Gamescom-Kommentar: Von der Familien- zur Kriegsspielmesse

Hatte sich die Gamescom in den vergangenen Jahren mit Party- und Sportspielen auf Wii und Kinect ein familienfreundliches Image gegeben, so rollten auf den freien Ausstellungsplätzen nun Panzer in ausverkauften Hallen.

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Bereits am Eingang der Gamescom-Messe empfingen riesige Kriegsspielplakate die Besucher.

(Bild: Hartmut Gieselmann)

Was hat sich die Spielebranche in den vergangenen Jahren nicht ins Zeug gelegt, ihr Schmuddel- und Killerspiel-Image abzulegen. Nintendo ließ Omas mit Wii Sports in Altersheimen kegeln, Microsoft veranstaltete Partys mit Kinect-Tanzspielen und endlich dachte man, Videospiele seien gesellschaftlich genauso akzeptiert wie Film, Fernsehen und Musik. Selbst bei Amokläufen diskutiert die Öffentlichkeit inzwischen mehr über Änderungen beim Waffenrecht als über Verbote von Computerspielen.

Auch das Stadtbild wurde von Kriegsspielen geprägt: Electronic Arts ließ eine riesige Häuserwand bemalen.

(Bild: Hartmut Gieselmann)

Wer jedoch dieser Tage Köln bereiste um zur Gamescom zu pilgern, wähnte sich zuweilen auf einer Kriegsspielmesse. Gewiss, Titel wie "Call of Duty" oder "Battlefield" prangten schon seit jeher auf überlebensgroßen Messeplakaten, doch bislang waren noch immer genügend andere Genres vertreten, deren Zielgruppe nicht Männer zwischen 15 und 35 Jahren waren. Doch in diesem Jahr, wo Nintendo und Microsoft fehlten, sind es vor allem Anbieter von Online-Kriegsspielen, die die frei gewordenen Plätze füllen und mit großem Bohei um die Besucher buhlen. Sie belegten nicht nur einen Großteil der Hallen, sondern auch die Werbeplätze an vorderster Front.

Der Weißrussische Anbieter Wargaming.net tapezierte die gesamte Messe mit seinen Plakaten und lockte Spieler mit einer riesigen Video-Leinwand an seinen grellen Stand.

(Bild: Hartmut Gieselmann)

Vor allem der weißrussische Anbieter Wargaming.net ließ das Messegelände großflächig mit seinen Panzerspielen plakatieren, in denen Spieler den Zweiten Weltkrieg nachahmen. Wargaming.net setzt auf das Vermarktungsprinzip Free to Play (F2P), bei dem Spieler zunächst kostenlos einsteigen können und dann für virtuelles Kriegsgerät zur Kasse gebeten werden. Firmenchef Victor Kislyi träumte auf der GDC sogar schon davon, dass sein Konzept bisherige Retail-Modelle ablösen werde und versuchte schon einmal in weißrussischer Manier die hiesige Presse mit Anzeigengeldern unter Druck zu setzen: "Ihr wisst, wer bei euch Werbung schaltet, wenn der Retail-Markt ausstirbt?", fragte Kislyi bei seinem als Keynote angekündigten GDC-Vortrag und kam damit gar nicht gut an.

Crytek bastelte sogar einen riesigen begehbaren Pappmascheehubschrauber für sein F2P-Spiel Warface.

(Bild: Hartmut Gieselmann)

Aber auch in Deutschland setzt man auf neue Kriegspielkonzepte. So produziert der frisch mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnete Hersteller Crytek mit Warface ebenfalls ein Kriegsspiel, das dank seiner AAA-Grafik neue Maßstäbe im F2P-Markt setzen soll. Auf der Gamescom warben die Frankfurter mit einem riesigen Kampfhubschrauber aus Pappmaschee für Warface.

Mit derlei Attrappen gab sich die Bundeswehr nicht zufrieden und ließ Spieler einen waschechten Aufklärungspanzer bewundern und warb für eine Karriere beim Militär.

(Bild: Hartmut Gieselmann)

Echtes Kriegsgerät präsentierte die Bundeswehr im Untergeschoss der Halle 10 und warb mit einem gepanzerten Fennek-Spähwagen und dem Slogan "Karriere mit Zukunft" um neue Rekruten. Immerhin: Echte Waffen, wie sie das US-Militär auf der E3-Spielemesse in den USA präsentiert, waren noch nicht zu sehen. Aber die Berührungsängste schrumpfen.

Lange Schlangen bildeten sich auch vor den Ständen der etablierten Kriegsspielmarken.

(Bild: Hartmut Gieselmann)

Doch der "unverkrampfte" Umgang der Unterhaltungsbranche mit dem Militär spiegelt offenbar auch die Haltung der jugendlichen Konsumenten wider. Als 1968 die Notstandsgesetze verabschiedet wurden, gingen tausende Jugendliche und Studenten auf die Straße, um gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik zu demonstrieren. Wenn heute jedoch der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts Kampfeinsätze der Bundeswehr im Inland erlaubt und eine "historische Fehlentscheidung" trifft, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen schreibt, kümmert es kaum einen Jugendlichen. Statt wie damals mit bis zu 80.000 einen Sternmarsch nach Bonn zu veranstalten, strömen sie lieber nach Köln. So gab die Messeleitung mit über 275.000 Besuchern die Einstellung des letztjährigen Besucherrekords bekannt. Für den Samstag war der Kartenvorverkauf sogar vorzeitig gestoppt worden, um eine Überfüllung zu verhindern. Solche Zahlen dürften die Verantwortlichen beflügeln, die Militarisierung der Spielebranche weiter voran zu treiben. Der Image-Wandel der letzten Jahre ist damit für die Katz. (Hartmut Gieselmann) / (hag)