Tauschbörsenklage: Oberste US-Richter sorgen sich um die Innovation

In dem historischen Prozess der Unterhaltungsindustrie gegen Grokster und Morpheus kam es in einer Anhörung vor dem Supreme Court zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den Kontrahenten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 197 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

In der historischen Schlacht der Unterhaltungsindustrie gegen Grokster und Morpheus kam es bei einer Anhörung vor dem Obersten US-Gerichtshof in Washington zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den Kontrahenten. Die Richter des Supreme Court mischten sich selbst intensiv in die Debatte ein und zeigten sich wohl informiert über die tieferen Zusammenhänge des epochalen Falls. Auf dem Spiel steht nach Ansicht zahlreicher Beobachter schließlich nicht nur die Zukunft von Peer-2-Peer-Netzwerken, sondern die Innovationsfähigkeit der digitalen Hightech-Wirtschaft. Längst hat sich die Verhandlung zu einem neuen Kapitel im Kampf Hollywoods und der Musikindustrie gegen Startups und Computergiganten aus dem Silicon Valley und die Hersteller von Unterhaltungselektronik entwickelt.

Donald Verrilli, Leitanwalt der hauptsächlich klagenden MGM-Filmstudios und der 27 weiteren an dem Fall beteiligten Entertainment-Konzerne, wollte anfangs keine Zweifel an dem Geschäftsmodell der vor Gericht gerufenen Tauschbörsenbetreiber Grokster und StreamCast Networks (Morpheus) aufkommen lassen. "Die Verletzung von Urheberrechten ist der einzige signifikante Verwendungszweck von Grokster", behauptete er. Eine "gigantische Maschinerie" zum Erstellen von Raubkopien sei in den angefeindeten P2P-Netzen zu Gange, gegen die sofort Abhilfe geschaffen werden müsse. Der US-Bundesgeneralanwalt Paul Clement eilte ihm im Namen der US-Regierung zu Hilfe: Er bat die Richter, nicht auf theoretische Nutzungsmöglichkeiten der Filesharing-Applikationen zu achten, sondern auf das eigentliche "Geschäftsmodell". Das besteht nach Ansicht der Film- und Musikindustrie bei Grokster und Morpheus zu gut 90 Prozent aus der Anleitung zum Stehlen geistigen Eigentums und dem Abkassieren von Werbeeinnahmen.

Die Mehrheit der obersten US-Richter ließ sich von derlei Argumenten zunächst kaum beeinflussen. John Paul Stevens fiel Verrilli schon früh ins Wort mit der Frage nach den doch sicher gegebenen legitimen Anwendungen der debattierten Tauschbörsensoftware. Sein Kollege David Souter, der eigentlich für seine PC-Abstinenz bekannt ist, holte weiter aus, indem er auf einen iPod-Nutzer verwies. "Ich weiß genau, dass ich mir eine CD kaufen und sie auf den iPod übertragen kann", zitiert die New York Times den Juristen. Aber wenn er dafür auch kostenlose Musik erhalten könnte, würde er dies auch tun, verbündete sich Souter mit Tauschbörsennutzern. Dürfe ein Gerät wie ein iPod folglich gar nicht erst erfunden beziehungsweise auf den Markt gebracht werden?

Stephen Breyer stellte zudem Vergleiche auch mit dem Videorecorder, Kopiergeräten und sogar der Druckerpresse an. In all diesen Fällen seien "zahlreiche" Fälle von Urheberrechtsverletzungen vorhersehbar, aber eben auch "einige exzellente" legale Anwendungsmöglichkeiten gegeben. Ein weiterer Richter am Supreme Court, Antonin Scalia, sorgte sich, dass ihn Hollywood-Anwälte beim Starten einer Unternehmung wohl auch sofort verklagen würden. Sein Kollege Anthony Kennedy kritisierte allerdings die Praktiken Groksters und zeigte sich entsetzt darüber, dass ein innovativer Firmengründer illegal das geistige Eigentum anderer als "Startup-Kapital für sein Projekt" missbrauche. Auch die Richterin Sandra Day O'Connor beklagte, dass die Tauschbörsenfirmen praktisch ständig Nutzer zum Brechen der Copyrightgesetze "verführen" würden.

Letztlich zeichnete sich so erwartungsgemäß noch keine klare Linie beim hohen Gericht ab. Die angerufenen Richter dürften sich schwer tun, bis zu der frühestens im Juni erwarteten Urteilsverkündigung den gordischen Knoten zwischen dem Schutz von Urheberrechten und Innovationskraft zu zerschlagen. Als Gradmesser dient ihnen das wegweisende Urteil im Streit um den Betamax-Videorekorder Sonys von 1984. Damals hatte der Supreme Court entschieden, dass die "signifikanten" rechtmäßigen Nutzungsmöglichkeiten der Geräte wie das Aufzeichnen von TV-Sendungen das schon damals von Hollywood geforderte Verbot der Technik nicht rechtfertige. Heute fahren kommerzielle Videoverleiher allein in den USA jährlich rund 24 Milliarden US-Dollar ein.

Mehrere Protestkundgebungen vor dem Gerichtsgebäude begleiteten die Anhörung, für die eifrige Beobachter wie zahlreiche Blogger schon nachts angestanden hatten. Die Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie "Rettet Betamax" oder "Hände weg von meinem iPod". Angetreten war aber auch eine Gruppe von Sängern und Songschreibern aus Nashville samt Gitarren, die zum legalen Musikdownload aufrief. "Klaut unsere Zukunft nicht" und "Du sollst nicht stehlen", war auf ihren Schildern zu lesen.

Siehe zu dem Thema auch:

(Stefan Krempl) / (jk)