Berliner Polizei mit neuem IT-System auf Verbrecherjagd

Nach jahrzehntelange Verzögerungen soll das windowsbasierte und insgesamt 73 Millionen Euro teure Projekt Poliks den Ermittlern in der Hauptstadt das Leben erleichtern.

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Aufatmen bei der Berliner Polizei: Seit dem gestrigen Mittwoch ist nach jahrzehntelangen Verzögerungen das neue Computersystem Poliks (Polizeiliches Informations- und Kommunikationssystem) im Vollbetrieb. Ziel des ambitionierten und insgesamt 73 Millionen Euro teuren IT-Großprojekts ist es insbesondere, polizeiliche Auskunftssysteme sowie die Aufnahme und Bearbeitung von Anzeigen zusammenzufassen und zu beschleunigen. So soll den Beamten etwa ein schnellerer Zugriff auf nationale und internationale Datenbanken wie das Schengen-Informationssystem ermöglicht werden. Langfristig ist geplant, dass die Berliner Polizei dank Poliks weitgehend papierlos arbeitet. Damit einher geht eine umfassende Aufrüstung der Infrastruktur: Nahezu 10.000 PCs, davon rund 8200 für den Exekutivbereich, sind im Rahmen der Systemumstellung bereits installiert worden. Etwa 2000 sollen in den nächsten Jahren noch folgen. Etwa 1000 Uralt-Rechner und 4000 Schreibmaschinen werden in diesen Tagen "außer Dienst" gestellt.

Poliks war lange Zeit -- wie manches vergleichbare öffentliche IT-Projekt -- eine Leidensgeschichte. Die Vorüberlegungen reichen bis weit in die 1990er Jahre zurück. Hausgemachte technische und planerische Schwierigkeiten, Kostenhürden und Abspracheschwierigkeiten mit dem Nachbarland Brandenburg hatten die Realisierung immer wieder verzögert. Ende 2003 hatten die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus noch die Geldverschwendung für nicht richtig funktionierende Großprojekte wie Poliks kritisiert. Seit Ende 2000 werkelte letztlich der IT-Dienstleister gedas, eine VW-Tochter, an dem System. Das mit ihm abgeschlossene restliche Vertragsvolumen in Höhe von 13,2 Millionen Euro musste dann noch einmal um rund 5 Millionen erweitert werden. Den Löwenanteil davon schluckten Anpassungen an das langjährige Pleitenprojekt Inpol-Neu des Bundeskriminalamts, die durch einen Richtungswechsel beim Bund erforderlich wurden.

Bei Ulrich Bechem, dem Leiter der Abteilung Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) bei der Berliner Polizei, überwiegt trotzdem die Erleichterung über den doch noch gelungenen Start und die baldige Ablösung des alten "Informationssystem Verbrechensbekämpfung": "Wir haben im Kosten- und Zeitansatz einen super Job gemacht", erklärte er gegenüber heise online. Die Wartungs- und Betriebskosten beim IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ), dem vormaligen Landesbetrieb für Informationstechnik (LIT), das die Netzwerkarchitektur hostet und aufrecht erhält, schätzt er auf 10 bis 15 Prozent der Entwicklungskosten.

Dafür bietet das windowsbasierte System der Berliner Polizei, die von Microsoft als Referenzkunde geführt wird, allerlei bislang von der Polizei nicht gewohnte Feinheiten. So können Tatumstände, Personalien und Zeugenaussagen bereits vom Streifenpolizisten einiger Dienststellen vor Ort mit einem Laptop aufgenommen und im Büro in das Zentralsystem überspielt werden. Für die Kommunikation zwischen Clients und Zentralsystem wird XML verwendet. Momentan loggen sich die Beamten noch mit Personalnummer und Passwort ein und finden dann auf sie zugeschnittene Benutzerbereiche vor. Geplant ist, die gesamte Polizei mit Chipkarten auszurüsten und so die Authentifizierung noch sicherer zu gestalten.

Die Modernisierung machte auch vor dem bestehenden "Formularwald" aus rund 350 Formblättern nicht halt. Für Poliks wurden die Kernabläufe auf nunmehr 33 ausgedünnt. Abfragen zu Personen oder Fahrzeugen sollen vom Polizeisystem innerhalb von zehn Sekunden beantwortet werden. Komplexere Datenabfragen bei anderen Stellen wie dem BKA oder beim Landeseinwohneramt bearbeitet ein gesonderter Server im Hintergrund parallel. Insgesamt geht Microsoft schon nach dem Probebetrieb davon aus, dass sich "die Produktivität des Betriebspersonals verdoppelt hat".

Allerdings stellt das neue Verfahren nach Ansichts des Berliner Datenschutzbeauftragten, Hansjürgen Garstka, auch erweiterte Ansprüche an die Benutzer. Er geht in seinem Jahresbericht 2004 von einem besonderem Schulungsbedarf aus, "wenn die Ordnungsmäßigkeit der Datenverarbeitung sichergestellt bleiben soll." Schon im Dezember hatte Lutz Hansen, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), moniert, dass Poliks "nicht gerade anwenderfreundlich" sei. Laut gedas wurden aber bereits 20000 Polizisten in das System eingeführt.

Eine Umrüstung auf Linux stand laut Bechem im Rahmen der Entwicklung des neuen Systems nicht zur Debatte. "Wir sind eine durchgängige Microsoft-Polizei", sagt der IuK-Chef. Die Orientierung des Landes Berlin sei insgesamt auf Windows-Produkte ausgerichtet, bei der Ausschreibung des Projekt im Jahr 2000 hätten die beteiligten Firmen auch keine Open-Source-Software ins Spiel gebracht. "Damals waren die Linux-mäßig einfach noch nicht soweit", glaubt Bechem. Zudem sei es bei dem "sehr heiklen Projekt" nicht ratsam gewesen, letztlich eventuell noch über Migrationsprobleme zu stolpern. Die niedersächsische Polizei hat sich mit ihrem IT-System Nivadis trotzdem für Linux entschieden. Nach wiederholt aufgetretenen Schwierigkeiten und einem vorübergehenden Stopp läuft dort inzwischen "alles problemlos", erklärte ein Mitarbeiter gegenüber heise online. Klagen habe es seit längerem keine mehr gegeben. (Stefan Krempl) / (jk)