EU-Parlament beginnt Debatte um ACTA-Ratifizierung

Der Ausschuss für Entwicklung arbeitet als erstes Gremium der Bürgervertretung an einer Empfehlung zu dem Anti-Piraterie-Abkommen; mehrere Abgeordnete sehen den Zugang zu günstigen Medikamenten in Frage gestellt.

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Der Ausschuss für Entwicklung des EU-Parlaments hat als erstes Gremium der Bürgervertretung seine Arbeit an einer Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung des umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommens ACTA aufgenommen. Bei einer Aussprache über den Entwurf (PDF-Datei) für eine Stellungnahme für den federführenden Industrieausschuss am Dienstag sahen viele Abgeordnete den Zugang zu günstigen Medikamenten und Generika in Entwicklungsländern durch ACTA in Frage gestellt. Mit der abschließenden Plenarabstimmung in Straßburg ist frühestens im Mai oder Juni zu rechnen.

Sollte es zu Verwirrungen über Arzneimittel kommen, die bereits unter einem Markennamen verfügbar seien, und wirkstoffgleichen Kopien, müssten letztere dem Vertrag nach zerstört werden, fürchtete eine britische Abgeordnete. Die Menschen erhielten so nicht die von ihnen benötigte Medizin. Nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel werde nicht gefragt. Eine deutsche Parlamentarierin ergänzte, dass die Volksvertreter nicht einer Sache zustimmen dürften, welche die Situation für die Entwicklungsländer faktisch weiter verschärfe.

"Nein" kommt nicht in Frage

Der Berichterstatter des Ausschusses, Jan Zahradil, räumte ein, dass ACTA die Verfügbarkeit von Medikamenten gerade in ärmeren Gebieten einschränken könne. Er plädierte anfangs trotzdem im Sinne seines Berichtsentwurfs dafür, die Bestimmungen insgesamt zu begrüßen und sie mit der europäischen Entwicklungsagenda zu verknüpfen. Rechte an immateriellen Gütern würden andererseits weiter unter Beschuss geraten, da einzelne Länder Erfindungen Dritter einfach kopierten. Nach der halbstündigen Debatte versprach der konservative Tscheche, dass er einen Kompromiss suchen wolle. Ein "striktes Nein" komme für ihn aber nicht in Frage.

Ein Vertreter der EU-Kommission unterstrich, dass die Durchsetzbarkeit der Rechte an immateriellen Gütern international verbessert werden müsse. Der Vertrag sehe Garantien für die Beschaffbarkeit von Medikamenten vor und klammere Patente aus. Bei ähnlichen Markenzeichen zwischen Originalen und Generika würden letztere einbehalten, bis Gerichte über ihre Verwendbarkeit entschieden hätten. Einige auf Innovationen setzende Entwicklungsländer haben laut dem Abgesandten der Brüsseler Regierungseinrichtung zudem selbst Interesse signalisiert, ACTA beizutreten.

Der Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) und die Vereinigung La Quadrature du Net appellierten in offenen Briefen an die Volksvertreter, sich gegen ACTA auszusprechen. Sie kritisieren, dass der Berichtsentwurf des Entwicklungsausschusses fehlerhaft sei und auch die Einschätzung des Rechtsdienstes des EU-Parlaments wichtige Punkte aus dem Auge verloren habe. So würden etwa die Auswirkungen der in der Übereinkunft enthaltenen Strafvorschriften auf Provider und die Grundrechte nicht ausreichend berücksichtigt.

Proteste in Polen und Österreich

In Polen legten Aktivisten der Gruppen Anonymous und "Polish Underground" aus Protest gegen ACTA die Webseiten des Parlaments, des Kulturministeriums und des Präsidenten lahm. Zuvor war bekannt geworden, dass die polnische Regierung das Abkommen am Donnerstag unterzeichnen will. Die Betreiber mehrerer Webseiten des Landes haben aus Protest Teile ihrer Angebote mit schwarzen Balken versehen, andere wollen gemäß dem Vorbild der Aktionen gegen die US-Zensurgesetze PIPA und SOPA stundenweise offline gehen. Am Donnerstag sind Demonstrationen in mehreren polnischen Städten gepla nt.

Auch österreichische Ministerien waren Ziel von Hackerangriffen, da der Vertrag in der Alpenrepublik ebenfalls schon bald zur Ratifizierung ansteht. Die dortige Landesregierung hat den Weg dafür am Dienstag bereits frei gemacht, ihr Beschluss muss aber noch vom Nationalrat bestätigt werden. Der österreichische EU-Parlamentarier Jörg Leichtfried (SPÖ) erklärte, dass er inhaltliche und rechtliche Bedenken gegen ACTA habe. Die konservative EU-Abgeordnete Elisabeth Köstinger sieht ebenfalls noch Prüfbedarf, ob die Übereinkunft mit dem EU-Recht vereinbar ist. (vbr)