"Rückwärts gerichtete Schutzinteressen" bei der Urheberrechtsreform beklagt

Das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" kritisiert den neuen Anlauf beim 2. Korb der Urheberrechtsnovelle als unvereinbar mit dem Koalitionsvertrag, während andere Beobachter auf den Erhalt der Bagatellklausel drängen.

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Der neue Anlauf des Bundesjustizministeriums für die zweite Stufe der Urheberrechtsreform kommt aus der Kritik nicht heraus. Nachdem Vertreter von Verwertungsgesellschaften den zur Diskussion stehenden Entwurf für den Kabinettsbeschluss zum so genannten 2. Korb der Novelle als "absurd" abgetan und Verbraucherschützer die weitgehende Abschaffung bestehender Nutzerrechte beklagt hatten, meldet sich nun das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" zu Wort. Laut einer aktuellen Stellungnahme der Forscher ist der überarbeitete Vorschlag aus dem Justizministerium "an vielen Stellen unangemessen" und "nicht verträglich mit den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ziel eines bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts".

Das Papier bevorzuge weiter in der Grundtendenz "den Schutz der Verwertung und die Verknappung von Wissen und Information", moniert das Bündnis, dem unter anderem die Deutsche Initiative für Netzwerkinformation (DINI), der Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN) oder das Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software (ifrOSS) angehören. Der von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgetragenen Empfehlung "mehr Freiheit wagen" werde nicht ausreichend Rechnung getragen. Wenn laut der Koalitionsvereinbarung Bildung und Wissenschaft "Schlüssel zur Zukunft" sein sollten, dürfe der Zugang zum publizierten Wissen nicht verschlossen oder so stark eingeschränkt werden, wie es der Entwurf vorsehe. Der freie Umgang mit Wissen und Information müsse in der politischen Priorität Vorrang haben.

Konkret verweist das Aktionsbündnis auf seine Einwände gegen den ersten Entwurf des 2. Korbs und konstatiert, dass mit dem neuen Entwurf die Erwartungen der Wissenschaft nur "in kleinen Teilen erfüllt" worden seien. Die Forscher begrüßen, dass die ursprünglich in Paragraph 52b vorgesehene Beschränkung weggefallen ist, wonach die Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen zahlenmäßig auf die Anzahl der Werke im Bestand der Bibliotheken zu beschränken gewesen wäre. Angesichts der "hohen Investitionen in Rechner und flächendeckende Netze an den Hochschulen" könne es aber nicht sein, "dass die Nutzer zur Information gehen müssen und die Information nicht direkt zu den Nutzern über die ausgebauten Intranetze kommen darf".

Als besonders "grotesk", "weltfremd und nutzungsunfreundlich" betrachten die Bündnismitglieder aber nach wie vor die Regelung zum Kopienversand in Paragraph 53a, da "Wissensobjekte" nur in kleinen Teilen als ausgedruckter Text oder als Fax zu beziehen seien. Das "Ende von modernen Bibliotheken" würde es bedeuten, dass diese überhaupt nicht mehr tätig werden dürften, "wenn der Markt selber mit Blick auf die Endnutzer aktiv wird". Die Forscher fordern nun die "gründliche Überarbeitung" des Entwurfs, da dieser "an vielen Stellen von Ängstlichkeit und von einem rückwärts gerichteten Schutzinteresse" geprägt sei. Bildung und Wissenschaft bräuchten "Rechtssicherheit bei der Nutzung von Kopien, beim Zitieren und für die Ausbildung auch moderne elektronische Semesterapparate".

Über die Zukunft des Gesetzesentwurf will das Kabinett nach einer Anhörung im Justizministerium am Donnerstag entscheiden. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hatte vergangene Woche beim Neujahrsempfang der Musikindustrie sein Veto gegen das Papier angekündigt, da ihm die vorgesehene Straffreiheit für das Herunterladen "in geringer Zahl" für den privaten Gebrauch erstellter Kopien aus dem Internet zu weit geht. Die Ankündigung des CDU-Politikers hat bei zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und in der Opposition allerdings Proteste ausgelöst. "Wollen wir wirklich jedes Kind in den Knast bringen?", fragt Joachim Jakobs, Sprecher der Free Software Foundation Europe (FSFE). Dem Kulturstaatsminister gehe es anscheinend entgegen seinem Amtsauftrag nur darum, "der Industrie zusätzliche Einnahmen zu verschaffen." Es sei unerklärlich, wieso Neumann nach den Erfahrungen mit dem Rootkit-Desaster von Sony BMG der Wirtschaft und ihren Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) noch "den Steigbügel" halte.

Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, setzte sich gegenüber heise online ebenfalls für die vom Justizministerium geplante "Bagatellklausel" ein. "Wir wollen keine Kriminalisierung der Schulhöfe", erklärte sie. Es müsse auf jeden Fall weiter möglich sein, sich von geschützten Werken auch eine geringe Anzahl von Privatkopien zu ziehen. Gleichzeitig kündigte Bettin heftigen Widerstand gegen den vorgesehenen weit gestrickten Auskunftsanspruch gegen Provider an, mit dem das Justizministerium der Unterhaltungsindustrie auch das zivilrechtliche Vorgehen gegen Raubkopierer erleichtern will: "Wir machen uns dafür stark, dass die Provider weiter nur gegenüber der Staatsanwaltschaft persönliche Daten herausgeben müssen", betonte die Grüne. Sonst würden grundlegende Prinzipien der Rechtsprechung außer Kraft gesetzt.

Zu den Diskussionen und juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)