WAPzocke

Mit dem für Verbraucher intransparenten WAP-Billing-Prozess ziehen dubiose Content-Anbieter Kleinbeträge für „Mehrwertdienste“ im Abonnement ein – über die Mobilfunkrechnung des Netzanbieters. Die Masche ist nicht mehr neu. Sie funktioniert aber nach wie vor, weil die Mobilfunkanbieter ihre Kunden unzureichend schützen.

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Von
  • Holger Bleich
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Reden sie vom Bezahlen digitaler Inhalte mit dem Smartphone, geraten die Mobilfunkanbieter stets ins Schwärmen. Kinderleicht sei das, und so ganz ohne Medienbruch zu erledigen. Der Kunde muss keine Kreditkarte zücken, die Beträge zieht der Inhalteanbieter über die nächste Mobilfunkrechnung ein. Dass den Netzbetreibern diese Methode gefällt, liegt auf der Hand: Sie fungieren als Inkassodienste und verdienen über sogenannte Factoring-Provisionen fleißig mit.

Ebenso klar ist aber, dass die einfach zu bedienenden Smartphones auch eine Kundschaft erreichen, die damit sehr unerfahren und sorglos durch die digitale Welt reist. Eigentlich sollten sich die Mobilfunkanbieter verpflichtet sehen, ihre Kunden vor Fallstricken zu schützen. Doch die Problematik der WAP-Abofallen belegt, dass die Gewinnmaximierung offensichtlich Vorrang vor nachhaltiger Fürsorge gegenüber den Kunden hat. Wir hatten bereits vor rund einem Jahr in einem Artikel beschrieben, wie leicht unbedarfte Smartphone-Nutzer von windigen Anbietern sogenannter Content-Abonnements über den Tisch gezogen werden können [1], und haben nun untersucht, ob sich die Lage für Kunden entscheidend verbessert hat.

Zur Erinnerung: Über den einfachen Fingertipp auf Werbebanner in manchen Smartphone-Apps gelangen Nutzer zu teils dubiosen Inhaltsangeboten. Mal handelt es sich um Klingeltöne, mal um Erotikvideos oder eine angebliche Nacktscanner-App, die man bei einem zusätzlichen Klick erhalten soll. Die eingeblendeten Seiten nutzen das Wireless Application Protocol (WAP). Über dieses Protokoll erhält der Inhalteanbieter im Unterschied zu HTML Zugriff auf eine Schnittstelle des Netzbetreibers, mit der sich die sogenannte MSISDN (Mobile Subscriber Integrated Services Digital Network Number) der im Telefon befindlichen SIM-Karte auslesen lässt. Das WAP-Billing funktioniert nur, wenn das Smartphone eine Mobilfunkverbindung hat. Beim Datentransfer ausschließlich über WLAN ist keine MSISDN-Übermittlung möglich.

Über trickreich gestaltete Werbebanner in Apps (links unten) locken dubiose Anbieter Smartphone-Nutzer in Abofallen (rechts).

Hat der Anbieter einen Factoring-Vertrag mit dem Netzbetreiber des Kunden, darf er einen Billing-Prozess auslösen, also dem MSISDN-Inhaber Geld in Rechnung stellen. Die Summe bekommt er vom Netzbetreiber abzüglich einer Provision sofort gutgeschrieben. Dieser wiederum holt sich das Geld über die Mobilfunkrechnung. Unerheblich ist, ob der Kunde über einen festen Vertrag an den Betreiber gebunden ist oder mit einer Prepaid-SIM-Karte im Netz surft.

