Infrarotgestütztes Überwachungssystem zählt Fahrzeuginsassen

Ein Spin-Off der britischen Loughborough University vermarktet ein System, das die Zahl der Insassen eines vorbeifahrenden Fahrzeugs mit 95-prozentiger Genauigkeit automatisch ermitteln kann. Eingesetzt werden soll es unter anderem zur Mauterfassung.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Großbritannien zählt bereits heute zu den Ländern mit den ausgefeiltesten Überwachungstechniken: Sprechende Videokameras sorgen für Ordnung und Anstand auf der Straße, mit Terahertz-Strahlung arbeitende Kamerasysteme durchdringen die Kleidung von Passanten und spüren Waffen, Sprengstoff oder Drogen auf, am Himmel kaum auszumachende Mini-Hubschrauber filmen das Geschehen von oben, während Polizisten mit mobilen Videokamerasystemen, so genannten BWV(Body-worn-Video)-Devices, auf Streife gehen. Und hunderte Wissenschaftler arbeiten bereits an den Überwachungstechniken von morgen.

Eine davon soll es künftig ermöglichen, die genaue Anzahl von Insassen in vorbeifahrenden Autos zu erfassen. Wofür es in Deutschland bislang eigentlich noch keinen konkreten Anwendungsfall gibt, könnte beispielsweise in Kanada und den USA dazu genutzt werden, die Einhaltung von Regeln bei der Nutzung von Mehrfahrerspuren zu überwachen. High Occupancy Vehicle (HOV) Lanes wurden Anfang der 80er-Jahre eingeführt, um insbesondere in Ballungsräumen die Bildung von Fahrgemeinschaften zu fördern. Ist auf einer Schnellstraße eine Spur als HOV Lane ausgezeichnet, ist eine Nutzung nur dann erlaubt, wenn sich eine bestimmte Mindestanzahl von Personen in einem Fahrzeug befindet.

So dürfen HOV-2 Lanes nur von Fahrzeugen mit mindestens zwei Insassen befahren werden, bei HOV-3 Lanes müssen drei oder mehr Personen im Auto sitzen. Je höher das Occupancy-Kriterium, desto weniger Fahrzeuge sind in der Regel auf einer HOV Lane unterwegs und man kommt schneller voran. Verstöße werden mit empfindlichen Geldstrafen geahndet. In Kalifornien dürfen inzwischen aber auch Einzelfahrer HOV Lanes nutzen, wenn ihr Fahrzeug bestimmte Abgas- oder Verbrauchswerte nicht überschreitet. Sie erhalten dann einen so genannten Clean Air Sticker, der die Benutzung von HOV Lanes legitimiert.

Die britische Firma Vehicle Occupancy Ltd. (VOL), ein Spin-Off der Loughborough University in Leicestershire, vermarktet mit Dtect nun ein System, das die Zahl der Insassen eines vorbeifahrenden Fahrzeugs mit 95-prozentiger Genauigkeit automatisch ermitteln soll. Zum Einsatz kommt dabei Infrarot- und Gesichtserkennungstechnik: Von einer am Straßenrand aufgestellten oder an einer Brücke befestigten Lichtquelle werden zwei Infrarotlichtbündel mit unterschiedlichen Wellenlängen durch die Windschutzscheibe in den Fahrzeuginnenraum gelenkt. Während Kleidung, Haare und Teile des Interieurs die Strahlen reflektieren, absorbiert die menschliche Haut sie weitgehend. Auf zwei erstellten Digitalbildern erscheinen Gesichter daher als dunkle Flächen.

Eine Bildverarbeitungssoftware optimiert und kombiniert die beiden Aufnahmen anschließend und berechnet, ob Größe und Form der dunklen Flächen denen eines menschlichen Gesichts entsprechen. Herstellerangaben zufolge wird zudem per Spektralmuster-Analyse "der Wassergehalt der Haut ermittelt". Dadurch soll sich das System durch Puppen oder großformatige Fotos nicht täuschen lassen. Tests auf dem Gelände der Loughborough University, auf einer Straße zwischen Leeds und Bradford, sowie auf der 2,5 Kilometer langen Forth Road Bridge bei Edinburgh in Schottland Anfang 2006 seien erfolgreich verlaufen.

In Edinburgh sollte das System Aufschluss darüber geben, ob sich eine Umstellung des Gebührenmodells an der Forth Road Bridge lohnt. Eigentlich sollten im Jahr 2007 so genannte "Differential Tolls" eingeführt werden: Je mehr Personen in einem Auto sitzen, um so billiger wird die kostenpflichtige Brückenquerung. Um zu verhindern, dass sich Einheimische auf ihren sprichwörtlichen "Schottengeiz" besinnen und beginnen, ihre Fahrzeuge mit Puppen zu besetzen, wurde vorab schon einmal Dtect eingesetzt. Inzwischen hat der öffentliche Betreiber aber offenbar wieder Abstand von den Umstellungsplänen genommen. In einem aktuellen Bericht der FETA (Forth Estuary Transport Authority) heißt es, der Finanzplan für die kommenden 15 Jahre sei auch mit dem aktuellen Einheitspreis von 1 Pfund pro Pkw und Querung einzuhalten.

Abgeschreckt haben dürfte die FETA-Offiziellen wahrscheinlich auch der Preis von Dtect. Derzeit kostet das System rund 96.000 Pfund (142.000 Euro) – pro überwachter Spur. Die Zukunft von Dtect sieht Entwickler John Tyrer von der Loughborough University aber dennoch vor allem im Maut-Bereich. Insbesondere auf stark frequentierten Strecken mit mehreren Spuren und differenzierten Benutzungsgebühren sei das System herkömmlichen Kontrollmethoden deutlich überlegen. Datenschutzrechtlich sieht man sich abgesichert, da die Bilder so modifiziert würden, dass keine einzelnen Personen mehr zu erkennen seien. (pmz)