Bundesjustizministerin für sechsmonatige Speicherung von TK-Verbindungsdaten

In einem Schreiben an deutsche EU-Abgeordnete macht sich Brigitte Zypries für die pauschale Überwachungsmaßnahme unter Vorbehalt stark, während sich die Parlamentarier einen ersten Schlagabtausch lieferten.

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In einem Schreiben an alle deutschen EU-Abgeordneten hat jetzt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in den heftigen Streit um den Plan der EU-Kommission und des EU-Rates eingegriffen, über eine Richtlinie die elektronischen Spuren der 450 Millionen EU-Bürger pauschal aufzuzeichnen. Bei der kritischen Speicherfrist der Telekommunikationsdaten macht sich die SPD-Politikerin in dem Brief, der heise online vorliegt, für eine sechsmonatige Verpflichtung der Anbieter sowohl im Internet- als auch im Telefonsektor stark. Damit würden "schätzungsweise deutlich über 90 Prozent der Bedarfsfälle abgedeckt", begründet sie ihr Anliegen. Die bisherigen Änderungsanträge aus dem EU-Parlament sehen maximal eine dreimonatige Archivierungsdauer vor. Die von der Kommission und vom Rat fast gleich lautend geforderte Liste der konkret zu speichernden Daten ist Zypries noch zu umfassend.

Bei dem Vorhaben von Rat und Kommission geht es um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Telefondaten will die Kommission zwölf, Internetdaten sechs Monate gespeichert wissen. Der Parlamentsberichterstatter für die Richtlinie, Alexander Alvaro, plädiert dagegen für eine dreimonatige Vorhaltungspflicht allein im Telefonbereich. Die Möglichkeit zur Datenabfrage durch die Sicherheitsbehörden will der FDP-Politiker an einen engen Katalog schwerer Straftaten knüpfen.

Derlei Überlegungen zur Aufnahme klarer Vorgaben für die "Bedarfsträger" hält Zypries jedoch "für problematisch und im Ergebnis nicht zielführend". Die Daten müssten nicht nur für Strafverfolgungszwecke zur Verfügung stehen, sondern würden auch zur "polizeilichen Gefahrenabwehr sowie für Zwecke der Dienste (Verfassungsschutz etc.)" benötigt. Zudem gelte es im Rahmen der Strafverfolgung "eine erhebliche Anzahl von — nicht besonders schweren — Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen werden und die deshalb ohne Rückgriff auf Verkehrsdaten von vornherein nicht aufgeklärt werden könnten". Die SPD-Politikerin denkt dabei etwa an Computer- und Internetkriminalität, Drohanrufe oder "Stalking". Auch heute ist die Aufklärungsrate solcher Verbrechen ohne eine Zwangsverpflichtung zur Datenspeicherung aber schon recht hoch.

Der von Parlamentariern und der Kommission geforderten Kostenerstattungsklausel für die betroffenen Unternehmen steht Zypries skeptisch gegenüber. Eine verbindliche Entschädigungspflicht bringt ihrer Ansicht nach "Folgeprobleme" etwa bei der Abgrenzung zu ohnehin betriebsbedingt entstehenden Kosten mit sich. Die Mitgliedsstaaten sollten besser selbst über entsprechende Erstattungsregeln entscheiden. Weiter stellt sich die Justizministerin auf Grund des hohen zusätzlichen Investitionsaufwand für die Wirtschaft gegen die von Rat und Kommission bisher als nötig erachtete Erfassung von Standortdaten am Ende einer Mobilfunkverbindung sowie gegen die Aufzeichnung erfolgloser Verbindungen. Nicht belegt sei derzeit ferner die Notwendigkeit, die MAC-Adressen von PC-Netzwerkkarten zu erfassen. Sollten ihre Bedenken nicht aufgegriffen werden, betont Zypries, könne sie einem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auch im Ministerrat nicht zustimmen.

Im EU-Parlament selbst zeichnete sich bei einer ersten Besprechung der bereits vorliegenden Änderungsanträge auf einer Sondersitzung des federführenden Ausschusses für Bürgerrechte, Justiz und Inneres am gestrigen Montag in Straßburg noch keine Einigkeit über die weitere Linie ab. "Vor allem bei der Speicherdauer tendieren einige Abgeordnete zu sechs, einzelne gar zu zwölf Monaten", berichtet Alvaro. Auch seine Empfehlung, Internetverbindungsdaten nicht zu erfassen, sei umstritten. "95 Prozent der Kollegen fehlt leider das technische Verständnis um zu begreifen, was in diesem Bereich alles gespeichert werden müsste", schätzt der Berichterstatter. Viele könnten sich keine Vorstellung davon machen, was etwa beim Archivieren von Verbindungen über das Web-Protokoll http alles anfalle.

Auch bei Standortdaten hat Alvaro mit seinem Antrag, diese nicht für vorbeugende Zwecke der Verbrechensprävention aufzubewahren, noch einen schweren Stand. Viele Abgeordnete seien zwar gegen eine Profilerstellung schon im Vorfeld möglicher Straftaten, der Rat sowie Parlamentarier aus Spanien und Großbritannien sähen die Sache aber anders. Allgemein mitgetragen im Ausschuss würden Forderungen nach einer vollen Mitbestimmung des Parlaments bei einer Änderung der Liste zu speichernder Daten sowie nach Schutzvorschriften für den Zugriff auf die Bytehalden.

Generell sieht Alvaro die Gefahr, dass angesichts der vom Rat verordneten Eile "Fehler im Gesetzgebungsverfahren nicht auszuschließen sind". Das Parlament bemühe sich zwar redlich, bei dem vorgegebenen Tempo mitzuhalten, doch schon die Übersetzungsdienste kämen bei den Änderungsanträgen nicht nach. Für die fachliche Debatte vor der noch im Dezember gewünschten 1. und einzigen Lesung der Richtlinie würde kaum Zeit bleiben. Für nicht ausgeschlossen hält es der Liberale unter diesen Umständen, dass die großen Koalitionen im Plenum letztlich ohne Sensibilität für das heikle Thema einen Kompromiss auf Teufel komm raus mit dem Rat und der Kommission suchen, wobei inhaltliche Fragen dann nur sekundär eine Rolle spielen würden.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)