Aus Sicht des Nutzers sieht der Bezahlprozess bei den Abofallen anders aus: Er – oder ein anderer Nutzer seines Handys, beispielsweise das eigene Kind – klickt bewusst oder unbewusst auf ein In-App-Banner. Dort erhält er Angebote, die mit einem oft nicht erläuterten Sternchen versehen sind. Irgendwo steht, meist recht versteckt, dass das Angebot mal 4,99 Euro pro Woche, mal 2,99 Euro täglich kostet. Falls allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) überhaupt zu finden sind, dann bestehen sie häufig aus juristischem Kauderwelsch, der sich über mehrere Handy-Screens ausbreitet. Oftmals versichern Opfer solcher WAP-Abofallen aber auch glaubhaft, gar keinen Preis, AGBs oder Widerrufsbelehrungen gesehen zu haben.

Als diese Masche Mitte des vergangenen Jahres ihren ersten Höhepunkt erreichte, standen vor allem Apps im Fokus, die sich gezielt an Kinder richten. Der sprechende Kater Tom war so ein Fall, und diverse Spiele. Aktuell sind es viele Erotikangebote, bei denen per Banner für Video-Flatrate-Abos geworben wird. Hier tun sich die recht neuen Anbieter carmunity.com GmbH (videoflatrate.mobi) und MAM mobileandmore GmbH (erotic4handy.de) negativ hervor.

Als wir uns durch die vielen Beschwerden lasen, fiel uns allerdings auf, dass insbesondere zwei für ihr kundenunfreundliches Geschäftsgebaren bekannte Unternehmen alte Bekannte im Feld der Smartphone-Fallen sind. Jamba zieht nach wie vor für angeblich rechtssicher abgeschlossene Klingelton-Abos Nutzern Geld aus der Tasche. Und für die formal in New York ansässige Cellfish Media scheint das Geschäft mit „Mehrwertangeboten“ in Frankreich und Deutschland so lukrativ zu sein, dass ein ganzes Geflecht von Firmen und Marken Nutzern ihre Angebote unterschiebt. Im direkten Dunstkreis fanden wir die in Düsseldorf ansässigen Unternehmen MyDoo und legion sowie das immer wieder in Abofallen (zum Beispiel „Nacktscanner“) auftauchende Content-Portal kko.

Mobilfunkanbieter wie die Telekom oder Vodafone bestehen nach eigenem Bekunden streng darauf, dass die Factoring-Vertragspartner Kunden klar auf entstehende Kosten hinweisen und unmissverständlich über den Abschluss von Abos informieren. Tatsächlich aber setzen sich die oben genannten Anbieter seit langem über diese Regeln hinweg. Zum Beispiel Jamba. Der Klingelton-Andreher schickt zur Abo-Bestätigung verschleiernde Kurznachrichten wie diese: „Coole Spiele/Software für Dein Handy! 3 Gutscheine im Jamba TopApp Sparabo(4,99/Woche). Keine Infos? Sende OUT an 33333. www.jamba.de“. Wem noch nicht bewusst ist, ein Abo abgeschlossen zu haben, der wird diese SMS wohl kaum als Hinweis verstehen, sondern sie als Spam löschen.

Cellfishmedia beziehungsweise deren deutsche Wiederverkäufer MyDoo verzichten gleich ganz auf eine Bestätigung per SMS. Beschweren sich Kunden bei MyDoo und geben an, nie bewusst einen Abo-Vertrag geschlossen zu haben und trotzdem die Gebühren zahlen zu müssen, erhalten sei ein Formschreiben: „Es ist technisch nicht möglich,“ heißt es da, „willkürlich Mobilfunknummern von unserer Seite aus ein Abo zuzuordnen, ohne dass tatsächlich der hierfür vorgesehene Anmeldeprozess durchlaufen wird. Dieser Ablauf wird vom betreffenden Mobilfunkanbieter vorgeschrieben.“ Der Content-Anbieter verweist also auf die Regeln des Mobilfunkanbieters, dieser wiederum zeigt auf den Content-Anbieter und zahlt selbst das Geld nicht zurück.

