Österreichs Gesundheitsminister: Menschenschutz vor Datenschutz

Ärztekammer, Datenschützer und Opposition leisten heftigen Widerstand gegen die elektronische Gesundheitsakte. Zudem übte der Rechnungshof harsche Kritik. Gesundheitsminister Stöger verteidigte unterdessen sein Projekt.

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Der österreichische Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) will die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) einführen. Ärztekammer, Datenschützer und Opposition leisten heftigen Widerstand. Der Koalitionspartner ÖVP und einige Ländern sind geteilter Meinung. Zudem übte der Rechnungshof harsche Kritik. Am Sonntag verteidigte Stöger sein Projekt im ORF-Fernsehen: "Datenschutz ist wichtig. Mir als Gesundheitsminister geht es aber um Menschenschutz."

Die ELGA soll medizinische Informationen wie Befunde, verschriebene Medikamente und Therapievorschläge aller österreichischen Patienten enthalten, die nicht ausdrücklich ein Opt-Out-Prozedere durchlaufen. Informationen über HIV, psychische Erkrankungen und Schwangerschaftsabbrüche sollen nur auf Verlangen des Betroffenen online abrufbar sein. Alle Daten sollen an der jeweiligen Quelle gespeichert und in einem zentralen Verzeichnis referenziert werden. Dafür müssen neben Spitälern auch alle Ordinationen, Apotheken und Therapieeinrichtungen hochverfügbare Server installieren.

Rund 100.000 Personen sollen Zugriff auf die Daten erhalten, wobei aus Apotheken nur die Medikationsdaten gelesen werden können. Die Versicherungskarte des jeweiligen Patienten (eCard) muss dabei in ein Terminal gesteckt werden; danach gibt es Zugriff für 28 Tage. Patienten sollen in Logs Einsicht nehmen können, um zu erfahren, wer ihre ELGA heruntergeladen hat.

Stöger verspricht sich von der ELGA pro Jahr 7000 weniger Krankenhausaufenthalte, die auf Wechselwirkungen von Medikamenten zurückzuführen seien. "Transparenz erhöhen, effizienter werden und Qualität erhöhen" lautet Stögers ELGA-Motto. Das Vertrauensverhältnis von Patienten zu ihren Ärzten werde gestärkt, wenn Ärzte auf Informationen ihrer Kollegen zugreifen könnten, glaubt der Minister.

Die Wiener Ärztekammer wirft Stöger Realitätsverweigerung vor und verweist auf die Ablehnung durch den Datenschutzrat. Patienten würden durch die ELGA "komplett bloßgestellt". Die Ärzte verschlössen sich modernen Informationstechnologien nicht, sagte Kammerpräsident Walter Dorner. Ein vom Staat den Patienten und der Ärzteschaft gegen ihren Willen aufgezwängtes elektronisches Knebelungsinstrument gehöre aber "definitiv nicht dazu". Auch die Bundesärztekammer ist dagegen und will mit Inseraten die Österreicher "wachrütteln". Sie verweist darauf, dass ähnliche Projekte in anderen Ländern, darunter Deutschland, mangels Effizienz bereits aufgegeben worden seien.

Im März hat der Rechnungshof den damaligen Gesetzesentwurf vernichtend beurteilt (PDF). Es sei unklar, in welcher Form welche Daten gespeichert würden, welche Systeme erforderlich seien und welche Kosten anfallen würden. Der Entwurf entspreche auch nicht den Bestimmungen des Finanzministeriums für Gesetzesentwürfe.

Die Opposition lehnt die ELGA geschlossen ab. Die Grünen sehen Kritikpunkte nicht ausgeräumt. BZÖ und FPÖ fordern den Rücktritt des Gesundheitsministers. In fünf Jahren Vorbereitung seien 150 Millionen Euro ausgegeben worden, ohne dass es einen Zeit- und Kostenplan gebe, sagte der FPÖ-Abgeordnete Martin Strutz. Ein Gutachten schätze die jährlichen ELGA-Betriebskosten auf eine halbe Milliarde Euro, wobei selbst die ELGA GmbH die Kosten nicht beziffern könne. Zudem erwarteten Experten lange Zugriffszeiten von 5 bis 50 Minuten. (anw)