Große Koalition über Verschärfung der Anti-Terrorgesetze einig

Schwarz-Rot will die "bewährten" Überwachungsregelungen aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz beibehalten und ausweiten, während Experten der Koalition beim Datenschutz eine negative Bilanz attestieren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 547 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Schwarz-Rot will die "bewährten" Überwachungsregelungen aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz beibehalten und ausdehnen. Darauf haben sich Innenpolitiker der Koalitionsfraktionen mit dem Bundesinnenministerium anhand eines Entwurfs für ein "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" geeinigt. Wesentliche Teile des ursprünglichen, heftig umstrittenen Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus sollten insbesondere auf Drängen der Grünen eigentlich befristet gelten. Nach einer Evaluation der weitgehenden Ermächtigungsvorschriften für Strafverfolger und Geheimdienste durch das Bundesinnenministerium stimmten die innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der SPD-Fraktion, Hans-Peter Uhl sowie Dieter Wiefelspütz, nun aber nicht nur einer auf fünf Jahre befristeten Beibehaltung der Neuregelungen zu. Darüber hinaus verständigten sie sich darauf, das Instrumentarium zur Terrorismusbekämpfung deutlich zu erweitern.

Demnach sollen die bestehenden Befugnisse der Nachrichtendienste, bei Luftfahrtunternehmen, Banken, Post-, Telekommunikations- und Teledienstunternehmen Auskünfte einzuholen, künftig auch zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Inland eingesetzt werden. Voraussetzung soll sein, dass die Pläne für solche schweren Straftaten "die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern". Dabei könnte es sich etwa um Hetze rechtsextremistischer Organisationen oder um islamistische Hasspredigten handeln. Entsprechend ausgedehnt werden sollen auch die Ermächtigungen zum Einsatz des umstrittenen IMSI-Catchers. Dieser soll der "Identifikation von Mobiltelefonen" dienen, eignet sich aber auch zur Überwachung von Gesprächsinhalten.

Der Entwurf, der im Herbst in den Bundestag eingebracht werden soll, will deutschen Nachrichtendiensten ferner die Ausschreibung von Personen zur europaweiten verdeckten Registrierung und Fahndung im Schengener Informationssystem (SIS) "zur Abwehr von erheblichen Gefährdungen für die innere oder äußere Sicherheit" eröffnen. Das SIS wird gerade auf Betreiben Brüssels zu einer komplexen Datenbankstruktur ausgebaut, die von Bürgerrechtlern als "panoptische Überwachungsmaschine" scharf kritisiert wird. Eingefügt werden in das SIS der nächsten Generation zahlreiche neuer Kategorien, die insbesondere biometrische Daten wie ein digitalisiertes Gesichtsbild und (genetische) Fingerabdrücke umfassen.

Die Nachrichtendienste sollen darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, Auskünfte zu so genannten Kontostammdaten nach dem Kreditwesengesetz zu erhalten. Wegen der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den geltenden Regelungen zur Kontostammdatenauskunft will die Große Koalition die entsprechende gesetzliche Regelung aber vorläufig zurückstellen. Weiter wollen die Regierungsfraktionen es den Diensten ermöglichen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Auskünfte zu Fahrzeug- und Halterdaten aus dem Zentralen Fahrzeugregister beim Kraftfahrtbundesamt auch automatisiert abzurufen. Die Befugnisse sollen insgesamt auch für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und Bundesnachrichtendienst (BND) gelten, die bisher weniger Rechte zur Dateneinsicht hatten. Dem BND würden damit aber keine Bevollmächtigungen im Rahmen der so genannten Eigensicherung im Inland eröffnet, glauben die Innenpolitiker von Schwarz-Rot.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Hans-Christian Ströbele, rügte das Koalitionsvorhaben scharf. Seine Partei hätte immer befürchtet, dass die Sondervorschriften und erweiterten Befugnisse der Nachrichtendienste, die allein zur Terrorismusbekämpfung gedacht gewesen seien, nach einiger Zeit auch auf andere Aufgabengebiete ausgeweitet würden, betonte der Berliner Abgeordnete und sprach von einem "Missbrauch der Sorge um den islamistischen Terrorismus". Kritik kommt auch von Petra Pau, stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei. "Es geht um einen erneuten Angriff aufs Grundgesetz – von Amts wegen", wettert die Innenpolitikerin. Mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts hätten belegt, dass die Gesetze zur Terrorismusbekämpfung teilweise über Gebühr in die Bürgerrechte eingreifen. Davon unberührt wollten die Unionsparteien und die SPD nun noch draufsatteln.

Alexander Rossnagel, Rechtsprofessor an der Universität Kassel, stellte der Großen Koalition derweil bei einer Tagung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin ein Armutszeugnis beim Grundrechtsschutz aus. Schwarz-Rot hat seiner Ansicht nach "formal betrachtet die optimalen Voraussetzungen, auch schwierige Themen anzupacken" und etwa die lange geforderte Modernisierung des Datenschutzrechts voranzutreiben. Doch der Experte attestierte der Koalition "eine negative Bilanz". Schon in den vergangenen vier Jahren seien in diesem Bereich "kaum legislative Fortschritte" zu verzeichnen gewesen. Vielmehr verwies Rossnagel auf eine "Fülle verpasster Chancen", etwa bei der Novelle des Telekommunikationsgesetzes einen Abgleich mit dem allgemeinen Datenschutzrecht oder den nach wie vor bestehenden Sonderregelungen für die elektronischen Medien vorzunehmen.

So vermisst der Jurist auch ein "in sich stimmiges Konzept pseudonymen Handelns", um den 2001 neu ins Bundesdatenschutzgesetz eingeführten Grundsätzen der Datensparsamkeit und -vermeidung gerecht zu werden. Es gebe immer noch zuwenig Möglichkeiten, im elektronischen Raum nicht-identifiziert zu handeln. Ein Agieren unter Pseudonym müsse gefördert werden, solange jemand nicht straffällig sei oder Vertragspflichten nicht erfülle. Nur in solchen Fällen bedürfe es Regeln zur Aufdeckung der wahren Identität, und zwar nicht nur für Strafverfolger, sondern auch für Unternehmen im Bereich E-Commerce. Stattdessen seien ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und ins Verwaltungsgesetz Bestimmungen aufgenommen worden, die eine elektronische Signatur ohne Pseudonymverwendung vorschreiben. Darüber hinaus müsse die Große Koalition neuen technische Risiken etwa durch RFID oder Biometrie mit gesetzlichen Schutzmaßnahmen begegnen und die "Informationsmacht privater Datensammler" durch Kundenbindungssysteme, Profilbildung und Data Mining begrenzen. (Stefan Krempl) / (jk)