Warnungen vor "Superdatenbank" der Sicherheitsbehörden

Bürgerrechtler und Liberale kritisieren, dass mit dem Vertrag von Prüm zur weiteren Vernetzung der EU-Strafverfolgungsbehörden die Tür zur kompletten digitalen Erfassung der Bürger und zu totalitären Staatsgefügen aufgestoßen würde.

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Bürgerrechtler und Liberale kritisieren, dass mit dem Vertrag von Prüm (PDF-Datei) zur weiteren Vernetzung der EU-Strafverfolgungsbehörden die Tür zur Rundum-Registrierung der Bürger und zu totalitären Staatsgefügen aufgestoßen würde. Der "undemokratisch beschlossene" Schengen-Nachfolger mit erweiterten Kontrollmöglichkeiten der EU-Bürger verwässere den bereits "schwachen" Vorstoß für einen Rahmenbeschluss zum Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, beklagte Tony Bunyan von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch in einem Vortrag beim Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin.

Schwere Bedenken gegen das Konstrukt hegt auch Alexander Alvaro, innenpolitischer Sprecher der Liberalen im EU-Parlament. Ihm zufolge "markiert der direkte Zugriff auf nationale Datenbanken durch andere Mitgliedstaaten eine neue Eingriffsqualität". Mangels eines gemeinsamen europäischen Datenschutzrechtes fehle den europäischen Bürgern "ein Schild, das sie vor missbräuchlicher Verwendung ihrer Daten schützt". Überdies hält Alvaro das Zustandekommen des Vertrags von Prüm "für einen bedenklichen Präzedenzfall, der die parlamentarische Demokratie und die Europäische Union gefährdet". Deutschland versuche mit dieser Vorgehensweise außerhalb des europäischen Vertragswerks ein Kerneuropa zu etablieren.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) schlug beim informellen Treffen der Justiz- und Innenminister der EU in Dresden Anfang der Woche vor, das umstrittene Übereinkommen ins EU-Recht zu überführen. Mit dem aus 2005 stammenden Vertrag wollen inzwischen elf EU-Länder unter der Führung von Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und Spanien eine vertiefte Phase der grenzüberschreitenden Bekämpfung des Terrorismus, der Kriminalität und der illegalen Migration begründen. Dazu sollen etwa DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeugregisterdaten elektronisch einfacher ausgetauscht und die entsprechenden Datenbanken vernetzt werden können.

Die Regelungen zum Umgang mit den sensiblen persönlichen Informationen sprechen laut Bunyan gängigen Datenschutzbestimmungen Hohn. Der nach dem Eifelstädtchen benannte Vertrag "lässt einen ungehinderten Datenaustausch der Mitgliedsstaaten mit Drittstaaten zu", beklagte der Politikbeobachter. Dies käme just den Einwänden der USA gegen den Rahmenbeschluss entgegen. Zudem würde dem Austausch von Aufklärungsinformationen oder sonstiger Vermutungen von Geheimdiensten keine Grenze gesetzt. Generell werde an die "Selbstregulierung" der Sicherheitsbehörden beim Datenschutz appelliert, sodass die beteiligten Einrichtungen die vernetzten Informationen für beliebige Zwecke verwenden könnten. Auch das "Hit-/NoHit"-Verfahren zur Einschränkung der Übermittlung personenbezogener Daten hält Bunyan nicht für "sicher": Man könne ja zahlreiche Namen ausprobieren, bis man einen Treffer erziele. Ferner würden Zugriffe auf die zusammengeschlossenen Datenbanken nicht dokumentiert.

"Wieso brauchen die Strafverfolger alle diese Befugnisse?", wunderte sich der Statewatch-Vertreter. Für ihn ist der in diesem Zusammenhang viel beschworene "Krieg gegen den Terror" eine Ideologie insbesondere der G8-Staaten, um außerordentliche Maßnahmen zu verabschieden und ungehemmt Daten zu sammeln. Dabei würden die verantwortlichen Politiker mit der Zeit Terrorismus automatisch immer wieder auf eine Stufe stellen mit organisiertem Verbrechen, Geldwäsche und letztlich normalen Straftaten. Es gehe ihnen im Endeffekt nicht um Verbrechensbekämpfung, sondern "um die soziale Kontrolle". Es werde eine Welt errichtet, in der hinter E-Pässen mit digitalen Gesichtsbildern und Fingerabdrücken, Führerscheinen oder Gesundheitskarten nationale zentrale Datenbanken mit hohem Überwachungspotenzial stünden.

"Wir schlafwandeln nicht nur in die Überwachungsgesellschaft", griff Bunyan eine Sorge des britischen Datenschutzbeauftragten auf, "sondern wir schlittern in den Autoritarismus." Von einer drohenden "Versklavung" der Bürger spricht der Aktivist, für den die Orwellschen Ausblicke auf ein "1984" und die dazugehörigen Big-Brother-Vorstellungen "nichts" sind im Vergleich zum Ausbau der Überwachung seit dem 11. September 2001. "Wir brauchen eine neue demokratische Kultur", hält er dem Trend entgegen und fordert eine "moralische Debatte" sowie eine bessere Aufklärung der Bevölkerung über die Regierungsbestrebungen durch die Medien. Eine "kleine Chance" für die Entstehung einer neuen Protestbewegung wie in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts sieht er im Zusammenhang mit den künftigen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zur Abgabe der Fingerabdrücke bei der Beantragung von Ausweisdokumenten.

Auch Alvaro zufolge muss der Vertrag von Prüm im größeren Kontext gesehen werden: "Die EU plant, sämtliche Datenbanken miteinander zu vernetzen und Strafverfolgern, einschließlich Nachrichtendiensten, den Zugriff hierauf zu ermöglichen", weiß der FDP-Politiker. Die völkerrechtliche Übereinkunft sei so nur ein Vorgeschmack auf eine sich abzeichnende "Superdatenbank". Diese böte Möglichkeiten, europäische Bürger "von der Wiege bis zur Bahre digital zu erfassen." Dass all dies ohne jegliche parlamentarische Kontrolle und wirksamen Grundrechtsschutz geschieht, lässt laut Alvaro "totalitäre Überwachungsphantasien nicht nur für Paranoiker realer werden." (Stefan Krempl) / (pmz)