EU-Binnenmarktkommissar kündigt umfassende Patentoffensive an

Im Streit um eine Resolution des EU-Parlaments zur künftigen Patentpolitik will die EU-Kommission mit einem eigenen Aktionsplan vorpreschen und dabei ein weit kritisiertes Streitregelungsabkommen unterstützen.

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Im Streit um eine Resolution des EU-Parlaments zur künftigen Patentpolitik will die EU-Kommission mit einem eigenen Aktionsplan und einer offiziellen Mitteilung vorpreschen und ein weit kritisiertes Streitregelungsabkommen unterstützen. Dies erklärte Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy am heutigen Donnerstag während der Plenarsitzung der Abgeordneten in Straßburg. "Wir brauchen eine Lösung für die Patentfrage so rasch wie möglich", betonte der Ire. Es gehe darum, das System zu vereinfachen und kostengünstiger zu gestalten. Dies hätten die Teilnehmer an der umstrittenen Konsultation zur Zukunft des Patentwesens in der EU gefordert. Andererseits "verlieren wir an Boden gegenüber unseren wichtigsten Handelspartnern", verwies McCreevy auf die Patentsysteme etwa in den USA oder in Japan.

Die Misere beschrieb der Kommissar unter anderem mit dem Zustand, dass gegenwärtig verschiedene Gerichte in verschiedenen Ländern unterschiedliche Interpretationen zur Durchsetzung von Patentansprüchen vortragen würden. Diese Lage könne dazu beitragen, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen ihre Rechte nicht in Anspruch nehmen könnten. Dies sei "kein geeignetes Umfeld, um geistiges Eigentum zu schützen". McCreevy sprach sich daher erneut für die Unterzeichnung des Londoner Abkommens zur Reduzierung der Übersetzung von Patentansprüchen sowie für das European Patent Litigation Agreement (EPLA) aus, zwei Initiativen des Europäischen Patentamtes (EPA).

Das Streitregelungsabkommen bezeichnete McCreevy als "eine praktische, konkrete Initiative, die eine Art Fallrecht für Patente in der Gemeinschaft schafft." Damit würde die "rechtliche Sicherheit" für alle Beteiligten erhöht. Gegner fürchten, dass mit dem EPLA die weit gehende, Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" einschließende Vergabepraxis des EPA sanktioniert würde. Zudem glauben sie nicht an die Unabhängigkeit des mit dem Abkommen einhergehenden übergeordneten Streitgerichts, solange dieses mit Experten aus der Münchner Patentbehörde bestückt werden soll. Es sei aber besser, so McCreevy, sich jetzt an den Beratungen über das EPLA zu beteiligen und noch Einfluss auf das Abkommen zu nehmen. Daran könne auch die Tatsache nichts ändern, dass es wohl immer Firmen geben würde, die lieber mit nationalen Patentämtern und -gerichten zusammenarbeiten oder ganz auf einen gewerblichen Rechtsschutz verzichten. In einer "idealen Welt" würde der Kommissar zwar das im EU-Rat steckengebliebene Gemeinschaftspatent bevorzugen. Bis es zu einer Einigung auf dieser Ebene komme, sei es aber "unverantwortlich", nichts zu tun.

Der CDU-Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne gab McCreevy Rückendeckung. Er beklagte, dass man heute,­ "wenn es Krach gibt" ­ um die Gültigkeit von Patenten, theoretisch in allen betroffenen Ländern Prozesse führen müsse. "Das muss weg, hier muss sich der Binnenmarkt entfalten", forderte der Berichterstatter der konservativen Fraktion. Auch ein Gemeinschaftspatent, das in zwanzig Amtssprachen zu übersetzen sei, wäre "höchstens für ganz große und reiche Unternehmen interessant". Lehne schwebt vor, die EU am Europäischen Patentübereinkommen direkt zu beteiligen und so Bedenken gegenüber dem EPLA auszuräumen. Die These, dass ein gemeinsames EU-Gericht im Rahmen des Streitregelungsabkommens zu einer leichteren Softwarepatentierung führen würde, hält er "für Unsinn". Eine Veränderung am materiellen Recht werde nicht vorgenommen.

Zuvor hatte Lehne bereits die in Form eines Gegenantrags geäußerte Kritik an seinem mit der britischen Liberalen Sharon Bowles ausgearbeiteten Resolutionsentwurf als "sozialistische Propaganda" und innovationsfeindliche Polemik der "No Software Patent"-Leute bezeichnet. Nichtsdestoweniger haben die beiden beruflich im Patentrecht arbeitenden Praktiker ihre Antragsversion abgespeckt und allgemeiner gefasst. Die Kommission soll mit der Entschließung nun hauptsächlich aufgefordert werden, "alle Wege zur Verbesserung des europäischen Patentsystems auszuloten und insbesondere die Diskussionen und Wirkungsstudien bestehender Vorschläge einschließlich des Gemeinschaftspatents und des Europäischen Streitgerichtsabkommens auszuloten". Dabei sei ein Augenmerk auf Faktoren wie die Sicherung der Patentqualität, demokratische Kontrolle, gerichtliche Unabhängigkeit und Prozesskosten zu richten.

Die Gegner des EPLA verstummen jedoch nicht. Man könne kein Abkommen unterzeichnen, das die Kosten für Rechtsstreitigkeiten nach Ansicht von Experten erhöhen würde, sagte Michel Rocard von den französischen Sozialisten bei der Aussprache im Parlament. Der Ex-Premier hält zunächst eine Entscheidung gerade im Bereich Software für notwendig, was patentierbar ist und was nicht. Ohne legislative Kontrolle dürfe das geplante Streitgericht nicht ins Leben gerufen werden. Auch Vertreter der Grünen und der unabhängigen Linken wollen Veränderungen am Patentwesen nur über eine im demokratischen Verfahren abgesegnete Richtlinie durchgeführt wissen. Die Pläne McCreevys würden allein Patentanwälten helfen und seien "noch schlechter als die Softwarepatent-Richtlinie".

In einem Brief an deutsche EU-Abgeordnete warnte Hartmut Pilch vom Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) davor, dem Kommissar "einen Blankoscheck für seine Bemühungen um die Schaffung neuer unkontrollierbarer Patentinstitutionen auszustellen". Nach Ansicht der Interessenvertretung würde das EPLA die Türen für eine "Flut schlechter Patente öffnen". Gefragt seien keine neuen Patentgerichte, sondern ein "besseres Patentamt". Auch die in den USA angesiedelte Computer & Communications Industry Association (CCIA) rief die Gesetzgeber dazu auf, nicht dem US-Modell zu folgen und ein übergeordnetes Patentgericht einzusetzen. Dieses habe jenseits des Atlantiks die Kosten für Patentstreitigkeiten in "astronomische Höhen" getrieben, während Software-Entwickler kaum noch ohne die Gefahr der Verletzung gewerblicher Schutzrechte arbeiten könnten.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (pmz)