Druck auf EU-Parlament wegen Speicherung von Telefon- und Internetdaten

Die EU-Mitgliedsstaaten haben noch keine Einigung beim Rahmenbeschluss zur pauschalen Überwachung der Nutzer erzielt, dafür sollen die Abgeordneten die Maßnahme noch in diesem Jahr absegnen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 172 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.

Die Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten konnten bei ihrem Treffen am heutigen Mittwoch in Luxemburg erneut keine Einigung über die Verabschiedung eines Rahmenbeschlusses des EU-Rates zur Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten erzielen. Sie erwärmten sich stattdessen größtenteils für einen Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft, die heftig umstrittene Vorratsdatenspeicherung mithilfe einer Richtlinie möglichst bald in der EU zu verankern. Einen entsprechenden Entwurf hat die dabei federführende EU-Kommission im September präsentiert. Den Rahmenbeschluss wollen die Minister aber parallel weiter vorantreiben, falls sich das bei der Richtlinie beteiligte EU-Parlament quer legen sollte. Die Briten fassen notfalls eine Sonder-Ratssitzung im Dezember ins Auge. Prinzipiell geht es bei den Plänen von Rat und Kommission um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mithilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden.

Obwohl die Briten Druck gemacht und im Juni das Herbsttreffen als letzten Termin für den Erlass der pauschalen Überwachungsmaßnahme fest ins Auge gefasst hatten, blieben bei einer Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten (Coreper) vergangene Woche viele grundsätzliche Fragen offen. Bedenken gab es vor allem, ob mit dem schon vor anderthalb Jahren lancierten Vorstoß der Länder Frankreich, Großbritannien, Irland, Spanien und Schweden im Rat eine akzeptable Harmonisierungsebene erreicht werde, ob der Beschluss Auswirkungen auf Staatszuschüsse habe und ob er den Mitgliedsstaaten nicht zu enge Fesseln im Bereich der Strafverfolgung angesichts neuer EU-weiter Aufsichtsmethoden anlege.

Liest man das Protokoll (PDF-Datei) der jüngsten COREPER-Treffen, zeigt sich das Ausmaß der Auseinandersetzungen. Sie fangen bei der Frage an, ob die Telekommunikationsfirmen entschädigt werden sollen oder ihren nationalen Beitrag zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung aus der eigenen Tasche zahlen müssen, und hört bei Einzelheiten zum Datenaustausch oder zur Aufbewahrung auch von Chat-Daten nicht auf. Insbesondere Deutschland und Österreich setzten hinter viele schon abgehandelt scheinende Punkte Fragezeichen. Der deutsche Justiz-Staatssekretär Hansjörg Geiger erklärte zudem in Luxemburg, die "Höflichkeit" gebiete es, zunächst mit dem frisch gewählten Bundestag zumindest über die Dauer der Datenspeicherung zu sprechen. In der vergangenen Legislaturperiode hatten die Abgeordneten Pläne zur pauschalen Bespitzelung strikt abgelehnt. Politiker der Union forderten jedoch im Juli vehement eine sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung. Auch die Gewerkschaft der Polizei macht Dampf in dieser Angelegenheit.

Zu denken gegeben haben dem britischen Innenminister Charles Clarke, der als größter Befürworter der raschen Einführung einer Vorratsdatenspeicherung gilt, die erneuten Verweise des Juristischen Dienstes des Rates, denen zufolge die Kommission und das Parlament die tief in wirtschaftliche Angelegenheiten eingreifende Maßnahme behandeln müssen. Die Rechtsexperten warnen nämlich auch davor, dass der Europäische Gerichtshof diese für nichtig erklären und jeder Betreiber Schadensansprüche geltend machen könnte.

Clarke pocht nun darauf, dass das Parlament den Vorschlag der Kommission bereits in 1. Lesung Mitte Dezember ohne lange Debatten absegnen soll. Dabei ist das Papier von Justizkommissar Franco Frattini nicht weniger umkämpft als der Rahmenbeschluss. Tony Bunyan von der Bürgerrechtsorganisation Statewatch legt den Abgeordneten daher ans Herz, sich nicht zur Eile treiben zu lassen. Man könne nicht so tun, als ob die von Rat und Kommission beabsichtigte Rundum-Überwachung der 450 Millionen EU-Bürger eine "unkontroverse Maßnahme" sei. Grundsätzliche Bedenken hat auch der Europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx angemeldet.

Die Briten haben einen Katalog (PDF-Datei) mit vier Anforderungspunkten als Basis für Verhandlungen mit dem Parlament aufgestellt. Demnach soll sich das Ausmaß der Datensammlung unbedingt auch auf Internetzugangsdaten sowie Informationen über nicht erfolgreiche Anrufe beziehen. Gegen die letzte Bestimmung läuft die Wirtschaft Sturm, weil diese Daten zumindest hierzulande bislang nicht vermerkt werden. Das Papier sieht daher eine Übergangsfrist von zwei Jahren in diesem Bereich vor. Bei der Speicherdauer schwenkt die Ratsführung auf den Vorschlag der Kommission ein mit einer sechsmonatigen Frist für Internet- und 12 Monaten für Telefondaten. Mitgliedsstaaten soll es aber zusätzlich erlaubt sein, maximal zwei Jahre Datenhaltung anzuordnen. Eine Entschädigungspflicht für die betroffenen Betreiber wollen die Briten nicht, diese heikle Frage soll "auf nationaler Ebene" entschieden werden. Bei der Überarbeitung der Liste der zu speichernden Daten geben sie sich gesprächsbereit: diese soll nach heftigen Protesten von Bürgerrechtlern nicht mehr vom Rat eigenständig erfolgen dürfen, sondern soll nach fünf Jahren im Rahmen einer allgemeinen Evaluationsklausel überdacht werden.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)