Die Verantwortung des Arbeitgebers & die Haftung des Arbeitnehmers, Teil I

Dürfen Arbeitgeber für gestohlene Waren Schadensersatz von Mitarbeitern verlangen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um das Thema Diebstahl im Handel.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Ein angestellter Handy-Verkäufer muss seinem Arbeitgeber keinen Schadensersatz leisten, weil er sich von einem angeblichen Kundengespräch ablenken ließ und in dieser Zeit Waren aus dem Laden entwendet wurden. Das hat das Arbeitsgericht Oberhausen in einem aktuellen Urteil entschieden (Az. 2 Ca 1013/11 vom 24. November 2011). Dennoch kommt es oft vor, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter bei Diebstahl oder Unstimmigkeiten in der Kasse zu Schadenersatz verpflichten wollen. Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, erklärt, welche Rechte und Pflichten Arbeitgeber und Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang haben.

Diebstähle sind im stationären Handel leider an der Tagesordnung. Und es gibt immer wieder Fälle, in denen Arbeitgeber versuchen, die Mitarbeiter dafür haftbar zu machen. Ist das erlaubt?

Bredereck: Für derartige Fälle gelten die allgemeinen Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung. Grundsätzlich ist zunächst einmal der Arbeitgeber verantwortlich für die mit der Organisation seines Betriebes verbundenen Risiken. Die Haftung des Arbeitnehmers ist insofern beschränkt. Soweit sich also ein typisches Betriebsrisiko realisiert und davon wird man zunächst bei einem Diebstahl im stationären Handel ausgehen müssen, liegt eine Haftung des Arbeitnehmers zumindest nicht nahe.

Kann der Ladeninhaber den Mitarbeiter haftbar machen, wenn sich dieser fahrlässig verhält, z.B. den Laden verlässt und die Tür offen lässt?

Bredereck: Wenn der Arbeitnehmer sich grob fahrlässig oder gar vorsätzlich verhält, haftet er dem Arbeitgeber gegenüber tatsächlich für den Schaden. Bei mittlerer Fahrlässigkeit wird der Schaden nach einer Quote im Einzelfall zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilt. Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer gar nicht. Grobe Fahrlässigkeit liegt immer dann vor, wenn der Arbeitnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Grad verletzt. Wer die Kasse offen lässt, während Kunden im Laden sind und für längere Zeit vom Arbeitsplatz verschwindet, dürfte mit Sicherheit grob fahrlässig handeln.

Alexander Bredereck arbeitet seit 1999 als Rechtsanwalt und seit 2005 als Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Bredereck Willkomm Rechtsanwälte in Berlin. Er ist Vorstand der Verbraucher- zentrale Brandenburg e.V. sowie Mitglied im Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V. und Mitglied im Arbeitskreis Arbeitsrecht im Berliner Anwaltsverein e.V. Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht ist die Vertretung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Kündigungsschutzprozessen. Kontakt und weitere Informationen: Fachanwalt@Arbeitsrechtler-in.de

Es muss ja nicht immer gleich Diebstahl sein. Was, wenn die Kasse am Abend nicht stimmt? Darf der Chef vom Mitarbeiter verlangen, die Differenz aus eigener Tasche zu bezahlen?

Bredereck: Hier gelten ebenfalls die oben dargestellten Grundsätze zu Arbeitnehmerhaftung. Dem Arbeitnehmer müsste also mindestens mittlere Fahrlässigkeit vorwerfbar sein. Jedenfalls dann, wenn es sich um übliche Fehlbeträge handelt, die im Vergleich zum Gesamtumsatz in der Kasse im Promillebereich liegen, wird vom Bundesarbeitsgericht in solchen Fällen regelmäßig allenfalls leichte Fahrlässigkeit angenommen. Der Arbeitnehmer haftet also nicht.

Der Arbeitnehmer hat demnach nichts zu befürchten?

Bredereck: Wenn sich der Kassenfehlbestand im Rahmen des beim Arbeitgeber üblichen hält, grundsätzlich nicht. Ein Arbeitnehmer der permanent einen verglichen mit anderen Arbeitnehmern deutlich erhöhten Differenzbetrag in der Kasse hat, muss aber unter Umständen mit einer Kündigung des Arbeitgebers wegen Schlechtleistung rechnen. Wie das Landesarbeitsgericht Sachsen in einer Entscheidung vom 14.04.2010 (Az: 5 Sa 277/09) noch einmal bestätigt hat, kommt in solchen Fällen grundsätzlich eine personenbedingte Kündigung in Betracht. (Marzena Sicking) / (map)

Im zweiten Teil zur "Verantwortung des Arbeitgebers & Haftung des Arbeitnehmers" lesen Sie ab 6. Dezember 2011 was Arbeitgeber tun dürfen, wenn sie einen Mitarbeiter des Diebstahls verdächtigen und welche Haftungsfragen sich ergeben, wenn Mitarbeiter Dritten Schaden zufügen.

(masi)