Heftige Kritik an österreichischer Lösung für die elektronische Gesundheitskarte

Das Konzept des österreichischen Gesundheits-Informations-Netzwerks (GIN) wird von mehreren Seiten scharf kritisiert.

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Das Konzept des österreichischen Gesundheits-Informations-Netzwerks (GIN) wird von mehreren Seiten scharf kritisiert. Das GIN soll als Intranet zur Datenübertragung zwischen allen Kassenarztpraxen, Sozialversicherungen, der Ärztekammer, Software-Anbietern und verschiedenen Mehrwertdienstleistern dienen, aber auch für den allgemeinen Datenverkehr der Ärzte genutzt werden. Die Phalanx der Kritiker ist breit: Internet Service Provider beklagen ein Duopol des Zugangs für Telekom Austria und Tele2, Softwareanbieter ein Monopol des GIN selbst, und Datenschützer kritisieren den Aufbau, da alle Daten durch einen zentralen Kontrollpunkt laufen sollen.

Das GIN wird in Gewinnabsicht von der Peering Point Betriebs GmbH betrieben, die je zur Hälfte der Ärztekammer und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger gehört. Die 14.000 Kassenarztpraxen Österreichs sollen über DSL-Leitungen an das GIN angeschlossen werden. In den Praxen werden dazu Gesundheitskarten-Lesegeräte sowie Router mit zwei Ausgängen installiert. Über einen Kanal, für den monatlich 32,70 Euro fällig sind, werden die Daten der Gesundheitskarte e-card verschlüsselt an den Hauptverband übermittelt. Über den anderen Anschluss ("Mehrdienstleistung", 5 Euro) soll der übrige Datenverkehr abgewickelt werden (Internet, E-Mail, elektronische Rezepte und Befunde, etc.). Überraschenderweise müssen die Daten beider Kanäle über denselben Provider zu einem zentralen Kontrollpunkt, dem so genannten "Peering Point", laufen. Dort werden die übertragenen Inhalte gescannt und weitergeroutet. Zugelassen sind nur bestimmte Dateitypen und Protokolle (HTTP, HTTPS, FTP, Real Audio&Video, Windows Media, LDAP, LDAPS). P2P-Anwendungen oder VoIP-Telefonie werden unterbunden.

Den Obmann der ARGE Daten, Hans Zeger, erinnert das geplante Modell an eine stalinistische Diktatur: "In Nordkorea hat das Internet auch nur einen Knoten. Wenn ein Nordkoreaner eine Homepage aufrufen will, muss diese vorher von einem Zensor freigeschaltet werden. Es ist völlig unglaublich, dass es auch in Österreich bald so etwas geben soll." Die Peering Point GmbH könne auf Knopfdruck überprüfen, wem was verschrieben würde, wem ein Arzt E-Mails sende und welche Webseiten er aufrufe. "Die Folge sind absolut gläserne Ärzte und Patienten, das Motto lautet: Big Brother is watching you", kritisiert Zeger, der dahinter den wahren Zweck der e-card vermutet: "Unter dem Deckmantel der Datensicherheit etabliert man ein System, das in Wahrheit einem möglichen Datenmissbrauch Tür und Tor öffnet."

Bislang dürfen nur zwei Internet Service Provider (ISP) die Anschlüsse der Praxen an das GIN realisieren: Telekom Austria und die Tele2-Tochter UTA. Die Tarife der beiden Anbieter sind identisch. Andere Provider versuchen seit über sechs Monaten vergeblich, einen Vertrag mit Peering Point abzuschließen. "Es ist ein ehrgeiziges Projekt, das eine Vorreiterrolle in Europa einnimmt. Aber es muss weiterentwickelt werden", äußerte sich der Präsident des Verbandes alternativer Telekom-Netzbetreiber, Achim Kaspar, diplomatisch gegenüber heise online. "Wir würden es begrüßen, wenn es mehr Bereitschaft zur Zusammenarbeit gäbe." Auch der Provider-Verband ISPA ist alarmiert. Arztpraxen, die derzeit einen anderen ISP nutzten, würden zu einem Wechsel zu einem der beiden großen Anbieter gezwungen. Denn kaum eine Praxis werde sich auf Dauer zwei DSL-Anschlüsse leisten. Wenn der öffentliche Bereich keine Wahl des Providers zulasse, stelle sich überhaupt die Frage der Rechtsmäßigkeit des Vorhabens, so ISPA-Generalsekretär Kurt Einzinger.

Ungehalten ist auch die Softwarebranche. Der Peering Point eliminiere die Freiheit bei der Wahl des Anbieters, so der Verband österreichischer Medizinsoftware-Hersteller (ÖMS). Hauptverband und Ärztekammer könnten künftig beschließen, nur bestimmte Firmen in das Kommunikationsnetzwerk mit einzubeziehen. Dies bedeute "für den freien Wettbewerb und alle anderen medizinischen Software-Anbieter den Todesstoß." Auch müssten die Ärzte hunderte Euro Mehrkosten pro Jahr tragen. Für die Durchleitung von Befunden sollen 24 Euro extra anfallen. Für die Gestattung von IT-Fernwartungen, Updates von Medikamentenlisten und andere Webdienste kämen weitere Kosten hinzu. "Die Ärzte haben offenbar nicht die geringste Ahnung, was mit dem Peering Point tatsächlich auf sie zukommt", glaubt ÖMS-Vizepräsident Eduard Schebesta. Der ÖMS fordert daher eine Alternative zum "gefürchteten Peering Point".

Gar nicht in die Planungen einbezogen sind die Mobilfunk-Anbieter. Kein einziger Netzbetreiber wusste heise online von Kontaktaufnahmen seitens Peering Point zu berichten. Auch der Hersteller der e-card-Lesegeräte hat nur Aufträge für Standgeräte bekommen; eine Version für den mobilen Einsatz, die bei Hausbesuchen oder Reihenuntersuchungen nützlich wäre, wurde von Peering Point nicht bestellt. Entsprechend ist vorgesehen, dass Patienten nach einem Hausbesuch die Praxis des Arztes aufsuchen, damit die e-card durch das Lesegerät gezogen werden kann. (Daniel AJ Sokolov) (bo)