Microsofts Holodeck: Xbox-Roadmap mit Augmented-Reality-Brille

In einem Strategiepapier rollt Microsoft die künftige Entwicklung seiner Spielkonsole aus, inklusive AR-Brille und Cloud-Angeboten. Microsofts Anwälte versuchen nun, die Verbreitung des geheimen Dokuments zu verhindern.

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Auf der Social-Publishing-Seite Scribd ist am Wochenende ein 56-seitiges Strategiepapier (PDF-Datei) aufgetaucht, in dem offenbar Microsoft seine Roadmap für die Xbox-Konsole bis 2015 ausrollt. Anwälte der Kanzlei Covington and Burling haben inszwischen mit Verweis auf Urheberrechtsverletzungen bewirkt, dass das Dokument bei Scribd wieder gelöscht wurde. Die Kanzlei war zuvor bereits für Microsoft tätig. Experten halten dies für ein Indiz für die Authentizität der veröffentlichten Präsentation. Laut einer Analyse der PowerPoint-Präsentation von CNet könnte sich hinter dem Autorenkürzel "nkachroo" Naveen Kachroo verbergen, ein Direktor der Xbox-Produktplanung bei Microsoft. Auch CNet hält die Datei für authentisch.

Microsoft hatte bereits 2010 konkrete Vorstellungen von der Yukon genannten Architektur der Xbox 720.

Ganz taufrisch ist das Dokument allerdings nicht. Das an Investoren und Entwickler gerichtete Diskussionspapier stammt vermutlich aus dem August 2010. Es beschreibt eine mögliche Zukunft der Xbox 360 und ihrer Nachfolger bis zum Jahr 2015. Demnach soll die aktuelle Xbox 360 im kommenden Jahr 2013 durch ein neues Modell abgelöst werden, das intern unter dem Codenamen "Xbox 720" läuft. Dieses Gerät soll in etwa die 4- bis 8-fache Rechenleistung der aktuellen Konsole erreichen und 4 GByte RAM mitbringen. Die Konsole ist den Unterlagen zufolge Full-HD- und 3D-fähig. Die Hardware könne ihre Leistungsaufnahme skalieren und würde während der Wiedergabe von Medien nur wenig Strom aufnehmen und keine lauten Lüftergeräusche abgeben. Sie sei dazu ausgelegt "always on" zu sein und stets neue Informationen und Inhalte zu empfangen. Das Betriebssystem der Konsole soll auf Windows 8 aufsetzen.

Vermarkten will Microsoft sie als "One Box" für "All your Entertainment". Sie soll neben Spielen auch Blu-ray-Filme, Fernsehsendungen, On-Demand-Videos und Internet-Fernsehen wiedergeben. Über einen eingebauten digitalen Video-Recorder könne man Sendungen zudem aufzeichnen. Über eine Remote-Funktion ließen sich die Xbox-Spiele der Konsole auch an Smartphones, Tablets oder PCs streamen.

Das von Unbekannten veröffentlichte Strategiepapier listet alle Aspekte der kommenden Konsolengeneration von Microsoft detailliert auf.

Die jetzige Kinect-Kamera wird dem Papier zufolge durch ein Nachfolgemodell ersetzt, das mit der Konsole ausgeliefert wird. Die "Kinect v2" bestehe aus zwei HD-fähigen Kameras, die rechts und links vom Bildschirm aufgestellt ein dreidimensionales Abbild des Wohnzimmers erstellen sollen. Die Kinect könne so bis zu vier Spieler gleichzeitig verfolgen, egal ob sie stehen oder sitzen. Womöglich nimmt Microsoft dabei Abschied von seiner jetzigen Kinect-Sensor-Technik und setzt auf zwei herkömmliche hochauflösende Webcams, die ein stereoskopische Abbild der Umgebung erstellen – dies wäre eine kostengünstige Lösung.

Die "Xbox 720" ist laut Strategiepapier vollständig abwärtskompatibel zur Xbox 360 und auf einen Produktlebenszyklus von zehn Jahren ausgelegt. Innerhalb dieses Zeitraums wollen die Redmonder mehrere unterschiedliche Revisionen veröffentlichen und 100 Millionen Geräte verkaufen. Entwickler sollen sich sicher sein können, dass ihre Programme lange unterstützt werden. Als Preis peilt Microsoft in dem Papier die Marke von 299 US-Dollar an. Die Herstellungskosten würden sich anfangs auf 225 US-Dollar belaufen, damit wäre die Hardware bereits im ersten Jahr profitabel.

Das Holodeck ist nah: Laut Roadmap soll "Fortaleza" eine Revolution im Wohnzimmer auslösen und dreidimensionale Objekte und Figuren im realen Raum einblenden.

Ein Jahr darauf will Microsoft für die Xbox 720 Augmented-Reality-Brillen anbieten. Das unter dem Codenamen "Fortaleza" entwickelte Projekt besteht aus WLAN-fähigen Brillen mit durchsichtigen Displays, die virtuelle Objekte und Figuren in die reale Umgebung einblenden. So könnten sich Videospielfiguren ähnlich wie auf einem Holodeck scheinbar im Wohnzimmer bewegen. Ähnlich kennt man es bereits von AR-Spielen für die Nintendo 3DS und PS Vita. Die 3D-Daten des Raums kommen dabei von der Kinect-Kamera. Der Name Fortaleza könnte auf Microsofts Innovation Center in der gleichnamigen brasilianischen Stadt hindeuten.

Das Streamen von Cloud-Spielen und anderen Unterhaltungsangeboten sieht Microsoft erst für 2015 vor. Dadurch könnten Anwender ihre Xbox-Spiele auf jedem Gerät, sei es ein Smartphone, Tablet oder PC nutzen. Der Kauf neuer Hardware oder deren Aufrüstung soll damit überflüssig werden. Die Fortaleza-Brillen sollen zudem ähnlich der Google-Glasses auch mobil werden und die Ansicht der realen Umgebung mit 3D-Objekten und Informationen überlagern. Die Daten sollen über das Mobilfunknetz übertragen werden.

Die Idee der Verknüpfung von PC, Konsole und Smart-Device per "SmartGlass" hatte Microsoft bereits vor zwei Jahren.

Das Diskussionspapier wirkt in sich schlüssig und führt die bisherigen Entwicklungen der Xbox-Konsole konsequent weiter. Für das Jahr 2012 sieht das zwei Jahre alte Papier beispielsweise die Verknüpfung der Xbox 360 mit PCs und Smart-Devices vor, wie sie Microsoft auf der jüngsten E3 mit ihrer App "SmartGlass" tatsächlich vorgestellt hat. Allerdings können die Pläne von 2010 inzwischen geändert und Funktionen verworfen worden sein. So sieht das Dokument für dieses Jahr ein Low-Cost-Modell unter der Bezeichnung Xbox 361 vor, tatsächlich geworden daraus ist ein Ratenkauf-Modell der aktuellen Xbox 360.

Dass Microsoft im kommenden Jahr eine neue Version der Xbox 360 – unter welchem Namen auch immer – vorstellen wird, stellt wohl kaum ein Experte in Zweifel. Auch den Preispunkt und die multimedialen Funktionen dürfte man vom Nachfolger erwarten. Ob jedoch die Fortaleza-Brillen tatsächlich 2014 folgen oder wegen "technischer Komplikationen" erst einmal zurückgestellt werden, wird man abwarten müssen. (hag)