EU-Datenschützer: Tiefer Eingriff in Privatsphäre durch Vorratspeicherung von TK-Daten

Die Datenschutzbeauftragten der EU-Mitgliedsstaaten stellen sich entschieden gegen die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung der Kommission, während auch das Parlament dem Thema Symbolcharakter zumisst.

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Die Datenschutzbeauftragten der EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf einer Sondersitzung am heutigen Freitag in Brüssel entschieden gegen das Vorhaben der EU-Kommission und des EU-Rates gestellt, über eine Richtlinie die elektronischen Spuren der 450 Millionen EU-Bürger pauschal aufzuzeichnen und auf Vorrat zu speichern. Die Hüter der Privatsphäre, die in der EU in der so genannten Artikel-29-Gruppe organisiert sind, weisen in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf der Kommission auf die "historischen Dimension" der Einführung der heftig umstrittenen pauschalen Überwachungsmaßnahme. "Die Anbieter von Telekommunikations- und Internetdiensten würden zum ersten Mal gezwungen, Milliarden von Telefon- und Internetdaten aller Bürger für Ermittlungszwecke zu speichern", gab der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar als Vorsitzender der Datenschützergruppe zu bedenken.

Bei den Plänen von Rat und Kommission geht es prinzipiell um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Telefondaten sollen laut der Kommission zwölf, Internetdaten sechs Monate gespeichert werden. Die Datenschützer weisen nun darauf hin, dass die vorgesehene obligatorische generelle Vorratsdatenspeicherung tief in das an sich unverletzliche Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation eingreife. "Jede Einschränkung dieses Rechts darf nur auf Grund einer dringenden Notwendigkeit erfolgen, sie sollte nur in Ausnahmefällen gestattet sein und sie muss angemessenen Sicherheitsmaßnahmen unterliegen", stellt Schaar klar. Im Interview mit heise online hatte er zuvor bereits darauf hingewiesen, dass die Einführung einer Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung hierzulande gegebenenfalls im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu überprüfen sei.

Die Datenschutzgruppe hat in ihrer Empfehlung auch das Risiko berücksichtigt, das terroristische Bedrohungen für eine demokratische Gesellschaft bedeuten. Sie bezweifelt aber, dass die bislang vorgebrachten Begründungen für eine generelle obligatorische Vorratsdatenspeicherung überzeugend sind. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die vorgeschlagenen Fristen. Die Gesetzgeber müssten auch berücksichtigen, dass es Methoden wie das auch in den USA praktizierte "Quick Freeze"-Verfahren gebe, die weniger stark in die Privatsphäre eingreifen.

Sollten sich gleichwohl grundsätzlich Mehrheiten für die Einführung der Überwachungsmaßnahme finden, müssten spezielle Schutzmaßnahmen getroffen werden, fordern die Datenschützer. Sie verweisen vor allem auf enge Voraussetzungen für den Zugang und zur Nutzung der Daten, die Notwendigkeit von Genehmigungen und Kontrollen sowie Maßnahmen zur Datensicherheit. Die betroffenen Datenkategorien und deren Aktualisierung sollten ihrer Ansicht nach exakt festgelegt werden. Es sei auch zu gewährleisten, dass Inhaltsdaten nicht erfasst werden. Die Speicherfristen sollten "so kurz wie möglich" und für alle Mitgliedsstaaten bei der Höchstgrenze verbindlich sein. Die Geltungsdauer einer Richtlinie will die Gruppe auf drei Jahre begrenzt wissen.

Im EU-Parlament sollen die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in den kommenden Monaten nun als Schlüsselthema mit Symbolcharakter behandelt werden. Der für die Richtlinie zuständige Berichterstatter, der Liberale Alexander Alvaro, sieht zumindest hier die Möglichkeit "einen Präzedenzfall zu schaffen, der für die Zukunft sicherstellt, dass das Europäische Parlament an den wichtigsten innenpolitischen Entscheidungen beteiligt wird". Bislang haben die Mitgliedsstaaten bei Beschlüssen im Bereich Innere Sicherheit die Abgeordneten nur angehört, mussten sich nach deren Ansichten aber nicht richten.

Am gestrigen Donnerstag hat die Runde der Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament entschieden, dem Gesetzgebungsverfahren rund um die pauschale Überwachungsmaßnahme hohe Priorität einzuräumen. Gleichzeitig haben sie den Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres als federführend in den Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat bestätigt. Alvaro selbst legte ebenfalls gestern seine Änderungsanträge für die Kommissionsvorlage vor, welche die im Raum stehende Rundumüberwachung der Bürger deutlich entschärfen würden. Der FDP-Politiker bekräftigte jetzt, dass "der am Ende erzielte Kompromiss kein politischer Kuhhandel sein darf". Bisher seien die Verhandlungen mit den anderen Brüsseler Institutionen aber "produktiv" verlaufen. Gleichzeitig will er erreichen, dass der Rat "wesentliche Bestandteile der Innen- und Rechtspolitik" in die Mitentscheidung des Parlaments überführt.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)