Microsoft sieht Hunderte von Firmen von MP3-Patentstreit betroffen

Der Softwaregigant hält die von einer US-Jury festgesetzte Rekordsumme in Höhe von 1,52 Milliarden US-Dollar aufgrund der angeblichen Verletzung von MP3-Patentansprüchen Alcatel-Lucents für völlig aus der Luft gegriffen.

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Microsoft hält die von einer US-Jury festgesetzte Schadensersatzforderung in Höhe von 1,52 Milliarden US-Dollar aufgrund der angeblichen Verletzung zweier MP3-Patentansprüche Alcatel-Lucents für völlig aus der Luft gegriffen. "Wir glauben, dass dieses Verdikt in keiner Weise vom Gesetz oder von den Fakten gedeckt ist", erklärte der stellvertretende Justiziar der Redmonder, Tom Burt, in einem Statement. Man wolle nun zunächst versuchen, die zuständige Richterin am US-Bundesgericht im kalifornischen San Diego von der Notwendigkeit der Zurückweisung oder Schmälerung der von den Geschworenen bestimmten Summe zu überzeugen. Notwendigerweise werde man beim zuständigen Berufungsgericht, dem Federal Circuit Court of Appeals, in die zweite Instanz gehen.

Besonders empörend empfindet Burt die ins Spiel gebrachte Rekordsumme in einem Patentstreit, weil Microsoft bereits mit dem bislang in der Industrie als Lizenzgeber für die MP3-Rechte geltenden Konsortium eine Vereinbarung getroffen und dabei "nur 16 Millionen US-Dollar" gezahlt habe. Lizenzen für das Audiokompressionsformat erteilt bislang eine vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen angeführte Allianz, in der die französische Elektronikfirma Thomson als eigentlicher Ansprechpartner für Finanzfragen gilt. Fraunhofer hält sich dagegen seit Jahren bedeckt über die Höhen der Einnahmen durch die MP3-Lizenzierung und die Einzelheiten bestehender Verträge. Auch die Bell Labs, eine inzwischen zu Alcatel-Lucent gehörende Forschungseinrichtung, sind in dem Konsortium vertreten. Der Netzwerkausrüster behauptet in der Auseinandersetzung mit Microsoft aber, dass es dabei um zwei Patentansprüche gehe, die schon aus der Zeit vor der Zusammenarbeit zwischen Bell Labs und Fraunhofer bei der MP3-Entwcklung stammen.

Die Geschworenen in San Diego folgten den Argumenten von Alcatel-Lucent größtenteils. So legten sie als Richtschnur für die Bemessung des entstandenen Schadens etwa 0,5 Prozent der Gesamtpreise seit 2003 verkauften PCs mit Windows an, statt allein die Preise für das Betriebssystem selbst anzusetzen. Sie schlossen dabei auch Auslandsverkäufe ein. Es ist aber noch umstritten, ob das US-Patentgesetz hier überhaupt greift. Microsoft behauptete in einem anderen Patentstreit mit AT&T vor dem US Supreme Court gerade, nur Blaupausen von Windows an Computerhersteller in Übersee zu verschicken und dadurch keine Patente zu verletzen. Die Jury wollte dem klagenden Konzern aber nicht in seiner Einschätzung beipflichten, dass Microsoft absichtlich mit dem Windows Media Player gegen die Patente Alcatel-Lucents verstoßen habe. Ansonsten hätte sie den Schadensersatz noch verdreifachen können.

Der die Klägerseite vertretende Anwalt, John Desmarais, sieht die vorgeschlagene Summe im Einklang mit dem US-Patentrecht. Die an Thomson gezahlten 16 Millionen US-Dollar könne man nicht zum Vergleich heranziehen, da die an Bell Labs ausgehändigten Patentrechte viel umfassender seien. Wenn man im Supermarkt eine Seife für einen US-Dollar kaufe, erhalte man das Recht, dieses eine Stück zu nutzen. "Wir bieten aber das Äquivalent dazu an, Seife in jeder erdenklichen Weise herzustellen", versuchte Desmarais die Unterschiede herauszuarbeiten. Ein Analyst von Goldman Sachs bezeichnete die Schadensersatzsumme zudem als "nicht besonders erheblich" angesichts der Summen, die der Softwaregigant auf seinem Konto habe. Dort seien allein im vergangenen Jahr 29 Milliarden US-Dollar zusammengekommen.

In den Augen Microsofts ist eines der beiden MP3-Patente von Alcatel-Lucent dagegen hinfällig und auch die für die Verletzung eines Anspruchs festgesetzte Schadensersatzsumme in Höhe von 759 Millionen US-Dollar viel zu hoch. Die Redmonder warnen in diesem Zusammenhang auch davor, dass bei einer Bestätigung des Jury-Beschlusses auf "Hunderte andere Firmen", die MP3 bislang allein vom Fraunhofer-Thomson-Konsortium lizenziert haben, enorme Forderungen zukommen könnten. Von Alcatel-Lucent ist derweil nur zu hören, dass geistiges Eigentum für die Firma ein wesentliches Wirtschaftsgut darstelle und man dieses weiter "schützen und verteidigen" werde. (Stefan Krempl) / (jk)