E3-Analyse: Nintendo holt die Großfamilie aufs Tablet

Videospiele als soziales Familienereignis. Als solches inszeniert Nintendo seine kommende Konsole Wii U und legt den Schwerpunkt auf asymmetrische Spielkonzepte.

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Nach der steifen Produktvorstellung vom Wochenende war Schlimmes zu befürchten. Doch offenbar ist der von tiefroten Geschäftszahlen gebeutelte japanische Videospielhersteller Nintendo sichtlich motiviert, Spielern seine kommende Konsole Wii U mit neuen Ansätzen schmackhaft zu machen. Auf seiner Haupt-Pressekonferenz anlässlich der Spielemesse E3 in Los Angeles stellte er das Konzept der asymmetrischen Spielführung in den Mittelpunkt. Reggie Fils-Aime, Chef von Nintendo Amerika, erklärte ausführlich, warum die Wii U ein sozialeres Erlebnis bietet als die Konkurrenz und sich grundlegend von Smartphones und Tablets unterscheide, die Menschen in Nintendos Augen eher sozial isolieren.

Die glückliche Großfamilie dient Nintendo in seinen Werbeclips als Sinnbild für sein asymmetrisches Spielkonzept.

(Bild: Nintendo)

Nintendo verpricht in seinen Werbeclips die glückliche Großfamilie, die sich um die Konsole herum versammelt und Spaß hat. Es ist der neue Fokus der Werbebotschaft zum Verkauf der Wii U im Weihnachtsgeschäft. Die asymmetrischen Konzepte lehnen sich dabei an Gesellschafts- und Rollenspiele an – man denke an die Spielleiter aus "Das Schwarze Auge". Ein geübter Spieler in der Familie übernimmt die Kontrolle über das Tablet und kann das Spiel manipulieren, während die übrigen (Gelegenheits-)Spieler mit einer Wiimote auf den Fernseher schauen. So soll das zum Start der Wii U erscheinende "New Super Mario Bros. U" dem Tablet-Halter erlauben, beispielsweise Hilfsblöcke in den Jump&Run-Leveln zu verteilen, damit die übrigen Spieler leichter voran kommen. Die Spielesammlung "Nintendo Land" soll mit verschiedenen Mini-Spielen das asymmetrische Konzept nahebringen. Zu sehen war beispielsweise ein Labyrinth, durch das Papa mit dem Tablet seine Kinder mit der Wiimote jagt. Die zuweilen auf Retro-Grafik getrimmten Spielchen greifen bekannte Nintendo-Figuren wie Donkey Kong auf und scheinen etwas mehr Tiefgang zu bieten als die Wii-Sports-Vorgänger, die der Wii beilagen.

Konsequenterweise erwähnte Fils-Aime nur beiläufig, dass an die Wii U auch ein zweites Tablet angeschlossen werden könne – es scheint beim Konzept der Konsole nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Nintendo möchte vielmehr, dass sich mehre Spieler ein Tablet teilen und herumreichen – es ist für die Japaner Teil der sozialen Interaktion.

Pikmin 3 soll von der HD-Auflösung profitieren und dem Spieler über die auf dem Tablet eingeblendete Karte komplexere taktische Aufgaben geben.

(Bild: Nintendo)

Die technische Leistungsfähigkeit der Konsole war kein Thema. Einzig Shigeru Miyamoto betonte zur Vorstellung von "Pikmin 3", dass die HD-Auflösung der Konsole nun eine bessere Darstellung der kleinen Gartenhelfer ermögliche. Pikmin 3 soll mehr strategischen Tiefgang haben als die beiden Vorgänger. Der Spieler soll mit einer Übersichtskarte auf dem Tablet bis zu vier Gärtner-Astronauten befehligen, die Gruppen von Pikmins um sich scharen. Andere Titel wie "New Super Mario Bros. U" sahen ihren Wii-Vorgängen verblüffend ähnlich, mit dem einzigen Unterschied, dass sie nun per HDMI in 1080p statt 480p angezeigt werden.

Das ein Pfund schwere Tablet bringt einen resistiven Touch-Screen mit 6,2-Zoll-Diagonale mit, der sich mit einem Stift oder Finger bedienen lässt. Dessen Bildschirmauflösung ist bislang unbekannt. Neben Bewegungssensoren, einer Kamera und einem Mikrofon hat Nintendo auch Stereo-Lautsprecher und einen Kopfhörer-Anschluss eingebaut. Die Stromversorgung übernimmt ein eingebauter Lithium-Ionen-Akku. Spieler können zwar ohne Fernseher direkt an dem Tablet-Display spielen, dürfen mangels Funkreichweite aber den Raum, in dem die Basis-Station steht, nicht verlassen – was im sozialen Kontext der Wii U sogar konsequent erscheint.

In ihrer Rechenleistung scheint sich die Wii U kaum von den mittlerweile fünf bis sechs Jahre alten Konsolen PS3 und Xbox 360 zu unterscheiden.