Weil all dies so perfide ineinandergreift und die Kunden oft erst beim Lesen der Mobilfunkrechnung merken, dass sie in eine Falle getappt sind, funktioniert die WAP-Abzocke nach wie vor. Für den einzelnen Nutzer handelt es sich um Kleinbeträge, für die Anbieter läppert sich aber einiges zusammen. Auf unsere Nachfrage vor einem Jahr hin hatten die Mobilfunkanbieter versichert, schwarze Schafe unter den Billing-Partnern notfalls vom Factoring auszuschließen – MyDoo und Jamba waren bereits damals sehr umtriebig. Aktiver Kundenschutz der Netzbetreiber sieht anders aus. Berater aus Verbraucherzentralen bestätigten uns im Gegenteil, dass die Fälle von WAP-Abzocke eher zunehmen – bedingt auch durch die immer höhere Verbreitung von Android-Handys und iPhones.

Unklar ist, ob unter den genannten Bedingungen überhaupt ein Vertrag zustande kommen kann. Belastbare Gerichtsurteile zur Problematik gibt es noch nicht. Allerdings drängen sich bei der Bewertung Parallelen zu den hinlänglich bekannten Web-Abofallen auf. Und hier haben Gerichte mittlerweile überwiegend klargestellt, dass die klitzekleinen oder gänzlich fehlenden Preis- und Laufzeithinweise den Vertragsschlussbedingungen gemäß BGB nicht genügen. Betroffene können also je nach Fall durchaus abstreiten, ein Abo überhaupt bewusst geordert zu haben.

Diese Ansicht bestätigte Karin Thomas-Martin, für WAP-Abofallen zuständige Beraterin bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg im Gespräch mit c’t. Nur in Einzelfällen könne sie nachvollziehen, „dass es zu einer übereinstimmenden Willenserklärung, einem Vertragsschluss gekommen ist.“ Belege, „dass der Kunde in Textform die gesetzlich vorgeschriebene Widerrufsbelehrung erhalten hat, haben wir bei unseren bisherigen Beschwerdefällen nicht erhalten.“ Deshalb sei in vielen Fällen auch ein Widerruf noch möglich. Wer einem Inkassso widersprechen möchte, sollte dies beim Content-Anbieter und beim Mobilfunkanbieter möglichst schnell tun. Eine Rückbuchung ist nicht zu empfehlen. Nach momentaner Rechtslage sind die Netzbetreiber berechtigt, in solchen Fällen die SIM-Karte und damit den Anschluss zu sperren. Ändern wird sich das, sobald die vom Bundestag Ende Oktober verabschiedete Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) in Kraft ist – voraussichtlich noch in diesem Jahr. Dann sollen Mobilfunkanschlüsse zur TK-Grundversorgung zählen; damit wäre das Damoklesschwert der Anschlusssperre bei strittigen Zahlungen beseitigt.

Zum Schutz vor Abofallen bieten Telekom und Vodafone seit Längerem an, das Inkasso für Dritte komplett oder teilweise zu unterbinden. Auf vielfachen Kundenprotest in den eigenen Supportforen hin zog im September 2011 O2 nach. Die sogenannte Drittanbietersperre lässt sich per Anruf bei der Hotline aktivieren. E-Plus ermöglicht lediglich, einzelne, namentlich bekannte Drittanbieter fürs Inkasso zu sperren. Die vielen Reseller wie Congstar, debitel, klarmobil oder Base handhaben die Sperre unterschiedlich. Verbraucherschützer kritisieren die in ihren Augen kundenfeindliche Voreinstellung. Besser sei es, wenn das Inkasso generell gesperrt wäre und erst auf Kundenzuruf für den jeweiligen Anbieter aktiviert würde.

Vodafone bietet wie die Telekom und O2 die Möglichkeit, das WAP-Billing für Drittanbieter komplett zu blocken.

