Europäisches Patentamt hält an Softwarepatenten fest

Die Beschwerdekammern der Münchner Behörde haben Vorwürfe aus Großbritannien wegen ihrer Festschreibung einer weiten Vergabepraxis zurückgewiesen, während das US-Patentamt die Anspruchsprüfung zum Peer-Review öffnet.

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Das Europäische Patentamt (EPA) sieht keinen Anlass zur Einschränkung seiner weiten, Schutzansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" einschließenden Praxis zur Vergabe von Patentansprüchen. In einer jetzt veröffentlichten Entscheidung (PDF-Datei) der Beschwerdekammern vom November weist die Münchner Behörde Kritik aus Großbritannien zurück, wonach die Regeln des EPA mit dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) nicht vereinbar seien.

Laut den Beschwerdekammern müssen gemäß dem EPÜ für die Patenterteilung allein die Neuheit, die Höhe und die industrielle Anwendbarkeit einer Erfindung erfüllt sein. Dass eine Erfindung auch einen "technischen Charakter" aufzuweisen habe, sei implizit ein weiteres Erfordernis. Ein Ansatz, in dem ein "technischer Beitrag" ausschlaggebend und auch mit der Berücksichtung bereits erfolgter Erfindungen in Form der so genannten Prior Art zu verknüpfen sei, lasse sich dagegen nicht aus dem Übereinkommen herleiten. Die Beschwerdekammern hätten diese "Beitragsbestimmung" daher schon vor einem Jahrzehnt aufs Abstellgleis geschickt. In der Praxis könnte in einem Anspruch auch eine nicht-technische Funktion mit technischen Elementen einer Erfindung interagieren; die Neuheit und der erfinderische Schritt müssten aber auf klar definierten technischen Funktionen basieren. Gemäß dieser Philosophie des EPA sind Computerprogramme oder Teile davon Kritikern zufolge prinzipiell patentierbar, solange sie die allgemeinen Anforderungen erfüllen. Software läuft bei ihrer Anwendung schließlich immer in einem Rechner ab, der ein technisches Gerät ist.

Das britische Berufungsgericht in London hatte zuvor unter der Führung von Sir Robin Jacob den Schutzanspruch des Australiers Neal William Macrossan auf ein Verfahren zur computergesteuerten Erstellung rechtskonformer Unternehmensdokumente zurückgewiesen. Diese Methode beziehe sich auf reine Geschäftsabläufe, urteilten die Richter. Ein gesonderter technischer Beitrag sei nicht vorhanden. Damit falle Macrossans Einfall eindeutig unter die Ausschlussklauseln des EPÜ. Artikel 52 der rechtlichen Grundlage für die Patentvergabe des EPA besagt, dass etwa geschäftliche Tätigkeiten und Datenverarbeitungsprogramme "als solche" nicht patentierbar sind.

Der EU-Rat hat sich unter deutscher Präsidentschaft unterdessen mit der umstrittenen Empfehlung der EU-Kommission zur "Vertiefung" des Patentsystems beschäftigt. In einem "Fortschrittsbericht" (PDF-Datei) wird festgehalten, dass der Streit über die Einrichtung einer neuen zentralen Patentgerichtsbarkeit einer Prüfung durch den Rechtsdienst des Ministergremiums bedürfe. Einig sei man sich nur gewesen, dass ein effizientes System zur Streitregelung in erster Instanz dezentral arbeiten und über einen zentrales Berufungsgericht mit technischer Expertise verfügen sollte. Die Details müssten aber noch geklärt werden.

Die Kommission befürwortet in dem heftig umkämpften Gebiet einen zweigeteilten Ansatz. Mit ihm sollen der vielfach kritisierte Entwurf für ein Europäisches Übereinkommen zu Patentstreitigkeiten (EPLA) im Rahmen des EPÜ sowie eine spezifische Gemeinschaftsgerichtsbarkeit für Rechtsstreits über die bisherigen europäische Bündel- und die geplanten Gemeinschaftspatente in einem Mehrkammernsystem zusammengeführt werden. Die deutsche Industrie und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) drängen dagegen darauf, möglichst rasch das EPLA in Kraft zu setzen. Mehrere EU-Mitgliedsstaaten zweifeln aber an, ob dieses mit dem EU-Rechtsrahmen überhaupt vereinbar ist. Softwarepatentgegner fürchten von dem im EPA ersonnenen Streitregelungsabkommen zudem eine Festschreibung der Vergabepraxis der Münchner Behörde, in der am heutigen Dienstag 70 Prozent der Belegschaft wegen Qualitätsbedenken streikten.

Das US-Patentamt hat derweil sein lange angekündigtes, auf ein Jahr beschränktes Pilotprojekt zum Peer-Review von Patentanträgen mit Unterstützung der New York Law School gestartet. Unter dem Aufhänger "Peer to Patent" können registrierte Freiwillige seit Freitag zunächst fünf Anmeldungen für gewerbliche Schutzrechte unter anderem von Hewlett-Packard, IBM, Intel oder Red Hat unter die Lupe nehmen und so den vielfach überforderten offiziellen Patentprüfern auf der Suche nach Hinweisen auf Prior Art unter die Arme greifen. Insgesamt sollen 250 Patentanträge auf diese Weise gemeinschaftlich begutachtet werden. Den Wert ihrer möglichen Erfindungen prüfen lassen wollen auf diesem Weg auch Firmen wie General Electric, Intellectual Ventures, Microsoft, Oracle, Sun Microsystems oder Yahoo. Statt rund vier Jahre auf einen Bescheid warten zu müssen, können die an das Projekt angeschlossenen Unternehmen schon nach einem Jahr mit einem Ergebnis rechnen.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (pmz)