Mehr Massenware

Der neue AMD-Chef Rory Read will die CPU-Entwicklung beschleunigen, um schneller auf Trends reagieren zu können. Dafür opfert er einige zuvor geplante Produkte. Sparsame x86-Kombichips sollen ultraportable Notebooks und Windows-8-Tablets erobern – und später will AMD auch Kerne anderer Entwickler in eigene SoCs backen.

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Inhaltsverzeichnis

Seit rund fünf Monaten sitzt der ehemalige Lenovo-Manager Rory Read nicht nur im AMD-Chefsessel, sondern auch im Aufsichtsrat. In dieser Zeit hat er rund 1400 Mitarbeiter entlassen, darunter auch Entscheidungsträger. Anschließend besetzte er wichtige Führungspositionen neu: Sein Chief Technology Officer Mark Papermaster kommt von Cisco und war davor bei Apple und IBM. Das operative Geschäft und somit die Umsetzung der Roadmap verantwortet seit Kurzem die Elektroingenieurin Dr. Lisa Su, die von Freescale kam.

Der Texaner Read sagt von sich: „I’m a Volume Guy“ – ich bin der Typ für Massenprodukte. Und in diese Richtung steuert er AMD: Die Entwickler sollen mehr Systems-on-Chip (SoCs) aus modularen Funktionsblöcken – x86-CPUs, Radeon-GPUs, Speicher- und I/O-Controller – für umsatzstarke Volumenmärkte zusammenstricken. AMD müsse schneller auf Trends reagieren und die rasch wachsenden Märkte der Tablets und schlanken Notebooks bedienen. Pünktliche Auslieferung angekündigter Produkte – im Wirtschaftsjargon „Execution“ genannt – ist jetzt Trumpf. Die Entwickler sollen keine Risiken mehr eingehen mit dem Versuch, das letzte Quentchen Performance aus einem Prozessor-Entwurf herauszukitzeln.

Kurzfristig, nämlich bis 2014, stehen keine wirklich neuen SoC-Produkte auf dem AMD-Fahrplan, also den Roadmaps für Desktop-PCs, Notebooks, Tablets, Server und Grafikkarten. Ganz im Sinne der Maßgabe, „nur Produkte ankündigen, die wir sicher schaffen“, wurden sogar fünf Prozessoren gestrichen, die eigentlich für 2012 versprochen waren: Die Opteron-Versionen Terramar und Sepang für Server, der FX-Nachfolger Komodo für Desktop-Rechner und die Atom-Konkurrenten Krishna und Wichita. Allerdings gibt es Ersatz: Für Server kommen Opterons namens Abu Dhabi (6000er-Serie, Fassung G34) und Seoul (4000/C32), für schnelle Desktop-Rechner Vishera (FX/AM3+). Sie enthalten überarbeitete Bulldozer-Kerne namens Piledriver, passen aber auf Mainboards mit den bisherigen Fassungen. Möglicherweise kommen neue Chipsätze, die aber nicht offiziell angekündigt wurden. Eigentlich hatte AMD neue Plattformen einführen wollen, vermutlich für Prozessoren mit integrierter PCI-Express-3.0-Anbindung. Den Verzicht darauf begründet Rory Read auch mit der Nachfrage: Die PC-Hersteller wünschten langlebigere Produkte. Und Piledriver soll deutlich mehr Rechenleistung liefern als die erste Bulldozer-Generation.

AMD will nicht verraten, welche Auftragsfertiger die 28-nm-APUs produzieren sollen, und verspricht wenig für 2014.

Für Billig-Notebooks und Tablets waren 2012 erste 28-Nanometer-Prozessoren mit bis zu vier verbesserten Bobcat-Prozessorkernen geplant, nämlich Krishna und Wichita. Sie sollten die Brazos-Plattform beerben, also C-50/60 und E-350/450. Man munkelte sogar von einer Version mit eingebauten Southbridge-Funktionen inklusive USB 3.0 als Konter gegen Intels kommenden Tablet-Atom Medfield. Doch anders als bei den GPUs beginnt die 28-nm-Ära bei den AMD-CPUs nun erst 2013. Für die Mittelklasseprozessoren war das ohnehin geplant, aber bei den Billig-Notebooks überbrückt AMD das Jahr 2012 nun mit Brazos 2.0: weiterhin mit 40-nm-Strukturen gefertigte C- und E-Typen, darunter ein E2-1800. Neu ist etwa eine Turbo-Funktion, welche den bisherigen 9-Watt-(Ontario-) und 18-Watt-(Zacate-)Prozessoren fehlt. Laut den Marktforschern von Mercury Research verkaufte AMD 2011 rund 24 Millionen Brazos-APUs und weniger als 10 Millionen Llanos – kein Wunder, dass Rory Read von Brazos als der erfolgreichsten AMD-Plattform aller Zeiten schwärmt. Die kompakten, von TSMC billig und in Riesenmengen gefertigten Kombiprozessoren wurden nach einem modularen SoC-Rezept konstruiert und stellen sozusagen die Blaupause künftiger AMD-Produkte dar.

