WOS 4: Digitaler Graben in der Open-Source-Entwicklung

Die Programmierung freier Software geschieht weitgehend in Europa und den USA, monieren Befürworter einer internationalen Entwicklergemeinde. In Indien etwa gebe es nur sieben aktive Unterstützer entsprechender Projekte.

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Die Programmierung freier Software geschieht weitgehend in Europa und den USA, monierten Befürworter einer stärkeren Internationalisierung der Entwicklergemeinde am Wochenende beim Abschluss der Konferenz Wizard of OS 4 (WOS 4) in Berlin. Der Rest der Welt "konsumiere" gleichsam die frei verfügbaren Programme, trage aber wenig zum Vorantreiben von Open-Source-Projekten bei. In Indien etwa "gibt es nur sieben aktive Entwickler freier Software", berichtete Atul Chitnis, Technologieberater aus Bangalore und Vorsitzender der Tagung FOSS.IN im vergangenen Jahr. "Ich weiß das genau, weil ich mich auf die Suche nach ihnen gemacht habe." Der verschwindend kleinen Zahl stehen dem Experten zufolge "der größte Pool Englisch sprechender, technisch qualifizierter Leute" bei einer Gesamtbevölkerung von über einer Milliarde Menschen gegenüber.
Das Ergebnis seiner Untersuchung erstaunte den Experten umso mehr, als freie Software für die Entwicklungsländer allgemein als große Chance zur Überbrückung des "digitalen Grabens" zu den westlichen Nationen hin gesehen werde. In Indien selbst komme Open Source in hohem Ausmaß zum Einsatz, führte Chitnis aus: "In den Neunzigern lief fast das ganze Land auf proprietärer Software." Inzwischen habe jede indische Region ein "Rückgrat" aus freier Software, das Land gehöre zu einem der größten Anwender frei verfügbarer Programme weltweit.
Chitnis erklärte die Kluft zwischen Nutzung und eigener Entwicklung unter anderem mit nach wie vor vergleichsweise hohen Kosten für eine Computerausrüstung und die strikte Trennung der Inder zwischen Arbeits- und Privatleben. "Ein richtig guter Programmierer verdient etwa 1000 Euro im Monat", führte der Berater aus. "Der Preis für einen PC schlägt so mit 25 Prozent des Monatsgehalts zu Buche." Die meisten indischen Entwickler seien nicht bereit, dieses Geld für die Computernutzung zu Hause auszugeben und so die dort etwa nach Feierabend mögliche Arbeit an Open Source in Angriff zu nehmen. Zumal dann noch die Gefahr bestehe, zusätzlich zum Anpfiff vom Boss während des Tages sich nachts "Flames" von Entwickler-Ikonen wie Alan Cox einzufangen.
Ein anderer Grund für die Abstinenz sei, dass Vorzeigeprojekte wie Linux oder Firefox bereits fortgeschritten seien und die Eintrittshürden damit hoch lägen, vermutete Chitnis weiter. Wer sich trotzdem mit einbringe, bei dem könne sich nur schwer ein Befriedigungsgefühl einstellen. So habe auch der indische Leiter eines der bekannteren Projekte aus dem Umfeld freier Software seine Mitarbeit aufgekündigt, weil er diese nach eigenen Angaben nicht "genießen" konnte. Als gänzlich passiv könnte man die Inder bezogen auf Open Source aber auch nicht bezeichnen. So seien etwa im Rahmen des Lokalisierungsprojekts InLinux bereits Werkzeuge für die Anpassung freier Software an einzelne Sprachen entwickelt worden, die auch von anderen Ländern genutzt würden. Auch beim Testen und Dokumentieren von Open-Source-Programmen spielen Inder laut Chitnis eine wichtige Rolle. Aus dem Publikum kam zudem der Hinweis, dass sich vermutlich erst die Kinder der gegenwärtigen indischen Programmierergeneration den "Luxus" eines Hobbys wie der Entwicklung freier Software leisten könnten.