Für ACTA wird die Luft dünner

Auch die Konservativen im EU-Parlament wollen die internationale Vereinbarung jetzt gründlich prüfen, die Niederlande haben die Ratifizierung ausgesetzt. Rechteinhaber wittern "Angriffe auf demokratische Institutionen".

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In Europa sinken die Aussichten für eine Ratifizierung des heftig umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommens ACTA. Mit der Europäischen Volkspartei (EVP) will nun auch die stärkste Fraktion im EU-Parlament den Text für den internationalen Vertrag noch einmal gründlich prüfen. Man werde dabei unter anderem Bedenken zu möglichen Einschränkungen im Internet berücksichtigen, betonte der französische Vorsitzende der Konservativen, Joseph Daul, am Mittwoch in Straßburg. Grundsätzlich sei das Ziel der Vereinbarung aber zu begrüßen, um Jobs in der Kreativwirtschaft zu sichern. Die Nachrichtenseite "cuej.info" hatte den UMP-Abgeordneten zunächst mit der Ansage zitiert, dass ACTA "am Ende" sei.

Anfang der Woche hatten die Sozialisten in der Bürgervertretung die anderen Fraktionen aufgefordert, sich gegen die Unterzeichnung des Abkommens auszusprechen. Der Fraktionschef der Roten, Sergei Stanischew, erklärte, dass die Übereinkunft inhaltlich und verfahrenstechnisch von schweren Geburtsfehlern gezeichnet sei. Sie spiegele nicht die Interessen der Bürger wider, sondern nur die großer Unternehmen. Es dürfe nicht soweit kommen, dass die Internetregulierung privatisiert und zu stark in Grundrechte eingegriffen werde. Der Bulgare appellierte an die EVP, das Abkommen aufgrund seines hohen Zensurpotenzials nicht einfach durchzuwinken. Grüne und Linke haben sich bereits seit Längerem gegen ACTA ausgesprochen. Bei den Liberalen sind die Meinungen noch geteilt.

Wie Deutschland wollen unterdessen auch die Niederlande die Unterzeichnung des internationalen Vertrags vorläufig aussetzen. Ein entsprechender Antrag der GroenLinks-Fraktion hat im Unterhaus des Parlaments laut niederländischen Medienberichten eine Mehrheit gefunden. Demnach sei erst zu klären, ob das Vorhaben fundamentale Rechte von Internetnutzern etwa auf Datenschutz gefährdet. Bulgarien hat die Umsetzung des Abkommens auf Eis gelegt. Lettland, Polen, die Slowakei und Tschechien stimmten bereits in den vergangenen Wochen zunächst gegen eine Ratifizierung.

Durch die Blogsphäre geistert zugleich ein Schreiben von 43 europäischen und internationalen Wirtschaftsorganisationen und Vereinigungen von Rechteinhabern, zu denen unter anderem der Bundesverband Musikindustrie, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels oder der Markenverband gehören. Der Brief an Regierungsmitglieder von EU-Ländern und Abgeordnete beklagt im Fall ACTA habe es "koordinierte Angriffe auf demokratische Institutionen" gegeben. Es handle sich dabei um Versuche, "den demokratischen Prozess zum Schweigen zu bringen". Nötig sei nun eine abgewogene Reaktion, um Zweifel an der Fähigkeit des Politikbetriebs der EU nicht zu verstärken.

Nach dem Verband der deutschen Internetwirtschaft eco warnt inzwischen auch die Vereinigung der Hightech-Branche Bitkom davor, Internetprovider über das Abkommen zu "Hilfssheriffs der Rechteinhaber" zu machen. "Wir tun uns schwer mit einer detailgenauen Analyse" des Vertragstextes, da dieser auch für Juristen nicht leicht verständlich sei, räumte Bitkom-Präsident Dieter Kempf am Dienstag in Berlin ein. Natürlich müsse es einen leistungsfähigen Urheberrechtsschutz im Netz geben. Den "wilhelminischen" Prozess hinter ACTA halte er aber für falsch, da die Öffentlichkeit nicht früh genug eingebunden worden sei.

Der Bundesverband IT-Mittelstand (BITMi) äußerte sich ähnlich. Der Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge unterstrich gegenüber dem SWR, man könne "nicht misstrauisch genug sein, wenn man untersucht, welche Lobbys hier klammheimlich einen Vertrag gezimmert haben". Nicht, was darin steht, sei das Gefährliche, "sondern was dahinter steht". Für den 25. Februar sind weitere Demonstrationen gegen die Übereinkunft geplant. (vbr)