Internetzugang für Heranwachsende wichtiger als Musik

14- bis 24-Jährige Briten würden eher aufs Musikhören als auf einen Internetanschluss verzichten wollen, sagten Forscher auf den Wiener Tagen der Musikwirtschaftsforschung. Weitere Themen waren der Musikmarkt nach Napster und die Hadopi.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 90 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

David Bahanovic und Dennis Collopy von der Universität Hertfordshire präsentierten auf den 3. Wiener Tagen der Musikwirtschaftsforschung am zurückliegenden Wochenende neue Zahlen zum Konsumverhalten 14- bis 24-jähriger Briten. Laut der dritten Umfrage dieser Art, bei der 1888 repräsentativ ausgewählte Befragte mitmachten, ist Musik erstmals in der Altersgruppe nicht mehr die beliebteste Unterhaltungsform. Rund 88 Prozent der Befragten gaben an, dass sie auf einer einsamen Insel den Internetzugang am meisten vermissen würden. Knapp über 80 Prozent entschieden sich für "Musik hören", knapp 50 Prozent fürs Mobiltelefon.

Diese Abfolge spiegelt sich aber nicht direkt im Konsumverhalten dieser Altersklasse wider. Die höchsten Beträge pro Monat stecken die Jugendlichen ins Handy, das 32 Prozent ihres Budgets schluckt. 14 Prozent fließen in Filme oder Kino, 13 Prozent in Computerspiele und je 12 Prozent in Musik auf CDs und Live-Konzerte.

Der PC hat laut der Studie in den vergangenen beiden Jahren seine Rolle als häusliche Unterhaltungszentrale an den MP3-Player abgegeben. Damit einhergehend sinkt die Bedeutung physikalischer Tonträger: 65 Prozent der Befragten hören täglich Musik auf ihrem iPod oder vergleichbaren Geräten, während nur noch 18 Prozent CDs abspielen. Trotzdem haben die jungen Briten noch durchschnittlich 4000 Songs auf ihrem Rechner. Die Zahl der Titel, die auf MP3-Playern oder Mobiltelefonen gelagert werden, wuchs von einem Mittelwert von 1829 vor drei Jahren auf 2796 im vergangenen Jahr.

Die Zahl der Filesharing-Nutzer sank von 61 Prozent im Jahr 2009 auf 40 Prozent 2011. Als Hauptmotivation für die Downloads wird deren Kostenfreiheit genannt, es folgen die alleinige Verfügbarkeit spezieller Titel über Tauschbörsen sowie ein Probehören vor einem potenziellen Kauf. 69 Prozent der Teilnehmer wären bereit, für einen unlimitierten MP3-Flatratezugang zu bezahlen. Für Streaming-Dienste geben derzeit erst 12 Prozent Geld aus. 74 Prozent davon habe nach einem entsprechenden Abonnement aufgehört, sich bei Peer-2-Peer-Netzwerken (P2P) zu bedienen. 92 Prozent wissen den Forschern zufolge, dass das Tauschen von Musik in vielen Fällen rechtswidrig ist. 31 Prozent hätten zudem angegeben, dass sie nichts gegen Warnhinweise für illegale Filesharer oder gar Internetsperren als Sanktionsmittel hätten.

Aktuelle Zahlen zur Verfolgung von P2P-Nutzern in Frankreich brachte Rose-Marie Hunault, Leiterin der Rechtsabteilung der Kontrollbehörde Hadopi, mit. Demnach haben seit dem Arbeitsbeginn der Institution vor rund zwei Jahren bald 1,1 Millionen Franzosen eine erste Verwarnung erhalten. An 99.000 ging bereits ein zweiter blauer Brief, 314 befinden sich in der dritten Phase. Werden letztere mit der gebrandmarkten IP-Adresse ein weiteres Mal von Rechteinhabern bei der Einrichtung "angezeigt", wird ihr Fall an die Gerichte weitergeleitet, und es droht eine Blockade des Netzanschlusses, wobei diese Sanktion bislang noch nicht verhängt wurde. Hunault betonte, dass nicht das Strafen das Hauptziel von Hadopi sei, sondern die Aufklärung. Die Behörde arbeite so quasi an ihrer Selbstabschaffung und befinde sich dabei auf einem guten Weg.

"Wir müssen Filesharer nicht hängen oder ihnen das Internet abdrehen", gab Joel Waldfogel, Leiter des Instituts für angewandte Ökonomie an der Universität Minnesota, als Parole aus. Der Wirtschaftswissenschaftler verwies auf seine aktuelle Studie (PDF-Datei) zur Untersuchung der "Qualität" und der Menge musikalischer Produktionen im "Post-Napster-Zeitalter". Dazu wertete er auf der einen Seite englischsprachige Kritikerlisten wie die des Magazins Rolling Stone sowie die Charts der meistverkauften und am häufigsten im Radio gespielten Titel aus. Demnach siedeln zwar alle Profi-Begutachter die Blütezeit hochwertiger Musikproduktionen in den 1960ern und 70ern an. Um die Jahrtausendwende gebe es parallel zum ersten Boom des Filesharing einen Einbruch der Bewertungen. Nach dem Jahr 2000 habe sich die Kurve aber wieder auf vergleichsweise hohem Niveau verfestigt.

Bei den beiden anderen Indizes der Verkaufs- und der Radio-Top-100 ergebe sich ein ganz ähnliches Muster, führte Waldfogel aus. Insgesamt habe er keinen empirischen Beweis für einen Rückgang der Güte musikalischer Produktionen in der Dekade nach dem Aufkommen von Napster und nachfolgender P2P-Netze gefunden, obwohl sich die Umsatzzahlen der Musikindustrie deutlich verringert hätten.

Waldfogels Erklärung lautet, dass die Digitaltechniken die Produktion, die Werbung für und den Vertrieb von Musik deutlich erleichtert hätten. So kämen insgesamt mehr Titel auf den Markt, die sich einer Auslese durch eine wachsende Zahl kritischer Online-Plattformen wie Foren oder Blogs stellen müssten. Ferner erlaube das Internetradio, deutlich mehr Künstler verschiedener Genres zu bewerten als der traditionelle Rundfunk. So sei etwa der Anteil gespielter Independent-Produktionen binnen der vergangenen zehn Jahre von sechs auf 18 Prozent angestiegen. Insgesamt schaffen es mehr Alben und mehr Künstler, überhaupt von einem größeren Publikum wahrgenommen zu werden und – etwa über virale Kampagnen im Internet – teils großen Erfolg zu erzielen. Die so gestiegene Experimentierfreudigkeit führe zu einem "Mehr" an "guter" Musik. (ssu)