(Bild: Nintendo)

Als Fremdhersteller zeigten Warner Interactive und Ubisoft mehrere Wii-Titel, die sich grafisch auf dem Niveau der PS3 und Xbox 360 bewegen. Warner präsentierte "Lego City: Undercover " (dessen Vertrieb allerdings Nintendo übernimmt). Es ist nach langer Zeit ein neues Spielkonzept mit den Klötzchenfiguren, bei dem sich der Spieler – im Unterschied zu den Star-Wars-Ablegern – in einer simulierten Stadt frei bewegen kann und als Detektiv Verbrechen aufklären muss. Vom vergangenen Jahr legt Warner zudem "Batman: Arkham City" für die Wii U neu auf und lässt den Spieler auf dem Tablet mit allerlei Gadgets des Superhelden hantieren.

Ubisoft will parallel zu den PS3- und Xbox 360-Versionen sein kommendes "Assassins Creed 3" auch für die Wii U veröffentlichen. In einem exklusiven Zombi-Spiel, schlicht "Zombi U" genannt, muss sich der Spieler der Untoten erwehren. Schafft er es nicht, verwandelt er sich selbst in einen Zombi, wobei das Tablet mit der Kamera sein Gesicht aufnimmt und mit einer Zombi-Maske überlagert. Weitere Titel wollen EA, THQ, Namco Bandai, Sega, Take 2 und Tecmo beisteuern. Allerdings fehlen auch zahlreiche Branchengrößen wie Activision, Bethesda, Konami, Capcom und Square Enix, die auf Nintendos Wii-U-Liste nicht auftauchen. Ebenso wurden Funktionen des im Tablet eingebauten Near-Field-Sensors außen vor gelassen, der die Einbindung von Spielzeugfiguren in Videospielen ermöglichen soll.

Mit seinem Konzept der asymmetrischen Videospiele berücksichtigt Nintendo, dass Spieler in Familien häufig ein unterschiedliches Leistungsniveau haben, und weist ihnen unterschiedliche Rollen zu.

(Bild: Nintendo)

Während die Wii bei ihrer Einführung das Zielpublikum des damaligen Vorgängers Gamecube stark erweiterte, zieht sich die Wii U auf eine kleinere Schnittmenge des Wii-Publikums zurück. Wii-Besitzer können ihre Zusatz-Controller weiter benutzen und ihre Titel auf der Wii U abspielen – ob diese in HD hochskaliert werden, ist bislang unklar. Die U-Variante bietet jedoch wenig, was Spieler, die sich bislang nicht für die Wii interessiert haben, jetzt in das Mario-Universum locken könnte. Dass sich Nintendo auf den sozialen Aspekt im Wohnzimmer konzentriert, ist ein geschickter Schachzug. Er greift Stärken des Systems auf, die man sonst bei Gesellschaftsspielen findet, und setzt sich gegenüber der wachsenden Konkurrenz der Smartphones und Tablets ab. Wo Microsoft bei seiner SmartGlass-App sinnvolle Anwendungsfälle mühsam konstruiert, ordnet Nintendo die Technik ihrem Einsatzzweck und den Spielkonzepten unter. Mit dieser Marketing-Strategie spricht Nintendo in erster Linie Familienhaushalte an, deren Mitglieder tatsächlich gemeinsam miteinander spielen wollen. Für Single-Haushalte bringt die Wii U zwar ein soziales Netzwerk mit, dieses wird jedoch schwerlich mit den etablierten Kommunikationsmöglichkeiten der Smartphones und Tablets konkurrieren können.

Entscheidend für den Erfolg im kommenden Weihnachtsgeschäft wird nicht zuletzt der Preis der Wii U sein, den Nintendo auf der E3 noch nicht verriet. Die Konkurrenz wird die PS3 und Xbox 360 zu Weihnachten wahrscheinlich im Bereich um 200 Euro anbieten. Da wird die Luft dünn, sollte Nintendo mehr als 250 bis maximal 300 Euro verlangen. Das scheint angesichts der Hardware-Spezifikationen machbar zu sein. Abseits von YouTube-Videos verzichtet die Wii U auf die Wiedergabe von Video-DVDs und -Blu-rays und muss entsprechend auch keine Lizenzkosten für die Codecs bezahlen. Auch eine Festplatte spart Nintendo ein und setzt weiterhin auf SDHC-Karten. Immerhin wurde die WLAN-Schnittstelle aufgebort und unterstützt nun auch den schnelleren N-Standard.

Nintendo nutzt die E3, um auf seine Konsolen und Spiele auf einer eigens eingerichtete Webseite mit zahlreichen Videos aufmerksam zu machen. Neue Spiele der Taschenkonsole 3DS sollen in einer eigenen Präsentation in der Nacht auf Donnerstag vorgestellt werden. (hag)