonym publizierte Bücher oder Leserbriefe gebe.

Dass das "Problem der Klarnamen" erst mit Google+ so stark aufgekommen sei, erklärte Linus Neumann von der Digitalen Gesellschaft mit der These, dass "die ganzen Twitterer" Dienste wie Facebook lange gemieden, Google+ aber gestürmt hätten. Mit dem Löschen pseudonymer Konten sei die große Ernüchterung eingetreten. Prinzipielle Bedenken haben seiner Ansicht nach Datenschützer und Post-Privacy-Vertreter gemeinsam gegen die Macht, die denjenigen zukomme, "die alle Daten haben". (jo)