Sehr wichtig ist für AMD auch Trinity: Diese zweite Generation von Accelerated Processing Units (APUs) der Serie A werde bereits an PC-Hersteller ausgeliefert, verkündete Lisa Su. Die 17-Watt-Ausführungen zielen auf superflache „Ultrathins“ – sie zeigte ein 18 Millimeter schlankes Referenzdesign des Auftragsfertigers Compal –, die Intels Ultrabooks Konkurrenz machen. Vorteil des Trinity: Er ist billiger und liefert schnellere DirectX-11-Grafik. Die GPU-Performance soll bis zu 50 Prozent höher liegen also bei Llano. Für die Piledriver-Prozessorkerne verspricht AMD im Vergleich zu Llano bei ähnlicher Leistungsaufnahme rund 25 Prozent mehr Rechenleistung. Damit werden sie allerdings wohl weit hinter Intels kommendem Ivy Bridge alias Core i-3000 zurückliegen. Aber darauf kommt es nach Meinung von Lisa Su heutzutage ohnehin nicht mehr so stark an: „Wenn man es recht bedenkt, bekommt man CPU-Performance heutzutage eigentlich umsonst“. Ist hohe Rechenleistung gefragt, sollen Programmierer sie vor allem aus dem GPU-Teil der APUs zapfen. Das sei jetzt schon bei „mehr als 200“ (Windows-)Anwendungen der Fall.

Die Trinity-Prozessoren sollen „um die Jahresmitte herum“ erscheinen – vielleicht zur Computex Anfang Juni? Unklar ist weiterhin, auf welchen Mainboards die Desktop-Trinitys laufen werden, vermutlich auf solchen mit der neuen Fassung FM2. Bisherige A75-Boards mit FM1 würden sich dann nicht aufrüsten lassen. Die Desktop-Versionen der Serie A machten im vierten Quartal 2011 allerdings bloß 16 Prozent aller verkauften AMD-Chips für stationäre Rechner aus – und die Leser von heise online und c’t schätzten sie noch deutlich geringer (s. c't 5/2012, S. 142). Trinity soll aber vor allem Notebooks erobern.

2013 steht der 28-Nanometer-Nachfolger von Trinity auf dem Plan: Die APU namens Kaveri wird den soeben mit Radeon HD 7970 und 7950 eingeführten Graphics Core Next (GCN) enthalten. Das gilt auch für die Sparmeister Kabini und Tamesh mit Jaguar-Prozessorkernen, also verbesserten Bobcat-Cores. Die Tamesh-APU ist für Tablets gedacht, doch noch 2012 soll mit dem 4,5-Watt-Hondo ein Nachfolger des Z-01 (5,9 Watt) erscheinen – ausdrücklich für Windows-8-Tablets. Intel verkauft mit dem Atom N2600 zwar schon jetzt einen 3,5-Watt-Doppelkern, aber bloß mit schlapper PowerVR-Grafik. Nach der recht überzeugenden Vorstellung des Smartphone-Atom Z2460 auf der CES räumt man Intels rechtzeitig für Windows 8 erwarteten Doppelkern Medfield gute Chancen bei Tablets ein. Vermutlich schwächelt dessen GPU aber ebenfalls – hier dürfte AMD punkten, wenn auch um den Preis höherer Leistungsaufnahme unter Last. Irgendwann nach 2013 will AMD aber ein x86-SoC mit weniger als 2 Watt bringen.

ARM-Kernen für Tablets-SoCs erteilt AMD zunächst eine Absage: Mit x86- und GPU-Kernen habe man schon alles Nötige. Doch mit der Heterogeneous System Architecture (HSA) will sich AMD im Laufe der Zeit „anderen ISAs“ (Instruction Set Architectures) öffnen, also auch ARM-Technik. HSA soll ein Industriekonsortium spezifizieren und von anderen Herstellern nutzbar sein. Um Rechenaufgaben über die jeweils zur Verfügung stehenden CPU- und GPU-Kerne sowie vielleicht auch auf spezielle Beschleuniger zu verteilen, will AMD auf die Open Compute Language (OpenCL) setzen. Erste HSA-Funktionen wie ein gemeinsamer Speicherbereich für CPU und GPU sollen 2013 mit Kaveri sowie der Sea-Islands-GPU kommen. Kabini und Tamesh müssen auf HSA-Funktionen noch verzichten. 2014 ist dann – vielleicht schon mit 20-nm-Technik – die erste „richtige“ HSA-GPU geplant. Das könnte auch als Antwort auf Nvidias Projekt Denver gedacht sein: 2014 plant Nvidia die GPU-Generation Maxwell, welche auch mit 64-bittigen ARMv8-Kernen verschmelzen soll. Schon vor einem Jahr hatte Nvidias Chefwissenschaftler Bill Dally „Windows-PCs mit Denver-Technik“ erwähnt (siehe c’t-Link unten).

Bei genauer Betrachtung hat AMD auf dem Financial Analyst Day 2012 wenig mehr Produkte versprochen als auf der gleichnamigen Veranstaltung 14 Monate zuvor, nämlich im November 2010. Im Wesentlichen wurden die schon damals für 2013 in Aussicht gestellten 28-nm-Chips konkretisiert. Auch das APU- beziehungsweise Fusion-Konzept ist alles andere als neu, allerdings ist HSA ein neuer Ansatz. Nun müssen Rory Read und seine neue Mannschaft ihre Pläne pünktlich umsetzen. Härtere Konkurrenz in der viel gekauften Mittelklasse der Desktop-PCs und Notebooks ist hochwillkommen.

www.ct.de/1205020 (ciw)