Beim Blick auf die Verteilung der Fälle auf die Netzbetreiber fällt auf, dass Beschwerden in jüngster Zeit überwiegend von Telekom-Mobilfunkkunden kommen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die anderen Provider ihre Kunden mittlerweile ein wenig besser schützen. E-Plus und neuerdings auch Vodafone informieren direkt nach der Inkassoanforderung des Inhalteanbieters ihre Kunden mit einer SMS. O2 leitet den Kunden auf eine eigene Seite um, bevor das WAP-Billing erfolgt. Bei diesem „Handshake-Verfahren“ erhält der Kunde laut O2 „gesonderte Informationen“ und muss in den Zahlungsvorgang aktiv einwilligen. Laut O2 ist es seit Einführung dieses Prozederes zu keinem einzigen Missbrauch des WAP-Billings durch Abofallen-Betreiber mehr gekommen.

Wenn der Gesetzgeber durch negative mediale Berichterstattung aufgeschreckt wird, reagieren Konzerne der IT-Branche gerne mit hehren Versprechen der Selbstregulierung. Im Januar 2011 war dieser Reflex bezüglich der WAP-Billing-Kritik zu beobachten: „Vodafone Deutschland hat eine Qualitätsoffensive bei mobilen digitalen Services gestartet“, tönte der Mobilfunkriese. Die Telekom sekundierte: „Das ist die Branchenlösung, an der wir gemeinsam arbeiten.“ Ein Kontrollsystem gegen den Missbrauch werde schon in den kommenden Wochen eingeführt.

Passiert ist in den folgenden zehn Monaten allerdings nicht viel. Darauf angesprochen versicherte uns ein Vodafone-Sprecher Ende Oktober 2011, dass „die betroffenen Unternehmen bereits darüber informiert und aufgefordert sind, die Vorgaben in den kommenden drei Monaten umzusetzen“, also bis Ende Januar 2012. Der Beschreibung von Vodafone zufolge handelt es sich dabei technisch betrachtet in etwa um die Handshake-Lösung, die O2 seit Monaten erfolgreich einsetzt. Auch die Telekom könnte bald auf diesen Weg einschwenken. Ein Sprecher teilte uns mit: „Elemente wie die Notifizierungs-SMS oder die Zurückleitung auf die Netzbetreiber-Infrastruktur sind bei uns ebenfalls angedacht“.

Der Vodafone-Sprecher versicherte uns, dass die neuen Maßnahmen „in ihrem Umfang über die gesetzliche Regelung hinaus gehen“. Dies stimmt zwar für den Augenblick. Im Endeffekt aber greift der Konzern lediglich einer bald in Kraft tretenden Regelung ein wenig vor, nämlich dem sogenannten Gesetz „zum besseren Schutz von Verbrauchern vor Kostenfallen im elektronischen Geschäftsverkehr“, besser bekannt als „Button-Lösung“.

Dem Entwurf zufolge sollen online geschlossene Verträge bald nur wirksam sein, wenn der Verbraucher mit einem Klick ausdrücklich bestätigt, dass er die Erläuterungen gesehen hat und sich zu einer Zahlung verpflichtet. Eine eigene Schaltfläche soll – genau wie es beim Vodafone-Handshake vorgesehen ist – eindeutig auf die Gebühren hinweisen. Der Online-Händler muss den Bestellvorgang so gestalten, dass der Verbraucher einen Auftrag mit einem Klick auf einen „Bestellen“-Button tatsächlich erst abgeben kann, wenn er die erläuternden Hinweise zur Kenntnis genommen hat.

Der Begründung des vom Bundeskabinett bereits abgesegneten Gesetzentwurfs greift „die Button-Lösung“ auch bei Handys: „Bei der grafischen Oberfläche kann es sich […] auch um eine Programmoberfläche im Display eines Smartphones oder einer Spielekonsole handeln.“ Wann die neue Regelung in Kraft tritt, ist noch nicht absehbar. Es könnte durchaus passieren, dass der Gesetzgeber Vodafones trägen Selbstregulierungsbestrebungen zuvorkommt.

[1] Holger Bleich, Inkasso auf Fingertipp, Tückische Abofallen in iPhone- und Android-Apps, c’t 22/10, S. 36 (hob)